Kristian Kühn: Guerrero ante portas
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Foto: Lyrik Kabinett
Guerrero ante portas
Ein Abend mit Maricela Guerrero,
Johanna Schwering und Benjamin Loy im Lyrik Kabinett
Wieder einer der schönen Abende
mit Gästen im Lyrik Kabinett. Harmonisch, kulturell, tiefsinnig – am 17. Juni
2025 die mexikanische Dichterin Maricela Guerrero und ihre Übersetzerin Johanna
Schwering in der souveränen Moderation von Benjamin Loy, des jungen, neu
akkreditierten Professors für romanische Philologie an der LMU, bis 2024 noch
in Wien tätig.
Pia-Elisabeth Leuschner erwähnte
in ihrer Begrüßung, dass sich die vielangekündigte und gern eingeladene
Guerrero gerade auf Europareise befinde und nun endlich auch ihren ersten
Auftritt im Lyrik Kabinett habe, obwohl ihr erstes deutsch übersetztes Buch,
„Reibungen“, erschienen im hochroth Verlag Berlin, bereits 2018 zu den Lyrik
Empfehlungen des Hauses gehörte, damals von Monika Rinck gepriesen, die dann
auch Guerreros deutschen Folgeband, „Wovon jede Zelle träumt“, im Aphaia Verlag
München 2021 herausgegeben, mit einem Nachwort versah, das sie „Auch Verluste
schaffen Verbindungen“ nannte, womit wir im Zentrum der Poetik der Dichterin
aus Mexiko angelangt sind: Reibungen und Verluste. Verbindungen, zum Beispiel
von Zellstrukturen, werden aufgezählt, Verflechtungen gemessen, wie im Traum, aber
dann auch wieder – gemäß anderer Bewusstseinsstufen – der Einschlagfaden dem physikalischen
Teppich entzogen, durch Kolonialismus oder Krankheit oder kapitalistischem Raubtierverhalten
heute.
Um kurz mit Monika Rincks Worten
Guerreros Welt für ein Erlebnis wie das des beschriebenen Abends zu öffnen:
„Wie Wälder miteinander sprechen, wie ihr Wurzelgeflecht, dessen Größe in etwa der ihrer Krone entspricht, Signale weitergibt, in den Baum hinein und an andere Bäume, wie die Bodenpflanzen des Waldes einander womöglich warnen, vor Schädlingsbefall, wie sie über das Wetter sprechen, über all diese Verbindungen dachte ich soeben nach, und was genau es sein mag, „wovon jede Zelle träumt“.
Und immer
dazu Guerreros subjektives Empfinden wie das einer verhaltenen Volkstribunin:
Wenn Bewegung Reibung erzeugt und Reibung Wärme, warum ist mir so kalt?(in „Reibungen“)
Guerrero bleibt zwar
formal beim Oberflächenkontakt, aber doch dringt sie dabei im die Tiefe, an den
Herzschlag der Menschen. So befindet sich denn auch ein goldenes funkelndes
Schmuckstückchen, in Form eines kreisrunden Baumes mit all den ausgebreiteten Verästelungen
auf etwa der Höhe ihres Herzchakras, das nicht nur ihre Persönlichkeit
verbreitet und Transzendierung verheißt, sondern auch sinnbildlich zu ihren
Texten passt, die den Atem der Menschen erreichen wollen, wie die Übersetzerin
Johanna Schwering erklärt, und mit diesem Takt bzw. Metrum des jeweiligen
Gedichts auch eine Kommunikation mit dem Nicht-Menschlichen, den Steinen,
Pflanzen, Tieren, also aller Art unterschiedlichsten Bewusstseins sucht, was
natürlich das Übersetzen in eine andere Sprache mit deren eigenen Rhythmen
nicht gerade erleichtert. Oft seien die indigenen Sprachen, ergänzte Guerrero,
da näher an der Sprache der Dinge, als unsere heute dominanten. Ihr Großvater
habe eine solche, mittlerweile ausgestorbene noch gekannt. Benjamin Loy, der beim
Moderieren fließend Spanisch mit ihr sprach und dann blockweise ins Deutsche
übersetzte, erwähnte diesbezüglich auch Synkopen, beabsichtigte Verzögerungen
im Rhythmus, der – als hätte er Aussetzer – auch dann den Redefluss pausiere.
Dieses pausierte Sprechen sei das Merkmal der Guerrero’schen Lyrik, dieses
gemeinsame Atmen mit der Natur, woran wir auch beim Hören teilhaben können, im
Lösen wie im Binden. Man müsse halt, so Guerreros Grundprinzip, wenn ich sie
richtig verstanden habe, Sprache gemeinsam sammeln und das Ersammelte gemeinsam
verstehen lernen. Reibungen und Verluste wie das Ein- und Ausatmen.
Kristian Kühn
Maricela
Guerrero: Reibungen. Aus dem mexikanischen Spanisch von Johanna Schwering.
hochroth Berlin 2017. 42 Seiten, 8,00 Euro.
Maricela Guerrero: Wovon
jede Zelle träumt. El sueño de toda célula. Gedichte.
Zweisprachig. Aus dem mexikanischen Spanisch von Johanna Schwering. München
(APHAIA Verlag) 2021. 147 Seiten. 19,00 Euro.