Koleka Putuma: Kollektive Amnesie
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Timo Brandt
Koleka Putuma: Kollektive Amnesie. Gedichte. Übersetzt von
Paul-Henri Campbell (Verlag Das Wunderhorn – AfrikAWunderhorn) 2020. 160
Seiten. 22,00 Euro.
Das Fürchten gelernt,
das Sprechen gewonnen
„Aberist nicht komisch?Immer wenn sie uns über unsere schwarze Kindheit ausfragen,sind sie ausschließlich an unseren Leiden interessiert,als seien die Freudenanteile bloß purer Zufall gewesen.“
Koleka Putuma wurde 1993 geboren, also drei Jahre nachdem
Nelson Mandela freigelassen und ein Jahr bevor er zum ersten schwarzen
Präsidenten der Republik Südafrika gewählt wurde, woraufhin die Apartheid, die
jahrhundertelange Unterdrückung der schwarzen Mehrheit durch die weiße, im Zuge
der Kolonisation, an die Macht gekommene Minderheit als beendet galt.
Doch Putuma schreibt in ihrem Text „1994: Ein
Liebesgedicht“:
„Und dies ist einer von vielen Überresten der Sklaverei:geliebt zu werden wie Mandela.“
Die Apartheid mag als abgeschafft gelten, doch man kann
nicht einfach eine neue Gleichheit behaupten, und damit jahrhundertealte,
eingefahrene Systeme und Denkmuster verschwinden lassen oder alle offenen
Wunden schließen. Dort, wo lange zementierte Wirklichkeiten aufgebrochen werden
und neue Versprechungen, Verheißungen durchscheinen, ergibt sich nicht automatisch
eine gänzlich neue Vorstellung von den Dingen, und durch die Ritzen quillt so Einiges,
darunter lange Angestautes.
„Das Verlangen nach Neuem kultivierte hässliche Gewohnheiten,wob Wünsche in uns,die wir nur durch Imagination aussprechen konnten.Denn in unserer Imaginationwaren wir gebräunte Leiber,die wie Könige lebten in den Häusern der Weißen.Wir waren Superhelden und schlanke Modelsmit weißen Gesichtern.“
Putuma legt in ihren Gedichten Zeugnis ab von den
Gefühlswelten eines Menschen, der der letzte einer langen Reihe von in Armut
lebenden und unterdrückten Menschen ist und sich gegen das Bild wehrt, das
andere deshalb von ihr haben, aber auch nicht ihr Erbe, die Geschichte ihrer
Familie und ihrer Hautfarbe verleugnen kann oder will; zumal dieses Erbe ihre
Wirklichkeit immer noch nachweislich bedingt.
Doch dort endet ihr Engagement, ihre Stimme nicht. Denn sie ist
nicht nur eine Nachfahrin von Sklaven und Sklavinnen*, sondern auch die Tochter
eines Pastors, weshalb sie bspw. in einem Gedicht schreibt:
„Der erste Mann,den du zu verehren lernst,ist ein weißer Mann.“
Und auch ihre Liebe ist eine von der Gesellschaft nicht
akzeptierte, denn Koleka Putuma liebt Frauen.
In ihrem längsten Gedicht „Kein Ostersonntag für Queere“
bringt sie diese beiden Themenbereiche zusammen – es ist ein mit
Aufzählungspunkten und anderen formalen Brüchen arbeitender Text, ein Vortrag,
ein Register, eine Anklage, eine Predigt möchte ich fast sagen, wobei er sich
gerade gegen das Predigen richtet, wie ihr Vater es betreibt. Ein Ausschnitt:
„sie war 24 / sie war 19 / sie war 25 / sie war queer / sie war hetero / sie war zu spät unterwegs / unterwegs in der falschen Nacht / verhielt sich wie ein Mann in jener Nacht / die Jeans zu eng, das Röckchen zu hoch, eine Sodomitin / eine Sünde / ein Sünder / ein sündiger Akt / ein Fakt / eine Figur / eine Nummer / ein Körper / toter Körper / toter lesbischer Körper / Vorsätzlichkeit des Schicksals […]/ sie war 24 / sie war 19 / sie war 25 / sie war queer / sie war tot / ich könnte sterben.
[…]Daddy,• Wenn mich jemand kreuzigen• Und drei Tage lang in einem Grab verscharren würde• Und ich als Schlagzeile neu auferstehen würde• Würdest du dann von mir predigen?• Würdest du der Gemeinde sagen, dass es meine Sünde war, diesie dazu zwang, es zu tun?• Würdest du die Mörder Heuchler oder Feiglinge oder DienerGottes nennen?• Würdest du dich selbst als Judas bezeichnen?• Würdest du von mir predigen?• Und was würdest du sagen?• Meine Tochter wurde gestern ermordet• Oder eine Lesbe wurde gestern ermordet?“
Es gibt einige von diesen mäandernden, dabei jedoch
keineswegs abschweifenden Sprechtexten, die in ihrer Intensität, der schmerzlichen
Präzision und Unnachgiebigkeit ein wenig an die längeren Texte/Gesänge der
Dichterin und Musikerin Kate Tempest erinnern.
Mit dem Unterschied, dass Tempest in manchen Texten eher die
Beobachterin ist, ein Panorama erschafft, voller Erbarmen und Verständnis,
während Putuma stets auch die Involvierte ist, die Betroffene – eine Rolle, die
sie mitunter ebenso wenig hinter sich lassen kann wie ihre Hautfarbe.
„Frage:Warum bist du gegangen?Antwort:Ich hatte es satt,der Sarg im Raum zu seinweitere Särge meinen Rachen herunterzulassen und gefragt zuwerden, ob ich noch okay atmeGrabsteine in meinen Nasenlöchern herunterzulassen und gefragtzu werden, ob ich noch okay atmeSargträgerin für Nachrichten über ermordete Lesben zu sein undnoch okay atmen sollDer Eindruck als Nachruf fortzubestehenauf halbmast gehängt zu und erwartet wird, dass ich noch okayatmewenn man über mich schreibt, als sei ich bereits tot.
Schwarze Männer und weiße Frauen*Schreiben immer über schwarze Frauen*als ob wir schon tot seien.“
Neben den längeren Sprechtexten/Gedichten, gibt es auch
kürzere Werke, darunter viele Liebesgedichte. Selten geht es in ihnen
allerdings um Glücksmomente, oft spielen Heimlichkeit und Sehnsucht eine Rolle,
weil die Geliebte einen Ehemann hat, oder weil man das Leben nicht mit ihr
teilen kann, weil es zu gefährlich ist, sich bedrohlich anfühlt, die Liebe
wirklich zu leben.
„Dieses eine Malin deinem Bürohemmungslos ausgebreitetüber deinen Deadlinesliebten wir uns als jagten uns Wölfe“
In einem Gedicht bezeichnet Putuma sich sogar als
„Legasthenikerin in der Sprache, in der ich liebe“, weil sie so oft
unterdrücken musste, was sie fühlte.
„Kollektive Amnesie“ ist ein bemerkenswerter Gedichtband,
ein bemerkenswertes Archiv des Schmerzes, ein Kompendium des mutigen Trotzens
und erzählt viele Geschichten vom Finden einer Sprache für die Schicksale eines
unterdrückten Geschlechts, einer unterdrückten Art zu Lieben, einer
vordefinierten Existenz, die sich gegen diese Definitionen wehrt, sich mit
ihnen auseinandersetzt. Es geht um „poetic justice“ für sich und andere, wie
Paul-Henri Campbell in seinem Nachwort richtig feststellt.
Neben „Die Reise der Schwarzen Venus“ von Robin Coste Lewis
kann ich dieses Buch allen empfehlen, die sich mit Lyrik, die Rassismus
thematisiert, auseinandersetzen wollen; in Putumas Fall auch noch mit Sexismus
und Homophobie. Natürlich will ich diesen Band und seine Gedichte nicht darauf
reduzieren – sie sind der Ausdruck einer individuellen Stimme und nicht nur ein
Sprachrohr für Themen.
Als letztes noch der Hinweis: dieses Buch ist Teil einer
Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur im Wunderhorn-Verlag – es
lohnt sich sehr, sich die bereits erschienenen und kommenden Titel dieser Reihe
anzuschauen!