Klaus F. Schneider: Noch ein distelhäuser export - ein realitätsflirt
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Klaus F. Schneider
NOCH EIN DISTELHÄUSER EXPORT ein realitätsflirt
an fortwährend aufs neue immer wieder frisch nachgewischten naturlackgastkirschholzplatten mit dampfstrahlsterilem selbstbedienungstablett im gastkirschholzkarree eingekeilt von gewissen-haftenden sprossenfrönern was hast du auf deinem tellerchen & was für ungekochte blicke bilden das radarnetz eingehaltener tabellen maßvoll zugeführter lebensbausteine was hat man in dieser umgebung als taschenbuch neben sich liegen zu haben & in welcher zeitung steht es einem an überm leitartikel zu sinnieren oder muss man sie nicht schon abonniert haben und was fügt es dass hier keiner der die zeit eingerollt mit sich führt darin ein schlagrohr oder bleikabel verbirgt?
eine frau die aussieht wie eine frau* die aussieht wie eine sängerin sieht auf einen mann der aussieht wie Gucci oderso in einer neuen lederjacke in einer gruppe junger männer die aussehen wie gruppierte dressmodelle frischgegelt / ein orgasmus der flügeltür / zwei frauen mit kopftuch und kinderwagen erblicken einsteigend eine frau die aussieht wie eine sängerin - mit hund: ungelenke schiebeversuche / das pfeifen der pneumatik / rümpfe / gemixt in der beschleunigung / knattert ein gekipptes fenster / wie einen kaugummi spuckt der mann neben Gucci der aussieht wie Guccioderso einen satz dessen unverständicher wortlaut so klingt wie man sich so einen satz vorstellt in das leck eingezogener füße: blasse röte bis zum saum / goldkettchen vor wiehern geschüttelt / der hund wie er sich am buggy hochschnuppert zuschnappt die leere serviette in der hand des eingeschlafenen beigen etwas im dickgesteppten kosmonautenanzug – die flügeltüre wie gehabt: aussteigen / in tütenschlepperhorden / die aussehen / wie menschen / in unausgesetzter besorgung
mit pünktlich eingehaltener verspätung hub an die meisterin - so handverlesen das publikum so ausgedünnt das wort auf handgeschöpften bogen ein gipfeltreffen der metaphern wider den zeitgeist & lakonisch launig auch das feuilleton nicht ungeschoren und nach dem ersten zug so heftig inhaliert wie bedächtig konzentriert mit langem atem ausgehaucht gedenkt sie dann der frühverstorbenen geliebten der huldvoll sie gedient - deutscher anker im mediterranen - und kaum dass die letzte krönung der gebilde noch einmal angeklungen ließ man sich aus über Nijinskis tagebücher und beim rotwein schwoll der schwall des schicksalhaften unweigerlich zum kollektiven gedenken Robert Walsers
garben weiblicher bürowesen zwischen pastagerichten und spezibatterien gestikulierende herren in seriöser freizeitkleidung menügeschäftsjahresessen in den vitrinen hier spielt grad son grooviges trio mit seinem farbigen guy on bass & vielleicht vögelt er noch was heut abend aus dem angebot & alles ist gut & vorweihnachtlich ausgelassen
J E D 1 buch aus der schutzfolie geschält als blickfang im konzert
A I E der paperbackkollektion DO-AB JAZZ BEI BUCH JULIUS
P N R im überwachungsspiegel ein in die jahre gekommener
A E sprengel kunstenthusiasten im takt wippend & sherry
N V süffelnd die band wie eine band zu sein hat sopransax (hallo
I E E Frank) der pianist pendelnd zwischen VHS & NY am bass
S T R aus der szene ein unbekanntes stimmtalent und SPECIAL
C H G AUS AR-HEN-TINA ON DRUMS & PERCUSSION EIN
H N Ä SPECIAL APPLAUS FÜR DANIELE MESSIAS ! die neue
E O N internetfilmcrew unauffällig zugange ein freundlicher herr
G G mit halstuch vernichtet ein zigarillo im aschenbecher den
Z R L kein designer unprätentiöser hätte entwerfen können ...
E A I EINE ETHNOGRAPHIE DER VERGÄNGLICHKEIT & was
I P C sind die diskurse – unsere akademikerfolklore – anderes
T H H samt ihren kontemporanen ablegern den gedichten ? denke
E I K ich (diesen satz den man vielleicht noch so denken und
N E E eigentlich nicht mehr so schreiben kann) während der
I zugabe ihr spielt wie katzen die mit freuden gebären & wir
T schreiben wie katzen die unter qualen empfangen
noch ein DISTELHÄUSER EXPORT
noch ein realitätsflirt es ist sowieso zu spät alle sitzen an ungemütlichen quadratischen schwarzen tischen kleiner als eine aufgeschlagene tageszeitung im abgang ruft jemand eine frau ruft zeit ist auch über die schulter geworfen wie ein seidenschal kommt doch mal wieder vorbei es schnalzt schon wieder so immer wieder mal schnalzt es schmatzt so hier da werden küsschen aufgedrückt laufend küsst grad ständig jemand auf wangen lippen ohrläppchen oder haare an diesen standbytischen einer liebkost einer ihre hand lässt nicht locker umgreift sie am beschlagenen glas gleitet ab die erwartete erwiderung leitet sie ab an bitterlemononice nippt sie verharrt glasmund an schmelzeis stülpt handmuschel er um nacken umklammert kosfest lockert gegebenerzeit übers haar streicht als ob einen kurs er zärtlich doch der griff markig wie am fohlen zieht nähert sie zu sich beugt sie sich den kopf den lippen weichend an seine schulter den ellbogen so art déco die lüster fließende verlorene konturen ja was ja was für ein ein lieber brocken hund schlabbert im mosaik bassin das kind wo wo ist das kind von der mutter eingefangen an tisch gezerrt brüllt ein kuss inniger erstickung lächeln in die runde aufgeschlagener blicke da kommt papa mit im schlepptau küsschen auch die begleiterin haucht küsschen wie yogurette eine strahlende binde das lächeln der papa wie er sich so wohlfühlt es es ist so entspannt flirtet er nach beiden seiten austariert NOCH EIN DISTELHÄUSER EXPORT
* "eine frau die aussieht wie eine frau" = Märchen von den Dingen, Konrad Bayer