Klaus Anders: und aufzubrechen wohin er will
Gedichte > Gedichte der Woche
Foto: Frank Wierke
Klaus
Anders
und
aufzubrechen wohin er will
Non mi
lasciare adesso, se no cado giù.
Elena Ferrante
I
Gib
mir die Schale.
Die
Schale gib mir, füll sie mit Wasser.
Sie
setzten die Äcker in Brand, das Stroh
und
alles Verdorrte, wie jedes Jahr, bevor
der
Regen beginnt, die Aussaat.
Und
das Feuer fraß prasselnd
und
beseligt vom Wind und wuchs
in
Bögen und Wirbeln
bis
an den Rand der Feldmark. Statt
zu
verhungern aber, statt zu
verlöschen,
rast es, bläht sich auf voller Gier:
Gibt
es noch mehr?
Da
waren die Wälder hoch an den Hängen,
da
waren die oberen Weiden, ausgedörrt
vom
sengenden Frühling, kahlgefressen,
und
die schwarzlaubigen Eichen,
die
Kiefern im Fels, kupferrot die Nadeln, sterbend
nach
wasserlosen Wintern. Mit kräftigen
Sprüngen
sind die Flammen hoch in den Kronen,
eilen
die Stämme hinauf und hinab,
und
brüllend brechen sie durch den Wald,
sie
brüllen wie Tiere, die lange eingesperrt waren.
Wie
Heuschreckenschwärme stiebt auf,
was
Flügel hat, Hirsche fliehen,
die
Füchse, bis sie erschöpft
nachlassen,
keuchend zu Boden gehen, ersticken
im
giftigen Rauch oder, noch lebend, von Flammen erfasst
in
Qualen sterben. Wie nasse Klumpen stürzen
Raben
herab, schlagen auf und verbrennen. Feuer
anderer
Art trifft dein Leben. Wer einmal
brannte
davon, sieht überall Flammen. Wo vorher
nur
Totholz lag, Knochen, Sediment, tanzt
jetzt
die Flamme, pulsiert wie ein freudiges Herz.
Die
Akazie warnt ihr Volk, wird sie verletzt. Doch du
bleibst
still in der Flamme, die
dich
vernichtet. Es pfeift das Murmeltier, sieht es den Adler.
Du
aber lässt dich verzehren wie Wald,
bis
auf den Grund, wo Glutnester hausen
wie
vor dem Brand Ameisen, bis in der Asche,
nackt
und lichtlos, eine Quelle zu sprudeln beginnt, ungehemmt
von
Fieberkraut und Morast,
ein
klares Wasser im
Aschefeld,
Mutter von Moos und Flechten.
II
Früh
auf der Halde
unter
den Klippen
trifft
mich der Sonne
blitzender
Strahl.
Sprühende
Garben
schmelzen
den Gipfel
Tannen
sie springen
jubelnd
zu Tal.
III
In dieser
Kammer im Turm
betret
ich das Jordantal, den See, steige
Berge
hinauf, lasse mich führen
vom
Kischonbach, wende mich nach Süden,
bis
zum Sinai, seh die zerfallenden Reiche.
Und
tu doch nichts weiter, als in einem
Gebäu
aus Eis zu gehen, von Raum
zu
Raum, die kalten Wände,
erhellt
von einem Licht so fern,
mit
meinem Atem zu schmelzen und
in
grünes Land, in Volk und Vieh,
in
Wüste und Meer zu verwandeln.
Und
ist doch alles Warten, Warten,
wenn
auch die Feder über das Papier fliegt
wie
Kraniche im März nach Norden, Warten
auf
den Funken, der
Gott
in mir gebiert, und ist doch
nichts
als Warten.
Ein
gutes Deutsch, wie gesprochen,
frisch
von der Leber weg, das beste Deutsch,
in
euren Augen Bauernsprache? Dann eben
Bauernsprache,
dampfend
wie
ein Hirsch in kalter Luft.
Da
reißen sie die Mäuler auf, die Herren
von
Gottes eigener Fakultät. Mein Wort
gegen
das zu hoch gelehrte, das an der fremden
Sprache
haftet wie die Zecke am Bein,
der
Buchfink an leimbestrichener Rute,
Lebensbotschaft
gegen die von Zaudern
und
knechtischen Bedenken ausgedörrte. Sie
versuchen's
dennoch. Schade um die Salbe.
IV
So
lang ich denken kann,
hat
er uns bedroht, die Vorfahren
kannten
ihn mächtiger noch, den
langsamen
Strom aus zehntausenden Wintern.
Manchmal
schrumpfte er, oft wuchs er,
rückte
nah und näher.
Mitten
im Sommer mähten wir
frierend
die Wiesen, sein Atem fuhr uns an,
das
blaue Licht seiner Augen griff
uns
das Herz und presste, dass
es
fast stillstand. Vor sich her
schob
er Geröll, aus seinem Maul
rann
ein Wasser, kälter als der Tod.
Doch
wird er schwächer
und
schwächer, zieht sich zurück wie ein
verwundeter
Dachs, kriecht das Tal hinauf
mit
schmutzigem Rücken. Wie viele
verschlang
er, die in seine Hallen
stürzten.
Doch nun schmilzt er,
Jahr
für Jahr wird er kleiner.
Sie hören mich nicht, ich
spreche zu
langsam für ihren Verstand,
meine Laute
bringen sie nicht zu Worten,
verstehen mich nicht.
Wenige hörten mich singen,
doch konnten
den anderen nicht davon
künden. Ich behielt sie,
habe sie lieb, sie liegen
tief in den Kammern
und träumen. Ich sehe, was
sie träumen,
und hüte ihr Geheimnis.
Andere hörten
mich rufen, doch hielten die
Zacken meiner Rufe
für Schüsse oder ein Beben
tief unter ihnen. Ich ließ
sie gehen.
Wir
wissen, er hat noch eine Waffe: Unter ihm
liegt
ein See, geschmolzen aus ältestem Eis,
dem
ältesten Schnee. Tropfen für Tropfen
gesammelt
unter dem schwindenden Leib.
Wir
achten auf ihn, Tag und Nacht, lauschen
mit
wahrsamen Geräten auf kleinste Zeichen, damit
wir
fliehen können, alles verlassen,
bevor
er ein letztes Mal sich gegen uns wendet,
der
uns trotzdem ein Freund war. Denn
wo
er fort ist, wird der Fels weich und zerfällt.
Segeltuch breiten sie aus
über meinen geschundenen
Rücken,
es hilft nicht, ihr Narren,
ihr kommt zu spät.
Doch immer kehre ich wieder,
mein Atem ist lang.
V
Den
ich liebe, springt vom Berg herab,
Schlingen
und Dornen halten ihn nicht,
sicher
wie ein Gams über Stein und Sturz.
Seit
Mittag schaue ich aus nach ihm.
Kommt
er? Kommt er nicht?
Mein
Herz zittert, meine Finger sind kalt.
Da
kommt er, ruft meinen Namen,
über
die Wiese rennt er, wirft den Rucksack ab,
und
ich vergehe in seinen Armen.
VI
Jeder
Stein hat ein Gesicht. Du wirst
lernen,
es zu finden. Jeder Stein
hat
einen Klang. Du wirst lernen,
ihn
zu hören. Drum setz dich,
denk
nicht an die Zeit, Zeit ist
ein
Stachel voll Gift, Zeit
ist
ein Segen, Zeit ist der Raum,
wo
du und die Steine wachsen.
Doch
lerne, dich der Zeit zu entziehen
und
ihrem Sog. Drum setz dich und schau
und
verliere Zeit, und wenn's dein
Leben
wäre. Betrachte den Stein,
schmiege
dich an. Du wirst allmählich,
langsam
wie der Stein atmet oder
plötzlich,
im Blitz, sein Gesicht erkennen,
die
Züge treten vor, der Stein ereignet
sich
in dir, du atmest seinen Atem. Steine gibt es,
die
du bald vergessen hast, andere
bleiben
bei dir bis du stirbst.
Lass
die Zeit strömen, sei
ein
welkes Blatt in ihrem Strom, das
langsam
wieder grünt. Lausche
dem
Stein, seinem uralten Schweigen,
das
seine einzige Sprache ist, und warte.
Dann
wird sein Klang
in
dich fallen wie ein Sonnenstrahl
in
einen Brunnen. Dann siehst du
die
Quelle sich regen und wallen.
Dann
bist du bereit, den Ort zu finden
für
diesen Stein, setzt ihn ins Gelände.
Bald
gedeiht Moos an seinem Fuß,
auf
seiner Schulter, wird wolkig wachsen
aus
Spalten und Mulden, wenn es
feucht
ist, rostrot schlafen in der Dürre.
Es
scheint, als wäre der Stein schon immer
dagewesen.
Verneige dich vor ihm, den du
gesetzt
hast, danke ihm, denn er
hat
dich gelehrt, du warst sein Schüler.
VII
Mit fünf Türmen; ein Haus, das sich
um die zentrale Wendel dreht,
hinaufschraubt aus den Sümpfen,
die es umgeben, in den leeren Himmel.
Dort nur ist Wurzelgrund, wo Licht auf keine
Widerstände trifft und übergeht in Nacht.
Wer hier logierte, blieb kurz. Niemand
starb in den Räumen, wo kein Geruch
wie Efeu an den Wänden haften konnte.
Alles ist auf schnellen Wechsel eingestellt.
Staunen soll, wer kommt, wer geht
sich sehnen. Im Schutz des Salamanders
wirst du schlafen, träumen in der Lilie.
Der Tuffstein, wie ein Schwamm,
trägt alle Stimmen. Keine ist verhallt,
kein Ruf zerging spurlos, alles zog
in Poren und die Kavernen,
die Rauch und Ruß einst fraßen.
Du wirst dich in dem Gebäu
verlaufen, steigst Treppen, die nicht
dorthin führen, wohin du willst,
findest nicht zurück, triffst in der Latrine
den Deserteur, der sich versteckte,
im Kamin einen Trupp Anarchisten,
bist woanders plötzlich, im zentralen
Busbahnhof in Tel Aviv, seine Leere
von Beton umfangen, von Benzingeruch
erfüllt, durchkreuzt von Treppen.
Eine Scherbe der Gefäße, die Gottes Licht
sprengte, nachdem der Schöpfer ins Zimzum
sich zurückgezogen hatte. Und mitten in dem Bau,
miteins, als Splitter des versprengten Lichts,
Wände voller Bücher in der einen Sprache, der Sprache
aller, die aus vielen Sprachen stammt, Bücher,
die den Schlaf in unzähmbaren
Träumen schlafen, bis ein Fremder kommt,
nach ihnen greift, sie erwachen und
ihr Atem sich mit Gottes Atem mischt.
Das blaue Grab hat seine Fühler
bis hierher gestreckt, wo Milchstern aus Riss
und Fugen bricht im Februar.
VIII
Ein Morgen klar, als ich erwache. Die Luke
meiner Kammer hatte ich am Abend
aufs Dach geklappt, nun seh ich über mir das Blau,
worin rötlich ein Schimmer webt, höre
die jungen Rauchschwalben, die auf dem Rand der
Dachrinne sitzen, dicht beieinander, und
das Zwitschern der Alten. Noch erfüllt die Luft
von dunklen Blitzen der Segler, dem freudigen
Schrei ihrer Jagd. Am Haus den Ahorn
erfasst jetzt die Sonne, das müde Laub
bewegt von der Morgenbrise.
Aus dem Stall rufen Kühe, Milchkannen
scheppern. Die ganze Nacht rann Wasser
in das Becken, wo zum Kühlen die Abendmilch steht,
rinnt Wasser aus dem Kran, singt
seinen Singsang und zählt die Stunden nicht.
Schon kommt der Wagen, der die Milch
zur Molkerei bringt. Ein Sperling schwirrt in die Mansarde,
dreht eine Runde, ist wieder weg.
Stehe auf, schaue hinaus, Sonne erwärmt
die taubedeckten Dächer, den Kirchturm
mit dem grünen Spitzhut. Aus dem Schornstein
der Glashütte quillt dick der Rauch.
IX
Kartoffelkäfer ist Kartoffelkäfer,
die Heuschrecke eine Heuschrecke, sie sind da
wie sie waren, bevor ich erwachte.
Ich erwachte, aber hatte nicht geschlafen.
Es war kein Traum und ist es jetzt nicht,
es sticht wie Disteln und blüht wie Disteln.
Aber erwachend hatte ich die Worte verloren,
es gab keine Frage und keine Antwort mehr.
Auf dem First tönt früh die Amsel,
Specht sucht den rissigen Stamm ab.