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Klaus Anders: Ospedale dei Mendicanti

Gedichte > Gedichte der Woche

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Klaus Anders

Ospedale dei Mendicanti
Maria Furlan, Venezia, 1704


Der Chor schweigt, nur ihr Singen
steigt in die rauchige Luft.
Du weiße Nachtigall, von deiner
Stimme schmelzen die Sperren,
Tore springen auf,
das goldene Fluten der Welt
strömt durch die Herzen und eint sie.
Tochter eines Augenblicks, verschämt
in dieses Haus gebracht, der strengen
Zucht unterworfen, dem Chorgesang

hinter den Gittern von San Lazzaro,
ernährt zum Genuss der Satten,
die niemals satt sind. Einmal
stand die Tür des Bauers offen.
Du hättest fliehen können –
drei Flügelschläge bis ins nächste
Gefängnis. Aber du bliebst
und entfaltest die Freiheit,
von der du träumst, Tag um Tag

in deiner Stimme. Bald
wird sie brüchig werden,
zum Krächzen, und das graue
Armengewand wird dein letztes sein.
Aber noch preisest du Gott,
den Gott der Lagune, des Nebels,
der dein Herz umfängt mit feucht-
kalter Watte, deine Stimme langsam
verätzt, dein Gefieder für den Flug
zu schwer macht.


„Um mich genauer mit der Einrichtung der Conservatorien bekannt zu machen, und meine hiesigen musikalischen Untersuchungen zu endigen, erhielt ich die Erlaubniß, in die Musikschule der Mendicanti zu kommen, und hörte ein Concert, welches bloß mir zu Gefallen war angestellt worden; es währte zwey Stunden, und die besten Sängerinnen und Spielerinnen waren dabey. Es war wirklich merkwürdig, jede Stimme dieses vortreflichen  Concerts, mit Frauenzimmer so wohl besetzt zu sehen als zu hören, die Violinen, Bratschen, Violonschelle, Flügel, Waldhörner, ja gar den Contraviolon spielten.“
Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise, dt. Hamburg 1722
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