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Klaus Anders: Begegnung mit Cernuda

Montags=Text
Klaus Anders

BEGEGNUNG MIT CERNUDA


Pero antes no sabías
La realidad más honda de este mundo:
El odio, el triste odio de los hombres
Aber kanntest vorher nicht
Die tiefste Realität dieser Welt:
Den Hass, den trüben Hass der Menschen
                             Luis Cernuda

Dämmerung; zog meine Jacke an
und ging aus. Selten um diese Zeit; die unbeschwerten
Abende, da wir arglos das Haus verließen,
uns irgendwo trafen, lachend und voll
Verlangen, ich noch hinter
jedem Schwanz her bis in den Morgen –
aus und vorbei. Zu oft zu gefährlich.
Und mein Zustand nicht der beste:
Schweißausbruch nach ein paar Schritten,
Schwindel, Koliken und was sonst
Gottes Segen über mich ergießt.

Doch heute war’s mir gleich. Den ganzen
Tag allein vor mich hingewerkelt, wollte ich
nur Menschen um mich haben. So
ist Alleinsein eine starke Kost, ein Genuss,
der meist, doch nicht immer gut tut. Doch heute –
Und schon bald bog ich von den
belebten Avenidas ab, nahm Seitenstraßen, wie von selbst
fanden die Füße ihren Weg.

Am alten Weiher, im Park
hinter dem Friedhof, wo sich früher
die Nachtgestalten sammelten und paarweis
in den Büschen verschwanden, sitze ich, höre
Frösche quaken, manchmal springt einer ins Wasser.
Da kommst du den Weg daher, ein bisschen wacklig, doch
tadellos, überordentlich gekleidet,
die Duquesa als Gentleman, abweisend-
kalte Miene, ganz Professor und Profession,
zugleich zwei Augen (nur dem Kundigen sichtbar)
schmerzlich-glühenden Begehrens, distanzlos fast, typisch
für solche, die glauben, das Beste
im Leben verpasst zu haben.

Die Lust ist groß und endlos das Verlangen,
selbst für einen, der schon
in Gärung übergeht. Und letztlich habe ich,
obwohl ich wüst war, dieselbe vertraute
Zweisamkeit gesucht wie du und in der
Poesie dieselbe Perfektion. An deine Kunst
reiche ich nicht heran, dein makelloser Vers
steht hoch über meiner Schnoddrigkeit, mein Ehrgeiz
hatte sein Pulver früh verschossen, und was nach
meinen Anfängen noch kam, war postumes Geschwafel.
Dann nichts mehr, das Glas war leer,
bevor ich es halb ausgetrunken hatte. Was
machte dich so standhaft und beharrlich?
Was speiste immer neu deine Quellen? Herkunft?
Entsagung? Kampf ums Überleben? Ist es angeboren?
Hat mich ererbter Reichtum korrumpiert oder
dass einer seine Lust an mir stillte,
als ich noch Kind war? Und erfüllte Zweisamkeit?
Nicht in den Höhlen, wo ich mich herumtrieb,
nicht als Nutte, die sich jedem andient.
Du bist in deinem Habitus erstarrt,
gepanzert – ich zerflossen wie Brei.

Fremdsein war uns gemeinsam, fremd
überall und mit allen. Du warst längst
im Exil, als du noch mit den Bildungstrupps
durch das Land zogst, vergeblicher Versuch:
einmal dazugehören, was bewirken, nützlich sein.
Ich blieb stets hier, schuf mir Nischen, die
meine Einsamkeit verbargen, Nischen, wo ich
wie unter einer Brücke, über die eben
ein Zug fährt, schreien konnte, ohne dass
jemand es hörte.

Schau mich nicht so an! Was solltest du mit mir?
Obwohl viel später geboren, bin ich inzwischen so
alt wie du. Der unbedarfte Lehrling, der ich war, wurde
zum unbedarften Trottel. Befreit fühlte ich mich,
als die Generation, auf die ich folgte,
gestorben war – und stehe jetzt selber
auf der Rampe, warte täglich
auf den Abpfiff. Geh weiter, alter Mann, dein Tod
erwartet dich in deinem Zimmer, noch vor
dem Frühstück. Es tut weh. Es geht schnell.
Du hast Glück. Con todo mi amor, J.


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