Direkt zum Seiteninhalt

Klaus Anders: Ätna - 35 Ansichten

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Jan Kuhlbrodt

Ätna



Heute brachte mir die Post einen ersten Band mit Gedichten, der in der Edition offenes feld erschienen ist. Nach der Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift beginnt der Verein nun also auch mit der Publikation von Büchern.
Schon in den Gedichten Brôcans und den Texten und Filmen Frank Wierkes, beide Protagonisten des Vereins, scheint etwas auf, was über das grassierende Neobiedermeyer á la Tempelhofer Feld erheblich hinausgeht.
Vielleicht braucht es ein Stadtfeld wie das Ruhrgebiet als Stichwortgeber, dieses Zersiedelte und von öffentlichem Nahverkehr nachts zuweilen schlecht Erschlossene, dass einem die Verflechtung von Natur und Kultur auf diese Weise vor Augen führt, wie es sich im Eingang von Wierkes Film über Michel Hamburger niederschlägt. Der Film zeigt einen struppigen alten Mann in einem struppigen Garten.

Auf dem Platz stand ich, ringsum
Ruinen,...


So beginnt ein Text von Anders.


Aus dem Gedanken, dass eines Tages eine menschenleere Erde auf ihrem angestammten Kurs eine Bahn um die Sonne ziehen wird, zog der Philosoph und Mitautor der Dialektik der Aufklärung, Max Horkheimer, angesichts der herrschenden instrumentellen Vernunft eine Art Trost. Wir werden, steckt dahinter, die Natur, der wir selbst angehören, nur vorübergehend überwinden. Es wird eine Zeit geben, da die Erde sich von der Menschheit erholt.

Zwanzig Jahre würde es dauern, las ich, und die Vegetation hätte ein verlassenes London zurückgeholt. Die Reste menschlicher Zersiedlung wären von Pflanzen überwuchert. Die Zivilisation erwiese sich dann als ornamentaler Rest.

Gerade aber, da wir uns noch ausbreiten und Stück für Stück die Erde einem kapitalistischen Verwertungsprozess einverleiben, sind es nur noch wenige Moment, die an jene Zukunft erinnern. Und diese Momente begegnen uns in ihrer Ungezähmtheit als Momente des Schreckens, denn weil wir unsere Ehrfurcht eingebüßt haben, in der trügerischen Hoffnung, wir könnten die Natur beherrschen wie uns selbst, haben wir auch den Schutz preisgegeben, der in der Ehrfurcht vor den Elementen lag.

Ein paar Obstbäume auf dem Tempelhofer Feld oder eine Regenwurmzucht auf dem Hinterhof stellen den ursprünglichen Status Quo nicht wieder her, sondern sind eher ein Ausdruck jener menschlichen Hybris, die zu schmelzenden Gletschern und Tsunamitoten geführt hat.

Vielleicht sind Tsunamiwellen und Vulkanausbrüche eben jene Momente, in denen die Natur uns ihre Unbeherrschbarkeit vor Augen führt, zumindest im Augenblick noch, und die Vulkankegel führen uns unsere menschliche Herkunft vor Augen, aus einer Zeit, als uns die Natur noch nicht beherrschbar erschien.

Wir saßen beim Frühstück, der
Honig troff vom Löffel aufs Brötchen.
Plötzlich tiefes steinernes Murren.
dann bebte alles. Miteins
die Treppe runter, Katz und Mensch.
Zwei Dachziegel zerschellten im Hof,
was Glück, nur ein Riß in der Mauer.


Vielleicht wird in diesem Text, Nummer 21, ein Unterschied deutlich. Im Angesicht des Vulkans sitzt man auf dem Sprung, Tier und Mensch. Und beide auch nicht so weit von einander entfernt. Die Beobachtung der unmittelbaren Umgebung erweist sich hier als überlebenswichtig, auch wenn die Lava sich in den Zeiträumen zwischen den Ausbrüchen zur Landschaft beruhigt.

Ist die Lava erkaltet,
zuoberst gewaschen vom Regen,
die ersten Siedler ein Seifenkraut,
winzige Nelke, wie Moos,
und Ginster, seine Haut derb, fast nackt
die Zweige, überwältigt das Gestein,
Fontänen aus Duft, aus Licht.


Vielleicht wird sich die Fauna dereinst so auch die Städte zurückerobern. Solang aber erweist sich die sogenannte Zivilisation von ähnlicher zerstörerischer Gewalt.

Klaus Anders liefert in seinem Buch Ätna Gedichte, insgesamt 35 in je sieben Versen, die den wohl berühmtesten Vulkanstumpf Europas in relativer Ruhe zeigen, aber sie zeigen auch die trügerischen Momente eben dieser Ruhe, die untergründige Aufgeregtheit, die der Unberechenbarkeit dieses Naturereignisses entspringt. Dem korrespondiert die relativ strenge Form der Texte.

Natürlich ist diesen Vulkan zu bedichten keine Erfindung des Zeitgenossen Klaus Anders, aber er fügt dem Korpus der Ätnadichtung seine zeitgenössische Variante hinzu, ohne auf Anleihen in der Tradition zu verzichten.


Klaus Anders: Ätna - 35 Ansichten. Herford, Norderstedt (Edition offenes feld) 2015. 76 Seiten. 16,00 Euro (bei amazon 10,50 €).

Zurück zum Seiteninhalt