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Kjartan Hatløy: Der weiße Weg

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Timo Brandt

Helle Wege in die aufscheinende Welt


„Was soll es bedeuten, dieses gelbe Erlenblatt, und es ist noch nicht einmal August? Das hier in diesen breiten, schwarzen und glatten Bach fiel. Von nun an gezwungen, zu folgen, mit dem Bach zu reisen auf seinem Weg durch diesen Tag, diese Stunde.“

Die 52 hier abgedruckten „Stimmungen aus Salbu“ (einem Ort an der Westküste Norwegens, 150 km nördlich von Bergen) waren ursprünglich SMS-Nachrichten, die der Dichter Kjartan Hatløy im Wochenrhythmus an den Filmemacher Frank Wierke schickte (Wierke und er hatten sich im Frühjahr 2014 kennengelernt, als Wierke Hatløys Übersetzer Klaus Anders nach Salbu begleitete). Er schrieb die Stimmungsbilder auf Deutsch, welches er sich durch die Lektüre von Büchern angeeignet hatte.

2016 erschien Wierkes Film über Hatløy, dessen Beziehung zur Natur und Poetik (SOLREVEN, dt. Sonnenfuchs), in dem einige der abgedruckten Stimmungen Pate für Szenen, Einstellungen, Aspekte standen. Diese Texte erschienen in Norwegen auch als Buch, Hatløy erweiterte dafür die ursprünglichen Texte auf Norwegisch. Klaus Anders übersetzte wiederum diese Erweiterungen ins Deutsche; so entstand diese Ausgabe in der wunderbaren Edition Rugerup.

„In diesem Umkreis bin ich der Priester für alles, auch wenn ich keine Myrrhe bei mir habe. Ich segne alles, was dieses Hier und Jetzt erreicht hat. Morgens segne ich den Morgen, für all das, was sich da aufbaut und will.“

Es ist vermutlich eines der sinnlichsten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ein dünner Band, in dem ein ganzer Kosmos steckt, geradezu entgegenleuchtet, schon nach dem Lesen von ein paar Zeilen.

Was auch daran liegen mag, dass die Sonne eine zentrale Position in der Poetik des Bandes einnimmt. Nicht nur als Lichtgeberin, sondern als Lebenselixier, als eine Möglichkeit, für Augenblicke aus dem Dunkel eines Weltalls hervorzutreten, welches nicht nur um unseren Planeten herum sich unendlich ausbreitet, sondern auch hinter dem Horizont unseres Lebens möglicherweise nur endlose Finsternis bereithält.
    (Natürlich hat die Sonne für Norweger*innen noch einmal eine besondere Bedeutung, da sie die eine Hälfte des Jahres im Übermaß vorhanden ist und in der anderen Hälfte oft nur für wenige Stunden hervorkommt.)

„Was spürt ein Rabe, wenn sie scheint? Etwas in ihr, das dieses Rabenindividuum plötzlich dazu bringt, den Fjord zu überqueren, mit Lauten, die denen eines jungen Bären bei guter Laune ähneln?“

Hatløys Naturbeobachtungen sind ebenso Beobachtungen des Belebten wie des Unbelebten. Für ihn fließt alles zusammen, denn die Erde, das All, die Existenz, das alles ist ein flüchtiger, aber angefüllter Moment. Und diese Fülle ist nie gering, sie ist nur manchmal feiner, manchmal heftiger, manchmal klarer, manchmal ruhiger.

Manchmal kann sie uns wie eine Befreiung überkommen, ein anderes Mal ist sie die Klarstellung, die unaufhaltsame Dynamik, der sich alles unterwerfen muss und der wir zwar wissend und erkennend zusehen, aber ohne etwas anderes an der Hand zu haben als unser Verstehen.

„Die Wir sind. Was wir unsere Tage nennen, ist noch nicht zerschlagen von der Ewigkeit, unsere Tage sind hier, doch eine kurze Frist ist gesetzt.“

Der weiße Weg ist der Kiesweg, der zu Hatløys Haus in Salbu führt – aber natürlich auch der Lebensweg, ein helle Flur, die kurze, glitzernde Kometenspur, die wir und alle anderen Dinge hinterlassen.

Die wichtigen Orte, die wichtigen Stimmungen, die seinen Alltag, seine tiefsten Eindrücke geprägt haben, schreitet Hatløy ab. Die Lesenden werden Zeuge einer aufgeladenen und zugleich unbekümmerten Natur, die ihren Betrachter tief an sich heranführt und ihn doch nur umkreist.

„Die blauen Sphären dort, wo der Fluss rauscht und schon vorüber ist, von Anfang an leicht von Brisen bewegt. Blaue Kommentare zum Schicksal des Flusses“

„Auch dieser Herbst gehört nicht mir, aber etwas von der Röte in der Eberesche, das ist meins“

Man nehme diesen Band oft hervor, schlage ihn irgendwo auf. Neben allem Strahlenden liegt darin eine Wehmut, die sich aber nicht durch eine ichfixierte Nostalgie hervortut, sondern als Widerspiegelung einer vom Lebendigen und Schönen durchwirkten Welt. Balsam für die Seele könnte man viele Momente in diesem Band nennen – was nach Kitsch klingt, und ich kann nur versichern: es ist kein Kitsch, es ist schlicht so. „Der weiße Weg“ ist ein heilsames, aufmerksames Kleinod.

Noch ein Hinweis: 2016 ist in der edition offenes feld auch eine umfangreiche Gedichtauswahl von Hatløy erschienen, die ebenfalls sehr lesenswert ist!

„Ein paar weiße Wolken, sehr hoch, treiben durch das Blau, das es zulässt. […] Bienen sind zugange. Wirken, als hätten sie eine feste Absprache mit dem, was wir seit Jahrtausenden den Sonnenschein nennen“


Kjartan Hatløy: Der weiße Weg. Stimmungen aus Salbu. Berlin (Edition Rugerup) 2018. 80 Seiten. 14,90 Euro.
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