Khalaf Ali Alkhalaf: Tagebücher eines Krieges – Syrien, allen bekannt
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Timo Brandt
Von allen Seiten über
den Irr-Sinn des Krieges
„Krieg beginnt und endet.Übrig bleiben Fotos zur ewigen Erinnerung an ihn.Auch jede Menge Zahlen, die unsterblichen Zeugendafür, dass Krieg stattgefunden hat.[…]Zahlen bewegen jeden, gehen von Mund zu Mund.Zahlen sind das kollektive Gedächtnis des Krieges,unauslöschlich.[…]Wenn Krieg zu Ende ist, schreiben die Historiker:Dieser Krieg forderte 353411 Menschenleben, 211312Personen werden vermisst, 826347 Häuser wurdenzum Teil und 529803 Häuser völlig zerstört.
Die rastlos umherirrenden Seelen, die Kriegverfluchen, bleiben ungenannt.Die Historiker erwähnen nicht, dass Opfer Nummer12345 eine blinde Mutter hat, die nun vollkommenhilflos ist.“
Khalaf Ali Alkhalaf wurde 1969 in Syrien geboren, lebte in
Saudi-Arabien und Ägypten und seit 2014 in Schweden. Die Gedichte in dem Band
„Syrien, allen bekannt“ entstanden in den Jahren 2012-2014 und sind auch
jeweils mit einem Datum versehen. Aus dem Arabischen übersetzt wurden sie von
Leila Chammaa; die Texte sind nur auf Deutsch abgedruckt.
Das Buch gliederte sich in mehrere Kapitel, deren Texte
unterschiedliche Aspekte des Krieges in Syrien beleuchten und sich auch
teilweise im Stil unterscheiden. Am Anfang stehen die beiden Kapitel „Tagebuch
des bevorstehenden Krieges“ und „Tagebuch des herrschenden Krieges“ – darin vor
allem kürzere Gedichte, in denen Alkhalaf den Krieg als personifizierte
Konstante, als Abstraktion und gleichsam als konkrete Erscheinung auftreten
lässt, die alles durchdringt. In die Beschreibungen mischen sich immer wieder
Anteile von Satire, Zynismus und Überzeichnung, so zum Beispiel gleich im
allerersten Gedicht, wo es heißt:
„Sei gegrüßt, Krieg,tritt ein!Fühl dich wie zu Haus bei deiner Familie,trink so viel du magst von unserem Blut,iss dich satt an unseren Toten.Versprich nur eines,dass du den Diktator mitnimmst, wenn du gehst.“
Dieses konfrontative und gleichsam hinterfragende Element
zieht sich durch alle Kapitel, ist immer wieder eine zentrale Dynamik in
Alkhalafs Gedichten. Grundsätzliche Ambivalenz gewährleistend, hat dieses
Element zwar mitunter etwas Irritierendes, bewahrt die Gedichte aber davor,
rein propagandistisch oder schematisch zu wirken – es gelingt ihnen im
Gegenteil sogar, rhetorisch zu arbeiten und gleichzeitig die Einseitigkeit
vieler Rhetoriken zu entlarven.
Dabei wagt er sich dann und wann auch auf heikles Terrain,
zum Beispiel wenn es um die Mechanismen von medialer/öffentlicher Trauer geht;
so heißt es in einem Gedicht:
„Sterbt, ihr tapferen Helden! Dann können wir sichtbartrauern. Unsere Trauer ungefragt erläutern.Herumerzählen, dass Menschen gestorben sind, diewir kannten, die unsere Freunde waren.Sterbt! Dann würdigen wir euch in Nachrufen. Wirzeigen uns in den Nachrichten, erklären aufgebrachtder Sprecherin: »Verehrte Dame, dieses Regime tötetUnschuldige!«Unser Foto im Facebook-Profil ersetzen wir durcheures.“
Nach den Tagebücher-Kapiteln folgt „Aufs Geratewohl – Ein
paar der vielen Massaker“. Zu den meisten Gedichten, den aufgegriffenen und
beschriebenen Massenmorden, aus diesem Abschnitt, gibt es im Anhang des Buches
Hintergrundinfos. Die lyrischen Texte sind eher malerisch, fast schon mystisch,
und weniger dokumentarisch.
Im anschließenden Kapitel „Kriegsreden“ lässt Alkhalaf
Figuren auftretenden und über das Dasein des Krieges und den Zustand des Landes
reden, berichten, polemisieren (aus diesem Kapitel stammt das oben zitierte
Gedicht über öffentliche Trauer).
Es folgen noch die Kapitel „Todesmetaphern“, „Am Randes des
Krieges“ und „Syrien, allen bekannt.“ In letzterem rückt Alkhalaf das Exil in
den Vordergrund, schreibt auch über die eigene Position:
„Ich sinke in den Schlaf, mir bewusst, dass es sich nichtgehört, über Krieg und Tod zu schreiben, während ichim warmen Bett liege. Auch wenn ein Sturm wütet.Auch wenn diejenigen, die Krieg anzetteln und dasTöten anordnen, noch wärmer gebettet sind als ich.“
In den anderen beiden Kapiteln stellt er vor allem dar, wie
Krieg und Tod für viele mittlerweile zur Normalität geworden sind (es klingt
aber auch das Verhältnis westlicher Medien zu dem Konflikt an, eine Kritik der
Berichterstattung scheint durch):
„Das Leben hält den Webstuhl beharrlich in Gang, webtstur weiter den Teppich unserer langen Tage. Und wir,wir lasten unseren Lieben nach wie vor ihre Fehler an,schimpfen die Kinder aus, wenn sie abends zu langeaufbleiben. Trotz all der Dinge, die wir gesehen habenin diesem Krieg.[…]Eigenartig dieser Kriegtrotz allen Bemühungen, Spannendes zu präsentieren,ist er langweilig gewordenund schleppend.“
In einem anderen Gedicht wird wiederum beschrieben, wie die
Mutter des lyrischen Ichs nicht glauben kann, dass in der Realität des Krieges
mittlerweile die einfachsten zwischenmenschlichen Abmachungen nicht mehr gelten
und auch auf Helfer*innen und Trauernde geschossen wird.
„Meine Mutter stammt aus einer anderen Zeit. EinerZeit, in der man – wenn ein Trauerzug vorbeiging –schwieg, das Radio ausschaltete, stumm grüßte. EinerZeit, in der man für den Verstorbenen die EröffnendeSure rezitierte oder ein Kreuz machte, auch wenn manihn nicht kannte.Meine Mutter glaubt nicht, was jetzt geschieht.“
„Syrien, allen bekannt“, der Titel sagt eigentlich schon
alles und verspricht nicht zu viel. Das Buch ist eine Chronik der ersten zwei
Jahre des Bürgerkriegs und deren Stimmungsbild, die lyrische Essenz eines
eskalierten und abertausende Menschen betreffenden Konflikts und seiner
Auswüchse.
„Krieg muss gezündet werden von Menschen und nährtsich dann von ebendiesen. Je mehr er verschlingt,desto unbändiger sein Lodern und desto schwierigerwird es, ihn zu löschen.“
Khalaf Ali Alkhalaf: Tagebücher eines Krieges – Syrien,
allen bekannt. Berlin, Tübingen (Verlag Hans Schiler) 2918. 154 Seiten. 18,00
Euro.