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Kerstin Fischer: Pfauenwasser

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Ursula Maria Wartmann

Kerstin Fischer: „Pfauenwasser“, Oberhausen (edition exemplum, Athena Verlag) 2025. 112 Seiten. 17,90 Euro.


Der neue Lyrikband von Kerstin Fischer ist eine flammende Ode an das Leben. Und: Er ist eine Ode an den Tod. Aufwühlende Ambivalenzen durchziehen den Band der norddeutschen Autorin – wieder erschienen in der edition exemplum im ATHENA Verlag. Ambivalenzen sind es, die mit Urgewalt Meere oder Libellen tanzen lassen, die rostige Ränder der Städte und stille Zimmer besingen – und die beinahe in jedem Moment das Bewusstsein für eines nicht verlieren: dass wir gefährdet sind, zerbrechlich. Und nah, in jeder Sekunde nah am unausweichlichen Tod:

„In mir wächst ein Baum
mit jungen Zweigen
in den Tod.“

ist eins von fünfzehn Kürzestgedichten (von insgesamt gut einhundert Gedichten), das ohne Titel prägnant und unprätentiös das Problem auf den Punkt bringt.

Kerstin Fischer hat mit „Pfauenwasser“ ihren Namen als kluge und hochsensible Sprachvirtuosin gefestigt. Ihre expressiven Sprachbilder und Metaphern rütteln an den aus gutem Grund verschlossenen Türen tief in uns selbst; sind durchaus geeignet, alte Ängste neu zu mobilisieren. Sie sind aber auch geeignet, eine Kraft zu mobilisieren, die antritt, dem Tod zu trotzen.

Drei Textblöcke umkreisen mit immer wiederkehrenden Motiven die Themen Schmerz und Tod – auch Todessehnsucht wohl; der Hang zum Fragilen, Morbiden ist augenfällig und bringt faszinierende Bilder hervor.
„Schon im Winterfell stehe ich am Rande der Erde,
vor blau blühenden Gräbern.“

heißt es in „Exitus“.
In „Spur“ heißt es aber

„… Ich schreibe Not in mein Buch und gelinge.
… Über dem Steinboden treiben warm die Bilder aus,
zart und grün.
Durch das Glas fällt herbe Wintersonne,
die nach Flüssen riecht.
Meine Spur entsteht.“
Kerstin Fischers genaue Beobachtungen münden in sehr besondere Assoziationen: Verrätselt, fantastisch, verfremdet. Da ist viel Platz für Interpretation und Hineinweben ins eigene Erlebte. Viel von dem, was Sprache an religiösem Vokabular parat hat, wird genutzt: Hostie, der Gesalbte, Engel, Altäre, Abendmahl ... Der Verlust scheinbar heilsbringender Kindheits-versprechen tut ein Leben lang weh.

„…Zangen aus Zeit schmerzen die kranken Glieder,
die vor Altären betteln.
Das Gewissen, ein zahmes Reh vor Opferstöcken,
trinkt die schwarzen Flecken von den Lungen.
…“ (aus: Kreidezeichen)

Überhaupt: die Tiere. Viele von ihnen bevölkern Fischers geheimnisvolle Welt. Neben den Rehen auch Raben und Ratten. Libellen. Vögel und Fische. Und Schwäne und Muscheln.
Überhaupt: das Meer. Das Meer in x Variationen – die Autorin lebt knapp eine Autostunde von der Nordsee entfernt – bedrohlich oder mild.
Überhaupt: die Natur. Kirschen und Kornblumen unterm Mond. Felder und Mohn, laubnasse Parks und dunkle Gärten; der heimische Garten als Trostspender zuweilen:

„Der dunkle Wintermorgen hüllt den Garten in Gebrechlichkeit.
Reste von Schnee wie verlorene Tage. …
Um die Blätter eisige Häute wie Pelze.
In dem Teich sind Geheimnisse erfroren. …
Ich bewege warme Orangen in meiner Hand, …“ (aus: Gartenbegehung)

Häufig werden Innenräume gezeichnet: still und abgeschieden; sie erinnern sie an die Bilder des genialen Vilhelm Hammershoi. In Zimmern wird Geborgenheit erlebt, gelegentlich mit einem Du, das wir nicht kennen. Oder das Gefühl von Gefangensein:

„Gefangen in sonnengelben Zimmern.
Meine Hände kleben wie Schnecken an den geschlossenen Fenstern.
…“ (aus: Strandfeuer)

Auch als Ort kontemplativer Überlegungen kann ein stiller Raum dienen:

„Ich sitze am Fenster, vor der Ruhe des Gartens.
Hinter den geschlossenen Augen der Kirsche wohnt schon der Winter.
Schwalben gleiten durch das warme Sterben des Sommers.
Das Zimmer formt die Totenmaske der Mutter.“ (ohne Titel).

Nur einmal noch taucht die Mutter auf, in „Werdegang“:

„Meine Schritte schwimmen wie Fische durch die Mittagsruhe der Stadt. …
Ich laufe zum Bahnhof, um den Zugvögeln zu folgen.
Die Gleise schmecken nach Blut. …
Ich lege die Hände vor die Mutter in meinem Gesicht …“

Das ist groß und erschütternd. Nicht weniger groß die Kraft, die sich, quasi wie ein Manifest zum Leben, zum Weitermachen, auch im Gedicht „Menschenleer“ zeigt:

„In den dornigen Morgen welken Gedanken.
Meine Schmerzen sind noch schüchterne Greise.
Ich flüchte in die weißen Wiesen des Papiers
und webe Worte in menschenleere Täler.“



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