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Kaveh Akbar: Den Wolf einen Wolf nennen (2)

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Timo Brandt

Kaveh Akbar: Den Wolf einen Wolf nennen. Englisch/deutsch. Übersetzt von Jürgen Brôcan. Berlin (Hanser Berlin) 2021. 185 Seiten. 20,00 Euro.

Ready to show you the mess I've made


„Um die Welt zu ordnen:
Ich brauche, du brauchst, er/sie/es braucht.

Der Rest ist für den hungrigen Schakal
hinten in meinem Kopf.“

Die Gedichte von Kaveh Akbar zu lesen ist ein bisschen so, als würde man mitten in der Nacht aus einem diffusen Traum erwachen und dann, noch etwas orientierungslos, vielleicht sogar etwas verstört, hören, dass jemand im Gebäude oder draußen vor dem Fenster, im Hof des Gebäudes schreit. Und statt sich, wie meist, zu denken, dass der*diejenige betrunken ist oder verrückt, würde man zuhören.

Und es käme dann zu Bewusstsein, dass, obgleich euch viel unterscheidet, dich und die schreiende Person, ihr beide in demselben gigantischen, mitunter furchteinflößenden, in jedem Fall unüberschaubarem Kosmos lebt, in dem alles passiert ist und von dem du je gehört hast und in dem noch viel mehr geschehen wird. Und für einen Moment erscheint es nicht weniger, wahnsinnig still dazuliegen und sich von dem letzten tiefen Traumgespinst zu lösen, als draußen im Hof zu stehen und zu schreien.

„Wie die frustrierende Jagd

einer Katze mit Glöckchen wurde mein Angebot, mich zu bessern,
durch den Lärm dabei zunichtegemacht. Wie sehe ich heute aus,

besser oder schlechter als ein essbares Arrangement
in mittlerer Preislage? Ich versiegele alle meine Fehler mit Platin,

sodass sie glänzen wie der Lauf einer Laserkanone.“

Was zuerst auffällt an den Gedichten des 1989 in Teheran geborenen und in den USA lebenden Akbar: sie sind wortgewaltig. Geradezu zügellos. Ihr Einsatz von Bildern könnte man als hemmungslos beschreiben, als wäre jedes Bild ein Argument, das den Lesenden schlagartig etwas klarmachen soll. Manchmal gelingt dies auch, dann wirken diese Bilder wie unausweichliche Fakten, wie ein Schlaglicht, das ein bisher nicht gesichtetes Phänomen des Verstandes, des Gefühls, sichtbar werden lässt.

Aber diese Bilderflut kann auch, bei allen überwältigenden Qualitäten, ornamental wirken. Dass diese Fülle die Gedichte dennoch nicht in Schieflage versetzt, verdankt sich wohl der Tatsache, dass zu dem Zeitpunkt, wo die Bilder sich zu türmen beginnen, die Gedichte bereits so tief in ihre Themen hineingetrieben haben, dass selbst das überladene Dekor immer noch ziemlich trefflich wirkt und die Atmosphäre nicht unterminiert.

„manchmal fühle ich Schönheit und Todesnähe
wie eine Feder am Pfeil der durch einen Hals schießt“

„Weißt du, wie schwer es ist, einen neuen Fluss auszuheben?
Eine einzelne Zunge in einem Sack voller Zähne zu sein?“

„als Kind war ich nicht so fremd wie ich winzig war meine Seele
noch unversmogt auf ihrem Posten“

„täglich findet jemand was er braucht
in jemand anderem
                                   du wühlst in einem Körper
und kommst hervor mit einer Handvoll genau jener
Federn nach denen du gesucht hast fragst dich
warum einer so viele vollkommene Federn
verschlucken sollte […]
man sagt mir dies geschieht
überall auf der Welt“

Die Intensität in der Stimmung erreichen die Gedichte, indem sie, wie oben beschrieben, Emotionen in uns ansprechen, die wir meist lieber unter der Oberfläche halten. Angst vor Ablehnung, Unsicherheiten insgesamt, oder den Wunsch, die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Liebe, einem Daseinszweck oder zumindest einem Platz, wo wir bleiben können, einer Idee, der wir uns zugehörig fühlen können – alles Dinge, die uns antreiben, die aber selten verlautbart werden. Wer will schon jemand anderen mit all seinen Sorgen, Ängsten, Bedürfnissen, etc. überfallen. Vermutlich wird die Person uns dann nicht mehr verstehen (wollen), Reißaus nehmen. Wir können uns nicht einfach irgendwo hinstellen und herausschreien, was uns schmerzt, verfolgt, umtreibt, keine Ruhe lässt.

Genau das aber passiert in den Gedichten. Es sind Schreie, Rufe, ungefiltert, und so versessen mitunter, dass sie kryptisch werden, dann wieder legen sie dar, klar und greifbar, dann dunkeln sie, werden fast schon bedrohlich und obskur, dann wieder nachvollziehbar, einfühlsam, geradezu anrührend. Bei all dem thematisieren sie Begehren und Identität, Einsamkeit und Familie, Glauben und Hilflosigkeit und, immer wieder, Alkoholsucht.

„ schon mein ganzes Leben lang habe ich jeden Hilfeschrei mit
einem Schluck beantwortet   mit einem Abwenden       ich gab dieser Kälte viele
Namen     dachte wenn sie einen Namen hat gäbe es eine Lösung   dachte wenn
ich den Wolf einen Wolf nenne könnte ich dadurch seine Reißzähne stumpf ma-
chen    jahrelang trug ich die Kälte wie einen Diamanten herum    hielt sie dicht
bei mir      so nah wie das Blut      bis ich eines Tages erwachte und sie vollständig
in mir war       wir beide zerstört und unkenntlich    zwei Münzen auf einem Gleis
vom Zug zerquetscht zu einer“

„Also vertraut mir: wenn ich Durst sage, heißt das besiegter,
vom Glauben abgefallener Durst, einsam wie ein langsamer Lauf ins Bajonett.
Stell dir vor, du wärst Sand, den man zwingt zuzusehen, wie Schlamm

im Nil tanzt. Stell dir vor, du wärst Öl, das einen Menschen verbrutzelt.
Heute entdecke ich Probleme an Stellen, wo ich früher keine Stellen hatte.“

Obwohl diese Alkoholsucht als wiederkehrendes Thema eine Art zentralen Aspekt darstellt, ist, hoffe ich, klar geworden, dass Akbars Gedichte intensive Auseinandersetzungen mit allen möglichen Aspekten menschlichen Daseins enthalten. Am faszinierendsten empfand ich persönlich, überraschenderweise, wie er sich in seinen Texten immer wieder mit Glauben und Gott beschäftigt, auf eine manchmal geradezu sakrale, dann wieder ganz profan wirkende Art und Weise. In einem Gedicht mit dem Titel Gott heißt es bspw. am Anfang:

„Ich bin bereit für deine Rückkehr. Ob in einem Zug voll sterbender Krimineller
           oder auf dem schimmernden Rücken einer Heuschrecke, du wirst wieder
                gebraucht.“

Fazit: Gedichte, die mitreißen, umtosen und dann eine nachdenkliche Stille zurücklassen. Gedichte, die manch gut gepanzertes Gefühl, so behaupte ich, leichter aufbrechen als ein heißes Messer durch Butter geht. Gedichte, die schreien und die doch nur wollen, dass man ihnen zuhört. Die deswegen schreien; die trotzdem schreien.

„Es ist anstrengend, demütig
zu bleiben in der Unbeständigkeit des Glücks. Es ist schwierig,
überhaupt etwas zu sein, wenn die ganze Welt direkt zur Verfügung steht.“

„hättest du lieber
einen Tag der still beginnt und mit Liedern endet oder das Gegenteil
beides kannst du nicht haben“


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