Kathrin Schmidt: waschplatz der kühlen dinge
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Ulrich Schäfer-Newiger
stillgequälte formen
in den bänden
Kathrin Schmidt: „waschplatz der kühlen dinge“
Kathrin Schmidts jüngsten
Gedichtband mit dem Titel „waschplatz der kühlen dinge“ halte ich alleine
deswegen für erwähnenswert, weil sich darin ein heutzutage selten noch zu
lesender, ganz klassischer Sonettenkranz findet. Die Autorin füllt diese traditionelle,
ursprünglich aus dem frühen Barock stammende Gedichtform (die sie, wie alle
Texte in dem Band, in konsequenter Kleinschreibung darbietet) mit einem sehr
gegenwärtigen politischen Inhalt. Ihr Sonettenkranz trägt den Titel: „das boot
setzt über. (dem Hand- und Kopfwerk des
Übersetzens)“. Schnell wird deutlich: Bei den Booten handelt es sich um
Flüchtlingsboote. Und es geht um das allgemeine und eigene Verhältnis zu diesen
Flüchtlingen und Flüchtlingsboten und zu der Sprache, mit der dieses
‚Übersetzen‘ geschildert werden kann.
Wir erinnern uns: Ein
Sonettenkranz besteht aus vierzehn Einzelsonetten plus einem fünfzehnten
sogenannten ‚Meistersonett‘. Dabei entspricht jeweils die letzte Zeile des
ersten Gedichts der ersten Zeile des zweiten bzw. folgenden Gedichts und so
fort. Die letzte Zeile des 14. Sonetts entspricht wiederum der ersten Zeile des
ersten Sonetts. Das 15. Sonett nun besteht in unveränderter Reihenfolge aus
allen vierzehn Anfangs-(bzw. Endzeilen) der Einzelsonette. Diese äußere
Formalie hat Kathrin Schmidt streng eingehalten.
Wir erinnern uns weiter, dass jedenfalls das klassische italienische Sonett aus 14 gebundenen Verszeilen besteht, die aufgeteilt sind in zwei Quartette, an die sich zwei Terzette anschließen. Diese äußere Form eines Sonettes findet sich durchaus nicht wenig in moderner Lyrik. Im Jahrbuch der Lyrik 2018 habe ich mindestens drei gefunden. Jan Wagner – aber nicht nur er – scheint auch ein Freund dieser Form zu sein; in seinen „Regentonnenvariationen“ finden sich mindestens sechs Texte, die diese äußere Form beachten, in ‚Selbstporträt mit Bienenschwarm‘ mindestens zwei (andere Formen des Sonetts, welche die 14 Zeilen anders aufteilen, sind hier gar nicht mitgezählt). In den wenigsten Fällen freilich sind die Verszeilen streng gebunden, wie indessen bei Kathrin Schmidt: Ihre Verse sind in der Regel Elfsilber mit weiblicher Endung (also klassische italienische ‚endeca-sillabi‘) Dabei reimen sich bei Kathrin Schmidt die 14 Verse in den 15 Sonetten jeweils streng wie folgt: abba in den beiden Quartetten und in den beiden Terzetten aab / ccb.
Ein hochbrisantes politisches
Thema wird hier mit Formbewusstsein in Beziehung gesetzt zu einem hochbrisanten
poetischen Thema („Alles Schreiben ist Übersetzen“, Novalis, oder ein von
Kathrin Schmidt als Untertitel in einem anderen ihrer Gedichte zitierter Spruch
von Benn: „Gott ist Form“), nämlich das „Übersetzen“ in strengste, alte Gedichtform.
Dieser gewagte Spagat liest sich
dann beispielsweise im 8. Sonett so:
und ausstreut in geringer zeichendichteauch briefpapier – in unverwandter sprachebleibt doch das schriftstück eine hochdrucksacheund stört die andacht dumpfer gleichgewichte.die scheidelinien alter kontinenteverwischen sich, die digitalen köpfelegierter sprachen brauchen auspufftöpfefür clauds withs loops and samples ohne ende.wo neozoenwörter miteinandersehr heftig kungeln am belangexpanderheißt zen im wald – wer will das wissen? -wald-zendass der verstand nicht schrumpft, schein allen heilig,doch wird der zwang zum fühlen unverzeilich:du kennst das salz der salze doch vom balzen.
Da werden zunächst Anglizismen und Neologismen, für oberflächlich-schwachsinnigen,
technisch- politischen Sprachgebrauch stehend, in streng-soliden Versen als
Bestandteile längst legierter Sprachen entlarvt. Eine kritisch- politische
Aussage ist diesen verschränkten, dichten Versen durchaus zu entnehmen. An anderer
Stelle, Ende des sechsten, Anfang des siebten Sonetts, wird die Autorin
deutlicher: du wählst, stimmst ab, du
bist geeicht auf töne / und ölst im namen deiner saften söhne, / was hier
muslimisch knirscht am wahltagmorgen // was hier muslimisch knirscht am wahltagmorgen,
/ bleibt unterschwellig. deine stimmabgabe /bleibt gottgefällig, und das
protzgehabe/ der säkularen gilt nicht alltagssorgen. Hier schreibt jemand
doch poetisch (und damit auch: artifiziell-verdeckt) an gegen gottgefällige
Stimmabgaben bei Wahlen (man kann ja bewusst so wählen, dass es nicht
muslimisch knirscht, lese ich im Subtext) und gegen das Protzgehabe von
Säkularen, welches nicht den Alltagssorgen (mutmaßlich derjenigen, die ihre
Stimme bei Wahlen abgeben) gilt.
Konsequent wird der Verlust von Wörtern, Metaphern, Sprache wiederholt
und deutlich benannt: …sonette oder stanzen / nur stillgequälte
formen in den bänden (2. Sonett), und: das
boot wird zwar getreidelt, aber niemand / kennt noch das Wort dafür. (10.
Sonett.) oder: metaphern fliehn und
lassen deutlichkeiten / zurück (7. Sonett), oder: jetzt nur kein streit, wie die vergessnen sprachen / zerwirbeln in den
unterwasserlachen .(13. Sonett), oder: wir
setzen über. aus der tagbewegung / ins nachtvertrudeln. aus gebrauchter sprache
/ aus sprachgebräuche und verständnisbrachen, / wir warten auf das dämmern der
erregung. Nicht immer scheinen die gesuchten Sprachbilder gelungen (ein zukunftslümmel steht am pier; die
halbwertsbreite der nesselsucht) oder bedienen sich unnötig, mittlerweile zu
Plattitüden heruntergekommener Redewendungen (wer hier zu spät kommt, der bestraft. das leben / muss sich mit weniger
zufrieden geben,..).
Haben hier die streng gewählte Form und der Inhalt etwas miteinander
zu tun? Oder wurde der politische Inhalt in die komplexe Form eines
Sonettenkranzes ‚gequält‘, um zu zeigen: Die Autorin versteht ihr Handwerk?
Einer der strengsten sprachlichen Formalisten, Rudolf Borchardt, vertrat die
Ansicht, dass eine gelungene, „wirkliche Übersetzung … wenig mit Buchhaftem und
alles mit dem Lebendigen zu tun haben wird. Das zeigt sich schon im
alleräußersten, der metrischen Form“ (zitiert aus: ‚Das Gespräch über Formen‘).
Die metrische Form kann demnach nicht nur als überraschender Rückgriff auf
althergebrachte Darstellung gesehen werden, sondern verlangt auch den Ausdruck
des Lebendigen. Oder Friedrich Schlegel: Die schöne Kunst „verlangt Rhythmus
und Melodie: denn nur die gesetzmäßige Gleichartigkeit in der zwiefachen
Quantität aufeinanderfolgender Töne kann das Allgemeine ausdrücken“ (zitiert
aus: ‚Über das Studium der griechischen Poesie‘). Diese poetologischen
Markierungen mögen alt und etwas aus der Zeit gefallen sein. Aber sie sind zugleich
hilfreiche Anhaltspunkte: in Schmidts Sonettenkranz geht es um sehr Lebendiges und
Allgemeines zugleich: Flucht, Überleben, Verluste, Ängste, Sprache,
Sprachverwendung. Eine gelungene Verschränkung
von Politischem (sprich Allgemeinem – in dem Sinne, dass ‚politisch‘ das ist,
was alle angeht) und Poetischem (Lebendigem) kann vielleicht auch in einer
strengen sprachlichen Form adäquat bewerkstelligt werden. Brecht und Nowak mögen
dafür beste Beispiele sein, wenn auch politisch viel deutlicher artikuliert.
Der Sonettenkranz freilich ist in der von der Autorin benutzten
strengen Form selbst klar aus der Zeit gefallen. Sie verbrämt damit zugleich ihre
erkennbare politische Ansicht.
Die Autorin beschränkt ihren politischen Bezug freilich nicht auf die
Form des Sonetts. Das Gedicht mit dem Titel „septemberkurzschrift“ ist in zwanzig freien Versen verfasst und
greift die Flüchtlingsproblematik wieder auf. Und auch hier wird wieder das
ambivalente Gefühl des lyrischen Ichs / der Autorin angesichts der Flüchtenden
deutlich, wenn „im Spiegel von
Schuldigkeiten“ die Länderabkürzungen IRQ, IRN, SYR, AFG Schicksal spielen –
und mancher im tross ein erkaltetes kind
unter der zunge trug, derweil das Ich, in den Anklagezustand versetzt, Verzweiflung
wittert, während ein Enkel geboren wird, der
nichts dafür kann, keine syrische mutter zu haben. Am Ende prozessierte der eine gegen den anderen
blick der schönen europa. Sehr widersprüchlichen Gefühlen wird hier
poetisch verbrämt Ausdruck verliehen.
Das letzte Gedicht im Band „amazonien
amazon“ (das sich auch im Jahrbuch
der Lyrik 2018 befindet) ist ebenfalls ein solcher Text: Freie Verse, nicht
an eine besondere Metrik gebunden, keine Strophen. Stattdessen die Darstellung
des Verlustes der Identität als Amazone, auf deren „konto keine krümmung der jahreszeit,/ kein wetterleuchten vom
krisenblitz“ sich befindet, der nach billigen Indern kein Sinn steht, die
aber weiß: „und dennoch klagt die amazone
in mir/ offene grenzen ein. sprichts/
und legt die weibliche endung beiseite. / ich schaue dem e hinterher, meinem/
blauen, so blauen begehr. Ob es sich um eine ironische Darstellung des
Verlustes weiblicher Identität handelt (nachdem zuvor auch ganz aktuell Trump
erwähnt wurde: „hörst du im wüten washingtons trumpet“), sei dahingestellt.
Bei Kathrin Schmidt kann man aufgrund ihres schnoddrigen Tones meist
nicht sicher sein, ob sie etwas ironisiert oder nicht. Oft, meine ich, kommt
das sehr Ernste schnoddrig-ironisch verkleidet daher, etwa in dem Gedicht mit
dem fast unaussprechlichen Titel paleski
radyaytsina-ekalagichny, pogonnoye, welches, so lernt der Leser hinten in
den Anmerkungen, ein Nationalpark in Weißrussland ist, nahe der ukrainischen
Grenze und zu Tschernobyl. Da heißt es: meine
kontermutter schlug mit gabeln / gegen den himmel, rammte die bleiche puppe /
in den reisegrill. Als sie zu schmelzen begann, lachte ich vorsichtig. Und:
aktiv wir gesunde babys lallten wir vor uns
hin, das metronom / versuchte vergeblich, uns im takt zu halten. Auf diese
Weise gelingen der Autorin immer wieder unerwartete, sozusagen frische, ja witzige
Bilder, die auch eine mitunter gefährliche sprachliche Schräge nicht scheuen: mein eisiger standpunkt / tritt sehr beherrscht auf und ködert / die
temperaturen , oder noch besser: auf
regennassen straßen schwamm er [ein von einer Beinverletzung stammender
Blutfleck] im off aus dem er nachher / zurück ins on
troff … mein altgewordener uterus ulkte,
das sei die aleppo-angst, das sei der ganze verwichste kram der geschichte.
Unter anderem auch lesenswert sind die sieben Varianten über einen
völkischen, lampedusischen, fügsamen, ländlichen, greinenden, dunklen und
schließlich impulsiven Durst. Hier gelingen der Autorin eindrucksvolle, z.T.
selbstironisch-schöne Bilder: nichts
kehrt von unten zurück, was einmal versank / im schlotzenden boden, die erde hält
sich mit flüssiger taktik / auf abstand. zu mir. zu dir. wir wohnen eine treppe
/ überm parterre, wo verlust haust in wilder ehe / mit bruch. Solche beglückenden
Formulierungen sind es, derentwegen die sprachlich direkten, lustvollen und
aggressiven Gedichte von Kathrin Schmidt immer wieder gelesen werden können.
Kathrin Schmidt: waschplatz der kühlen dinge. Gedichte. Köln (Kiepenheuer
& Witsch) 2018. 94 S. 16,00 Euro.