Katharina Schultens: untoter schwan
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Bewegung und Konfrontation
Es passiert mir oft, dass Gedichte mich in die Falle locken, dass ich mit dem wohligen Gefühl der Vertrautheit anfange zu lesen, und mir dann irgendwann der Boden unter den Füßen weggezogen wird und ich mich in fremder Umgebung wiederfinde.
Ich mag solche Gedichte.
Es passiert mir auch oft, dass das wohlig-vertraute Gefühl bleibt und ich ein Gedicht lese, als hörte ich einer geistesverwandten Stimme zu.
Solche Gedichte mag ich auch.
Nur selten aber geschieht beides gleichzeitig wie in den Gedichten von Katharina Schultens' neuem Band „Untoter Schwan“. Die ziehen mir ganz wörtlich verstanden den Boden unter den Füßen weg: „im küchenboden ist ein dämonenauge aufgegangen, es fängt den vollmond ein / in seinem glitzern…“, und mehr als einmal werde ich zwischen verschiedenen Welten hin und her versetzt, von einem Kartoffelfeld aufs Börsenparkett, auf eine Intensivstation oder gleich unter Wasser. Dennoch fühlt sich das nie falsch an (befremdend schon, aber das ist ja auch gut so), und wenn ich dann vom Ende aus das Gedicht zurücklese („sprich rückwärts“ heißt dann auch ganz passend eines der Gedichte), finden sich auch immer die Punkte, an denen die Welten ineinander übergehen, markiert durch Assonanzen (schlüssel im rücken; dronen und drosseln), Assoziationen und andere Schaltstellen, die sich oft erst im Rückblick als solche erweisen.
diese bienen schwinden niemein körper: eine insolvente imkereiihr nachtlicht zuckt noch. flimmernlücken zwischen echo und wissenwas gestehen wir uns inzwischen zuich hangele an einem detail durch den tagein stilles, manchmal summenlossteppenglanz-sandgänger-schwebe-kegel-buckel-flecken-vergessen-schmuck-schenkel-trauer-düster-wesepen-: bienenerst seit sie schwinden, wimmeln siezeilenweis: töten, verproviantieren, schmuggelnnichts, kippe den text. kommt wenig. trockene schleuder —fällt mir ein, dass ihre summe einer echse ähneltan den rändern dieses schwarms. in seinem blickje älter ich werde, desto öfter sehe ich sieein stromkasten vibriert, alte sprache drinnenkein detail in dem ruhe wär im kinderbuch ein bärdurchsucht mein nest nach kuckucksbienen

Abgesehen
von dem bewundernswerten Ausdruck „kuckucksbienen“ (und ja: meine Bewun-derung
hat hier einen gewissen Hang dazu, in Neid überzugehen…) und dem großartigen Reim in der vorletzten Zeile
(auch solche finden sich immer wieder in diesem Band) zeigt dieses Gedicht viel
von dem, was mir den untoten Schwan so wertvoll macht. Schultens' Kühnheit
etwa, den Körper zu einer poetologischen Instanz zu machen („ich bin keine
bienen“; „mein körper ist eine kerze / so viele enden hat keine“; „mein körper
speichert echos…“ — es gibt noch mehr solcher
Beispiele) und ihre Fähigkeit, Welten aufeinander prallen zu lassen, wie die
alte Sprache und den Stromkasten (auch hier finden sich mehr Beispiele, die
„elfenfabrik“, „meine Embryos sind rote bohnen“…).
„kein
detail in dem ruhe wäre“: Schultens' Gedichte sind in ständiger Bewegung, oder
besser: Sie bestehen aus einer ständigen, vibrierenden und spiralförmigen
Bewegung verschiedener Welten, in die Schultens die Wirklichkeit aufbricht wie
ein Prisma weißes Licht in Farben.
„dieser
schleier zwischen den welten gehört keiner braut, er gehört / einer hausfrau,
sie hängt verrauchte gardinen aus / und die berge gegenüber protokollieren
jegliche regung…“: Auch die Leserinnen und Leser
der Gedichte werden zu Beobachtern und Protokollanten, finden manches, was ganz
unmittelbar berührt, wie immer wieder die verstörende Zärtlichkeit im Umgang
mit dem Schrecken („ich steche zombieherzen aus, schiebe meine handfläche
drunter / lege sie einzeln in parklücken unter der wüstensonne ab…“), sie finden wiederkehrende Motive, die die
Bewegungen der einzelnen Gedichte auf den gesamten Band ausweiten (der Schwan
natürlich, auch andere Tiere wie Maulwürfe und Drosseln, und immer und immer
wieder das Kind) und geraten immer wieder an Punkte, an denen die Fremdheit der
aufeinanderprallenden Welten sich in aufeinanderprallenden Sprachebenen zeigt
(„pflaumen zb, scheiße auch, idiotie…“) — wie schon in den beiden
vorherigen Bänden „gierstabil“ und „Gorgos Portfolio“ zeigt sich Schultens auch
hier als eine Meisterin der Sprachebenenkombination. Dass diese Meisterschaft
sich nicht im Spiel mit Sprachebenen erschöpft, sondern nutzbar gemacht wird
für eine drängende Betrachtung von Wirklichkeit, zeigt sich dabei schnell:
trouble taking placeich kann euch sagen, ich weiß einen helikopternicht von einer gleitenen dohle zu unterscheidenauf karten kann ich asien nicht zusammensetzenauch wenn kaohsiung unversehrt sein sollteopfert mir kaugummis und ich platziere sieauf meinem flackernden globus. dort womeine hungersnöte sich gerade befindendenn pink ist die cholera, akutist gar nichts, auch nicht ein tod zu 21 gramm…
Man
wird diesen Band mehrfach lesen müssen, um sich angemessen auf die Bewegungen
und Konfrontationen der Gedichte einzulassen — und es lohnt sich, das zu tun.
Katharina
Schultens: untoter schwan. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2017. 80 Seiten. 19,90
Euro.