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Katharina Körting: Warum ich nicht an die Kraft der regierenden Populismus-Phrasen glaube

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Foto: Johannes Haag
Katharina Körting
Warum ich nicht an die Kraft der regierenden Populismus-Phrasen glaube
 

Nun hat uns also die dritte Welle der grassierenden Selbstgerechtigkeit erreicht. „Wie viele Tote ist uns denn ein Shopping-Erlebnis wert?“, fragt Berlins Regierender Bürger-meister gewissermaßen stellvertretend für alle Regierenden. Da wird mit moralischen Zeigefingern umher gezeigt, dass es das Virus mit der Angst bekommen muss. „uns“ meint nicht den Bürgermeister, der selbstverständlich keinen einzigen Tod riskiert, wenn er einkaufen geht, sondern „uns“ meint die anderen, die Regierten, also uns, Sie und mich.
 
    Es ist ein herablassendes Sprechen, durchtränkt von der eigenen Rechtschaffenheit, das da von oben aufs Volk herab-prasselt und es zusätzlich zu den Maßnahmen niederdrückt. Das Volk, das sind wir, Sie und ich. Dieses Volk bezahlt den Regierenden Bürgermeister für seine Arbeit, es hat ihn gewählt, damit er sich für das Volk einsetzt, Mitgefühl zeigt, Verständnis, Vernunft. Stattdessen verdreht der Bürgermeister in einer ans Demagogische grenzenden populistischen Manier die Fakten: Einkaufen gehen bedeutet nun nicht nur, das Leben anderer zu riskieren, sondern direkt für deren Tod verantwortlich zu sein. Von solch einer Rhetorik können sich die Rechtspopulisten einige Scheiben abschneiden. Widerspruch zwecklos. Die Moral hat immer recht.
 
    Und diese Art, mit dem Volk zu sprechen, soll dann auch noch wissenschaftlich sein. Denn das ist das andere, was zurzeit unsäglich auf die Nerven geht neben dem moralisierenden Schuldzuweisen und dem unablässigen Panikverbreiten: die Behauptung, das, was Politik entscheidet, sagt und tut, sei wissenschaftlich begründet – im Gegensatz zu den tumben Toren außerhalb von Politik und Wissenschaft, die der Auf-klärung entgegenstünden. „Ich glaube an die Kraft der Aufklärung“, verkündete pathetisch die Kanzlerin. Setzt mal eben das Konstrukt „Aufklärung“ mit DER Wissenschaft gleich und schlägt sich pseudowissenschaftlich an die Brust. „Dass Europa heute da steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu verdanken, und dem Glauben daran, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten sollte.“ Europa hat es also der Wissenschaft – nicht etwa z.B. dem Kolonialismus, der seinen Rassismus ebenfalls als Wissenschaft vermarktete, zu verdanken – dass es da steht, wo es heute steht: bedroht von Populisten, Rechtsbrüchen, Auseinanerdriften, Klimakatstrophen und Ungerechtigkeit. Laut Kanzlerin gibt es Europa gewissermaßen nur, weil es die Schwerkraft gibt. Die hat die Kanzlerin nämlich auch noch ins Feld geführt: die Schwerkraft und die Lichtgeschwindigkeit, die nicht außer Kraft zu setzen seien. Nicht mal von Corona-Leugnern! Das Volk soll jetzt an die Kanzlerin glauben, weil die an die Schwerkraft glaubt. Und an eine Wissenschaft, die – sonst wäre es keine – ihr Wissen immer nur unter dem Vorbehalt künftigen Wissens produziert. Darin liegt das Wesen der Wissenschaft – und ihr Gegensatz zur Politik. Mit Glauben hat das gar nichts zu tun. Oder mit Bekenntnis. Wer die Bereiche Moral, Wissenschaft und Politik in einer Weise vermischt, wie es die täglichen Nachrichten aktuell dem Volk zumuten, stiftet nicht nur Verwirrung, sondern untergräbt jedes Vertrauen in politisches Handeln. Und deshalb glaube ich nicht an die Kraft der regierenden Populismus-Phrasen.


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