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Katerina Angelaki-Rooke: Die Engel sind die Huren des Himmelreichs

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Jan Kuhlbrodt

Eine Entdeckung, eine längst fällige



Adjektive sind trügerisch, und eines der trügerischsten davon ist „klein“. Ein Beispiel dafür ist unter anderem das Buch, um das es hier gehen soll. Eine längst überfällige Publikation, denn die Gedichte der Autorin liegen schon in den verschiedensten Sprachen vor, und jetzt endlich auch auf Deutsch, erschienen im (Vorsicht!) kleinen Leipziger Verlag Reinecke & Voß.

Die Augen reisen
festgeschraubt an den Körper
mitgerissen von seiner Geschwindigkeit.


Diese Verse entstammen dem Gedicht Geschichten von Augen der griechischen Dichterin Katerina Angelaki-Rooke. Und diese Verse beschreiben, auch wenn sie sicher nicht dazu gedacht waren, etwas von meinem Blick auf griechische neuzeitliche Poesie.


Griechische Dichtung, meinte ich, sei im vergangenen Jahrhundert viel übersetzt worden, und ich rede hier nicht von antiker. Denn seit mit Kavafis die Moderne hereingebrochen war, brachte der Sprachraum einige Säulen hervor. Spontan fallen mir ein: Seferis, Elytis, Ritsos. Autoren die auch mein Leseerleben von Jugend an prägten, und deren Besonderheit vielleicht darin lag, dass sie klassische Mythologie mit zeitgenössischer Bildwelt verschränkten, und dass sie zuweilen eminent politisch dichteten. Einige Verse haben sich auch auf Grund der Vertonungen von Mikis Theodorakis in mein Gedächtnis eingebrannt. Kirschen gestickt ins Lichtmuster (Elytis). Allein, es waren allesamt Männer, mit einem explizit männlichem Blick auf die Welt, und sie feierten auch die Manneskraft zuweilen ausgiebig in machohafter Geste.

Dem stehen nun die Gedichte Angelaki-Rookes entgegen. Oder sie stehen ihnen zur Seite. Und es ist neben dem Verlag auch dem Übersetzerteam Jorgos Kartakis und Dirk Uwe Hansen zu verdanken, dass dem so ist.

Den ursprünglichen Schrecken verdünne ich
mit ein paar Sekunden Schlaf,
die tägliche Panik mit einem kurzen Blick auf den Himmel.


So hebt das Gedicht Rezept für das Leben an, und vielleicht wird hier schon etwas deutlich von dem, was Rookes sprechen abhebt von dem Gesang ihrer männlichen Kollegen. Es ist ja gar nicht so, dass in Rookes Gedichten nicht auch Mut und Heroismus gefeiert würden. Aber hier fällt die Feier ein wenig demütiger aus und sie findet als Eingedenken an die eigene Vergänglichkeit statt, die man weder durch große Taten, noch durch große Worte imstande ist zu bannen - angesichts derer noch jeder Kraftschrei zu einem Pfeifen im Walde geworden ist. Angelaki-Rooke hingegen:

Wenn ich wenigstens an Gott glaubte,
wäre die Trennung von deinem Körper
– meinem Körper –
vorübergehend,
und hätte der Tod
keine weiteren Konsequenzen.


Wie ihre männlichen Kollegen verschränkt Angelaki-Rooke klassische Motivik mit gegenwärtiger Wahrnehmung, aber sie tut dies auf eine eher erdnahe Art, und auch wenn sie von Engeln spricht, spricht sie nicht von ätherischen Wesen. Hier erinnert sie vielleicht in ihrer handfesten  Körperlichkeit etwas an den jungen Brecht.

Der Grenzengel Einmal
in unermesslichen Ländereien
mit seinem schönen steifen Glied,
die Leere zu bewachen.


Ein Nachwort von Spyros Aravanis, mit einigen biografischen Informationen zur 1939 geborenen Dichterin, ergänzt diese erste deutschsprachige Auswahl.



Katerina Angelaki-Rooke: Die Engel sind die Huren des Himmelreichs. Gedichte, übersetzt von Jorgos Kartakis und Dirk Uwe Hansen. Leipzig (Reinecke & Voß) 2017. 82 Seiten. 10,00 Euro.

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