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Katerina Angelaki-Rooke: Das Gesicht in der Liebe

Gedichte > Gedichte der Woche


Katerina Angelaki-Rooke




DAS GESICHT IN DER LIEBE


Das Gesicht in der Liebe
hat keine feste Gestalt,
und nur durch die Berührung
erhellt sich das Wesen.
Der Mensch ist verborgen,
sein Handeln verschweigt ihn nur noch mehr.
Nur wenn die Welt ihn vergisst,
und wenn er sitzenbleibt auf seinem Stuhl,
stundenlang vor dem leeren Teller
mit den abgewischten Soßen,
bewegt sich etwas in ihm,
tropft etwas.
Manchmal nennt er es Erinnerung,
manchmal Angst
– ihn ängstigt die Wildheit
und der Fanatismus der Massen –
und noch tiefer in ihm gibt es
den Nährboden für Pflanzen,
doch der sie pflanzt bleibt immer
unbekannt.

In der Liebe bewohnt seine Gefährtin
allein die Tiefen,
die er nur besucht.
Sie weiß, warum sein Körper
wiedergeboren wird in ihr,
und er sich nicht schämt an ihrer Brust
für seine Träume.
Er wird feucht und ist zärtlich.
Er wird hart und leidet.
Vor anderen rechtfertigt er sich,
ihr erzählt er,
was ihm geschieht.
Mit geschlossenem, duftendem Mund,
die Augen befreit und im Dunkel
leben die Versprechungen
seines Charakters wieder auf.
Ihn umstrahlt das Licht
seiner Menschlichkeit.
Gerecht,
ohne familiäre Belastung,
ungehindert erhebt er sich
zu den Himmelskörpern
und wird der Geliebte.

Wenn die Liebe, wie man sagt,
blind ist,
dann deswegen,
weil dieses schwache Licht blendet,
das sich im gefangenen Gesicht
verbirgt.



(In Katerina Angelaki-Rooke: Die Engel sind die Huren des Himmelreichs. Gedichte, übersetzt von Jorgos Kartakis und Dirk Uwe Hansen. Leipzig (Reinecke & Voß) 2017. 82 Seiten. 10,00 Euro.)

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