Kate Tempest: Running Upon The Wires / Vibrationen
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Timo Brandt
Kate Tempest: Running Upon The Wires / Vibrationen.
Gedichte. Englisch – deutsch. Übersetzt von Johanna Davids. Berlin ( edition
suhrkamp) 2020. 120 Seiten. 14,00 Euro.
Eine alte Geschichte, immer neu
„I see the shape of your body in every bare branchIn every cereal bowl and water-jugThe driftwood, the vandalized statue, the train station roofThe whole world is a sick joke about how beautiful you are/Ich sehe deine Gestalt in jedem kahlen AstIn jeder Müslischale, jedem WasserkrugDem Treibholz, dem lädierten Denkmal, dem BahnhofsdachDie ganze Welt ist ein kranker Witz darüber, wie schön du bist“
Als Kate Tempest bisher persönlichstes Buch wird „Running
upon the wires/Vibrationen“ im Einbandtext gepriesen (was stimmen mag), und die
Anpreisung endet mit den Worten „radikal ehrlich, radikal verletzlich“.
(Zumindest) Ich kenne Kate Tempest nicht anders.
Verletzlichkeit und Ausgeliefertsein spielen in ihrem lyrischen Werk eine
markante, ich würde sogar sagen, eine zentrale Rolle. In der Liebe sind dies
alte Topoi, aber Tempest hat es verstanden, sie neu zu beleben, indem sie sie
auf die Gesellschaft als Ganzes anwendet. Ihre Langgedichte „Let them eat
chaos“ und „Brandnew ancients“ handeln von einer Verlorenheit in der
Gesellschaft, widergespielt in der Verletzlichkeit und dem Schmerz der
Individuen.
Ehrlichkeit, dieses Schlagwort ist wiederum, auch in der
Lyrik, nicht selten eine vorgefertigte Entschuldigung/Erklärung für
Simplizität. Auch Tempests Zeilen müssten sich diesen Vorwurf dann und wann
gefallen lassen, wobei gerade bei den oben genannten Langgedichten eine
schwache Zeile meist von der Wucht, der Dynamik des Textes, mitgetragen wird
und nicht wirklich negativ auffällt. Bei kurzen Gedichten wie in diesem Band
ist das schon eher der Fall, dann wirken ein paar überbordende und direkte
Zeilen schon mal wie eine allzu lässliche Verkündung, ohne tiefere Regungen
hervorzubringen.
„I eat and I sleep and I stare at my feet
And I’m busy, I’m so busy
Leave me alone
I’m typing
your name into my phone
Ich esse und ich schlafe und ich starr
auf meine Füße
Und
bin beschäftigt, ich bin so beschäftigt
Lass
mich, nun geh schon
Ich
tippe deinen Namen in mein Schmartphone“
Aber das traf auch schon auf manche Gedichte aus „Hold Your Own“
zu, und dieser Band hat mich dennoch nachhaltig beeindruckt. Ganz so hoch loben
kann ich die „Vibrationen“ nicht, aber auch hier findet sich einiges, das durch
seine Intensität, Nonchalance oder Direktheit herausragt.
Zusätzlich erzählen die Gedichte des Bandes auch eine
Geschichte: die Geschichte des Lösens von einer Liebe. Unterteilt sind die
Texte in drei Kapitel: the end, the middle & the beginning (es ist schön,
dass im Englischen, in dieser Reihenfolge, das Wort hinter dem „the“ immer
länger wird, quasi die verstreichende Zeit, den Abstand abbildet). Die
Geschichte wird nicht, wie diese Reihenfolge auch glauben machen könnte,
rückwärts erzählt, sondern es wird in drei Stufen das Fertigwerden mit dem Ende
einer Liebe beschrieben, angefangen beim Ende, endend beim möglichen Neubeginn.
Tempest gelingt eine eindringliche und nachvollziehbare
Wiedergabe der vielen Gefühlstadien, die man nach einer Beziehung, nach dem
Verlassenwerden durchläuft: Erinnerungen, die hochkommen, eine nicht
auszufüllende Leere, viel zu starke Sehnsüchte und schließlich erste zaghafte
Versuche, neu anzufangen, neu zu lieben, aber auch Rückfälle und das nagende
Gefühl, für immer ein bisschen weniger zu sein.
„Durch das offene Fenster höre ich Schreie und erschrecke beider Erinnerung, dass es andere Menschen gibtLeute warten vor der Praxis für Katzenkastration, wie jedenMorgen um diese Zeit[…]Eine Katze ist entwischtEin Auto steht bei grüner Ampel,Alle haben ihre Boxen abgestellt[…]Ich sehe ältere Damen mit Kopftuch, sie stoppen den Verkehrwährend junge Männer in tadellosen Trainingshosen aufallen vieren kriechen;Schulkinder mit straffen Zöpfen und weißen Socken undlanghaarige Teenie-Goths und sogar ein paar Hundehelfen.[…]Ich widme mich wieder den Fotos.Braungebrannte halbnackte Fremde mit unseren Gesichtern.Und da sind wir zusammen, küssend in unserer Unterkunft.“
Die Gedichte beschreiten verschiedene Wege, die
unterschiedlichen Gefühlslagen einzufangen: sie erzählen Geschichten (wie im
Zitat über diesem Abschnitt), es gibt gereimte Gesänge, dann wieder kurze
Bekenntnisse und, natürlich, umfassende Entblößungen der Gefühle. Zu Tempest eher
straight gehaltenem, ab und an zugespitztem Stil gesellen sich gerade in
letzteren Fällen oft geradezu überkulminierende Bilder, wie etwa dieses hier:
„Her face was stretched as taut as the tightrope that we swayed onAs the argument I’d started and then tried to walk away from“
Diese Bilder haben durchaus ihren eigenen Charme, wirken
manchmal aber auch wie der Versuch, mit einem Satz eine hohe Konzentration
Poesie ins Spiel zu bringen, deus ex machina-like; manchmal führt das zum Home-run,
manchmal ist es einfach nur ein übers-Ziel-Hinausschießen.
„Your eyes drop three octaves when you want meYour body is transposed into the keyOf sand Dunes, raw quartz, heat from a slow sun.[…]You know, it used to keep me up at night,The lack of you“
Es gibt natürlich noch einige andere Themen, die in den
Gedichten mitverhandelt werden, von dem Wandel in der Stadtlandschaft bis zur
Einsamkeit im Musik-Business. Im späteren Verlauf gibt es dann Gedichte, die
von einer neuen Beziehung, zumindest von einer neuen Liebe, künden.
Hier wird auch wieder verstärkt der Aspekt des Körperlichen,
Hedonistischen in Tempests Lyrik deutlich; in „Vibrationen“ gibt es zahlreiche
Passagen, in denen Tempest Sex und Körperlichkeit darzustellen, zu
versprachlichen sucht. Der Körper ist dabei vor allem das Gefäß der Liebe; nur
im Austausch dieser Liebe, der Intimität, können die Körper aus sich selbst
ausbrechen – es wird „Leben erschaffen“, statt nur geführt, verbraucht,
verlebt.
„Wieder daheim wollten wir kochen, aber unsere Liebeließ uns nicht.Quer durch die Küche, stundenlang,Wir begaben uns tiefer in die andere und nährten,wurden genährt.Und sie kam in mir und ich kam in ihr und Lebenwurde erschaffenUnd sie war oben und über Kreuz und darunter undunsere BeinePackten den Schwall und die Arbeitsplatte und denanderen Körper,Und wir angelten nach Stühlen, darauf zu stehen, darüberzu lehnen,Ihre Augen wie zwei Kronen für unsere Köpfe.“
Es gibt sehr, sehr viele Gedichte und Gedichtbände, die man
Leuten mit Liebeskummer zukommen lassen könnte. Vielleicht wäre „Vibrationen“
gar nicht die beste Wahl. Aber eins muss man Tempest halt lassen: ihre
Direktheit hat etwas Tröstliches, sie simuliert gekonnt eine Form von
Zwischenmenschlichkeit, Verständnis. Und manche ihrer Gedichte verstehen es,
trotz einfachster Schilderungen, ganz viel von dem zu enthalten, das ich als
„Erkenntnis der Nähe“ bezeichnen würde.
Zur Illustrierung dieser Behauptung ein letztes Gedicht, das
ich persönlich großartig finde, in all seiner Schlichtheit.
„So much in a dayand each isprelude, body, encoreVictor of the lastand victim tothe nextSo much left to dobut when I closethe day with you
It’s the closestI have ever cometo rest“