Kasimir Malewitsch: Selbstzeugnisse
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Jan Kuhlbrodt
Kasimir Malewitsch:
Selbstzeugnisse. Herausgegeben und übersetzt von Walter Koschmal. Berlin
(Matthes & Seitz) 2020. 134 Seiten. 14,00 Euro.
Zu Kasimir Malewitsch
„Selbstzeugnisse“
Natürlich hat das Buch einen schwarzen
Einband und wenn man ihn aufklappt, ist er quadratisch, auch wenn vom Schwarzen
Quadrat im Text gar nicht die Rede ist, aber es ist wohl die erste Assoziation,
wenn der Name Kasimir Malewitsch fällt. Das schwarze Quadrat, das die Kunstwelt
erschütterte, verdrehte, zu sich brachte und im Jahr 1913 zum ersten Mal in
einer Ausstellung in Petersburg gezeigt wurde.
Doch, obwohl sein bekanntestes
Werk, ist es vielleicht aber gar nicht so sehr exemplarisch für das Werk von
Malewitsch. Oder aber ist es das in einem Zusammenhang jenseits der Geste, der
Provokation. Es entstand zu einer Zeit, als sich der Futurismus in Petersburg
formierte und die sich verändernde Situation der sich in Industrialisierung
befindenden Städte aufnahm.
In diesem Kontext scheinen die
abstrakten suprematistischen Arbeiten Malewitschs zunächst als Provokation zu
funktionieren. Malewitsch selbst setzt sich aber in seinen Texten vom rein
Provokativen hin zu einem Ästhetisch-Analytischen ab.
Im vorliegenden Buch "Selbstzeugnisse" lernen wir einen
Malewitsch kennen, der sich aus der ukrainischen Herkunft herausarbeitet, oder
besser herausmalt, dabei ihre Strukturen als transformierte bewahrt.
Ikonenmalerei und bäuerliche Kunst geben ihm den Anstoß, über eine Emanzipation
des Malerischen nachzudenken, eine Emanzipation vom Sujet, könnte man sagen,
die der junge Maler schon bei Cezanne beobachtet hat, aber dann bei den eigenen
Arbeiten zu radikalisieren versteht.
Dem geht eine Jugend und Kindheit
in der ukrainischen Provinz voraus, die Malewitsch in seinen Selbstzeugnissen
beschreibt.
Der Vater arbeitet in einer
Zuckerfabrik, die inmitten von Zuckerrübenfeldern abseits der großen Städte
steht, in der sich aber dennoch der Schmutz, Krach und Stahl der
Industrialisierung zeigt. Auch findet Malewitsch dort kein Verständnis für
seine künstlerische Neigung.
Ganz anders bei den Bauern und
Bäuerinnen der Umgebung, die selbst im weitesten Sinn volkskünstlerisch tätig
sind. Hier entwickelt sich im jungen Malewitsch eine Art progressives
Formbewusstsein, eines gegenüber dem akademischen, zu jener Zeit unter anderem
vom Realismus Repins repräsentiert.
Im Gegensatz zur Gegenständlichkeit
des Realismus, den er als eine Beugung des Natür-lichen betrachtet, indem der
Mensch die Natur seinen Vorstellungen unterwirft, sieht er eine
ungegenständliche Basis, der nahe zu kommen er seine malerische Technik
ausrichtet. Das führt Malewitsch später in anderen theoretischen Schriften aus.
In diesem Buch aber folgen wir der
Genese dieser seiner Betrachtungs- und Malweise.
Die Übersetzung durch Walter
Koschmal, der auch ein Nachwort beisteuerte, versucht sprachliche Eigenheiten,
die man, wenn man so will, als stilistische Unsicherheiten interpretieren kann,
beizubehalten und nicht im Sinne einer akademischen Lesbarkeit, der es einzig
um Inhaltliches geht, zu glätten.
Ein Buch, das, glaube ich, nicht
nur für Malewitsch-Fans wie mich interessant ist. Allein der Schilderung einer
Kindheit in der ländlichen Ukraine wegen, lohnt es sich.