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Karl Kraus: Der siegende Tod!

Poetik / Philosophie > Glossen

Karl Kraus

Die letzten Tage der Menschheit

IV. Akt, 27. Szene

PADDE: Dieser Film kann in der Tat das größte Ereignis in diesem Kriege genannt werden. Es ist dies die erste und zugleich die letzte Aufnahme, die das Archiv des Generalstabes für das Publikum freigibt. Der Film ist im größten Kampfgewühl zustandegebracht worden. Vier Operateure sind bei der Aufnahme des Films gefallen, aber immer wieder traten neue an ihre Stelle, bis endlich das ganze Werk vollendet war, das unseren Nachkommen den Ruhm der heldenmütigen Kämpfer künden soll. Mit atemloser Spannung machen wir Sprengung und Erstürmung eines Blockhauses und nach mächtigem Trommelfeuer einen Sturmangriff von nervenerschütternder Eindruckskraft mit. Wir sind mitten drin in den gewaltigen Erdfontänen von Minensprengung und Einschlägen schwerster Kaliber und in den weißen Rauchschwaden der Handgranaten und bewundern fast noch mehr als den Todesmut der Truppen – den Mann oder die Männer, die im Geschoßhagel und Feuerregen die Ruhe gehabt haben, in vorderster Linie, mit eisernem Pflichtgefühl auch dem Befehl zu gehorchen, die Kurbel des kinematographischen Apparates zu drehen. Auf allen Seiten sieht man die höchste Anspannung aller Kräfte, das Ausnützen, aber auch Abnützen der menschlichen Energie - wir sehen den siegenden Tod!
KLADDE: Dieser Film wird sicher in allen Kinos Deutschlands großen Anklang finden. Wie hieß es doch jüngst so schlagend in einem kriegspresseamtlichen Bericht unsrer östreichischen Bundesbrüder? Unsere Sturmtrupps rücken vor –
PADDE: – unmittelbar gefolgt von unsern Filmtrupps. So soll es sein. Der siegende Tod! Das sollen uns die Vettern überm Kanal mal nachmachen! Da staunt der Fachmann –
KLADDE: – und der Laie wundert sich.

(Verwandlung.)


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