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Kai Pohl: Penfields Traum / Die Bad Bank der deutschsprachigen Lyrik

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Jan Kuhlbrodt

Arbeit am Wortmüll


Alle unheiligen Zeiten ist es angebracht, über die Situation zu schwafeln, und das Publikum, die Insistierenden, die Applaudierenden, mit charmanten Passagen, die sich in die Synapsen einbrennen, zu besänftigen.

Es gab einst eine Ausgabe von Reclam Leipzig. Sie enthielt einen Querschnitt der Arbeiten von Dylan Thomas, und dieses Buch hieß Arbeit am Wortwerk. Der Titel suggeriert etwas, das über die Jahre verloren gegangen zu sein scheint: Ein Grundvertrauen in die Sprache, die Sprache der Dichtung zumal. Und es ist ja auch so, dass Dichtung sich des gleichen Materials bedient wie andere Bereiche, in denen versucht wird, aus Worten einen sinnhaften Teppich zu wirken. Ein Wortwerk eben.

Nun wollen wir diesen Text nicht benutzen, um Dylan Thomas zu kritisieren, nur eben darauf hinweisen, dass Wortwerke insgesamt inzwischen einen unüberschaubaren Berg bilden, der zuweilen einer Mülldeponie gleicht. Auch haben wir, oder zumindest ich, aber auch der Autor der Bücher, um die es hier geht, das Vertrauen in die Sprache gründlich verloren.

Sätze, mit denen wir aufwuchsen, und die uns als wahr vorgestellt wurden, stellten sich als ideologische Konstruktionen heraus. Sie wurden von anderen Sätzen abgelöst, und es ist anzunehmen, dass auch sie sich im Weiteren als nichts anderes erweisen, als ebensolche.

Was also tun, um sich in diesem Raum, der vollgestopft ist, überfrachtet, zurechtzufinden?
Vielleicht ist der klassische Weg nicht mehr gangbar, nämlich zu versuchen, im Wust einen Ausweg zu formulieren, der endlich zum echten, erhabenen und wahren Wortgebrauch führt. Und Kai Pohl schlägt in seinen Gedichten denn auch einen anderen Pfad in den Sprachdschungel.

User versehentlich gelöscht,
sein Profil heißt jetzt Konto unbekannt.
Waschbrett- heißt jetzt Waschmaschinenbauch.
Freiheit statt Frontex, Abschied für immer.

Marx schreibt irgendwo, dass man den herrschenden Verhältnissen ihre eigene Melodie vorpfeifen solle, um sie zum Tanzen zu bringen, der Kakophonie also kakophonisch zu begegnen.
 
Nun wäre es wohlfeil, nur in Politikerreden oder in der Sprache der Werbung nach dieser Melodie zu suchen, sind sie doch größtenteils schnell durchschaubar. Und man würde Zustimmung heischen, gilt doch der Sprachgebrauch in diesen Bereichen als brutal und misstrauenswürdig. Doch das Lied der herrschenden Verhältnisse zieht sich auch durch die im Allgemeinen als unbefleckt gedachten künstlerischen Produktionen. Gesellschaftliche Missstände sind auch hier sprachlich kodiert und noch in den im Selbstverständnis kritischsten Produktionen finden sich unreflektierte Reste gesellschaftlicher Konvention.

In seinem Langgedicht Die Badbank der deutschsprachlichen Lyrik rekonfiguriert Pohl sprachliches Material aus den Versnetze-Anthologien zu einem neuen Text, der nur so wummert.

aktivitäten schweben im traum vor fries meerentstiegener
berge in höhenflug und sturz müdigkeit statt empfindung

Man kann vielleicht nicht sagen, dass Pohl sich direkt auf die Suche danach begibt, um sie auszustellen und anzuklagen. Ein solches Vorgehen würde verlangen, dass der Autor selbst außerhalb jenes Verblendungszusammenhanges stünde.
Vielmehr watet er durch das Material, nimmt es auseinander und fügt es neu zusammen, und in diesem Prozess wird das Material beredt, gibt blinde Flecken und Fehlannahmen preis.


Kai Pohl: Penfields Traum. Gedichte und Montagen. Frankfurt a.M. (gutleut verlag - reihe staben) 2016/7. 96 Seiten. 19,00 Euro.

Kai Pohl (und andere): Die Band Bank der deutschsprachigen Lyrik. Cut Ups, Montagen, Fotos, Gedichte. Schönebeck (Moloko Print 32) 2017. 194 Seiten. 15,00 Euro.
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