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Juliette Pary: An die Deutschen

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Florian Birnmeyer

Juliette Pary: An die Deutschen. Gedichte. Mannheim (persona Verlag) 2025. 136 Seiten. 18,00 Euro.

Juliette Pary und ihr Ruf an die Deutschen


Dass Juliette Parys Band An die Deutschen nun, achtzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen, in Deutschland gelesen werden kann, verdanken wir dem persona Verlag. Dort hat man verstanden, dass Exilliteratur nicht im Archiv verstauben darf, sondern in die Gegenwart hinein atmen soll. Entstanden sind Parys Gedichte während der Okkupation Frankreichs, geschrieben von einer deutschen Jüdin, die mit ihrem Mann rechtzeitig aus Paris in die Schweiz entkommen war. Sie überlebte damit, im Unterschied zu den Millionen, die später in den Lagern ermordet wurden.

Schon 1946 erschienen die Texte in Paris unter dem Pseudonym Julia Renner. Zuvor hatte Pary einen Gedichtband mit Texten der Résistance-Kämpferin Arlette Humbert Laroche herausgegeben, die in Bergen Belsen starb. Nun also legte sie eigene Gedichte vor, Anklage und Versuch der Aussöhnung zugleich, eine bittere Bilanz voller Wissen über Verbrechen und Mitschuld. Vermutlich in den Jahren 1944 und 1945 verfasst, spiegeln sie die Klarheit einer Frau, die die Gräueltaten der Nationalsozialisten erlebt hatte und verstand, warum viele geschwiegen hatten, nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich.
ICH HAB keine Muttersprache,
Weil ich eine Jüdin bin.
Zu verkörpern meine Gabe,
Mich der fremden Sprach bedien.
Fremde Sprach, die mir gefahren
Zaubernd plötzlich in die Haut!
Russisch und Französisch waren
Mir doch ehmals mehr vertraut.
Würde lieber dichten russisch,
Würde lieber dichten welsch.
Und muss dichten jetzt germanisch,
Weil’s dem Größeren gefällt.
Juliette Pary wurde 1903 in Odessa geboren, inmitten eines tolerant chassidischen und zugleich akademisch geprägten Milieus. Französisch gehörte dort ebenso zum Alltag wie russische Literatur. Die Verarmung der Familie und die zunehmende Überwachung unter dem sowjetischen Regime führten schließlich zur Emigration. Die ältere Schwester Nina ging zuerst nach Frankreich, Juliette folgte ihr 1925 und setzte in Paris ihr Literaturstudium fort. Sie übersetzte Agatha Christie, übertrug russische Texte ins Französische und schrieb für Zeitschriften und Romanreihen. In den dreißiger Jahren wandte sie sich zunehmend pädagogischen Fragen zu, insbesondere der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen und einer Pädagogik ohne starre Autoritäten. Sie leitete ein Ferienlager in Belleville, wo Reformideen nicht nur theoretisch gedacht, sondern praktisch geprobt wurden. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann, den humanistischen Idealisten Issac Pougatch, kennen.

Als Hitler seine Macht festigte und der Antisemitismus zur Staatsdoktrin wurde, engagierte sich das Ehepaar für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. Sie halfen vor allem kinderreichen Familien und Jugendlichen, die über Frankreich nach Palästina emigrieren wollten. Für die internationale Kinder- und Jugend-Aliyah arbeiteten sie Seite an Seite mit Hannah Arendt, die das Pariser Büro leitete. Um den Lebensunterhalt zu sichern, schrieb Pary Groschenromane, eine Tätigkeit, über die sie später nicht gern sprach, die aber notwendig war.

Mit Kriegseintritt Frankreichs 1939 flohen die beiden in den Süden, in die sogenannte Freie Zone, nach Moissac. Auch Nina Gourfinkel war dort, und gemeinsam halfen sie Geflüchteten, insbesondere Kindern. Sie befreiten einzelne aus Lagern wie Gurs.

In Parys Gedichten taucht der Name Albert Kahn auf, befreit, wieder verhaftet, schließlich verschwunden. Die Dichtung verweigert den Abschluss, denn es gibt ihn nicht.

Hörst du mich, Du deutsche Lina,
Freundin aus der Jugendzeit?
Deutsche, wurdet Ihr von Sinnen?
Du vertierte Deutschenheit!
Euren Dichter, den Novalis,
Meine Schwester hat studiert;
Blaue Blume war ihr alles,
Spukt im Haus und im Gemüt.

Als Sprecherin, die nicht hinter einer poetischen Maske verschwindet, hält sie den Deutschen vor, was geschieht und verlangt symbolische Rache, lässt der Wut und der Enttäuschung Raum.

ICH BIN eine rächende Judenstimm,
Die aus Euerem Morden erstehet.
Und ich spreche zu Euch in Eurem Deutsch,
Damit ihr mich gut verstehet.

Gleichzeitig entwirft Pary eine Vision jüdischer Selbstbehauptung. Sie setzt dem Zer-störerischen die Tatkraft einer Gemeinschaft entgegen, die sich nicht mehr demütigen lassen will. Sie dachte an Palästina, an neue Strukturen, an pädagogische Ideale, an geistige und körperliche Stärke. Und sie wusste, dass die Gefahr für Juden nicht verschwunden war.


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