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Julia Trompeter: Versprengtes Herz

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Monika Vasik

Julia Trompeter: Versprengtes Herz. Gedichte. Frankfurt a.M. (Schöffling & Co) 2023. 88 Seiten. 22,00 Euro

„Träume zu Scheiten gehackt“


Julia Trompeter ist sowohl Prosaautorin als auch Lyrikerin. Seit ihrem Romandebüt 2014 legte sie im Abstand von zwei bis drei Jahren alternierend Prosa- und Gedichtbände vor. Ihr erster Lyrikband Zum Begreifen nah erschien 2016, wurde von der Kritik hochgelobt und vom Düsseldorfer Heine-Haus im Jahr des Erscheinens mit dem erstmals vergebenen Poesie-Debüt-Preis ausgezeichnet. Sieben Jahre und einen weiteren Roman später folgte nun ihr zweiter Lyrikband Versprengtes Herz. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Autorin promovierte Philosophin und Mutter ist, beides Tatsachen, die sie auch in ihre Gedichte einfließen lässt. Allgemeiner gesagt: Julia Trompeter schöpft für ihren Band aus dem reichen Erfahrungsschatz ihrer Biografie und ihres Alltags aus zumindest drei herausfordernden, mitunter schwer vereinbaren und an den Rand der persönlichen Belastbarkeit führenden Bereichen, nämlich dem der berufstätigen Frau, der Care-Arbeiterin und der Autorin. Ihre eigenen Wünsche, Sehnsüchte, Träume und Bedürfnisse kommen dabei zu kurz und sie erlebt sich als Scheiternde, wie es das Buch nahelegt.

Der Band ist in vier Kapitel gegliedert. Das titelgebende Gedicht finden wir im zweiten Teil, der ebenfalls mit Versprengtes Herz überschrieben ist. Trompeter erzählt in ihrem Buch Geschichten von der eigenen Verletzbarkeit, Variationen davon, wie das Leben ist und nichts oder zu wenig gelingt, weil Sehnsüchte enttäuscht werden, die Verletzungen zunehmen und Verluste sich häufen. Ein zentrales Thema sind das Glück und Unglück in der Liebe, jene auf Dauer unmögliche, stets misslingende Liebe zum „du“ eines Mannes, jene liebende Zuwendung zu einem Kind und die sehr kritische, subsummierende Hinwendung zu sich selbst, die nicht mehr viel mit Selbstliebe zu tun hat, wenn es heißt „bin selbst nur Müll“ oder „Ich bin doch nur Gemengsel“. Grundton der Texte ist die Melancholie, die wabernd das Nichtgelingen und Verlieren begleitet und gelegentlich mit diskreten, manchmal auch platten Zynismen durchsetzt ist.

„der Anfang von allem ist winzig nur“ heißt es im ersten Gedicht des Bandes, das Reiseeindrücke an der Themse und das Aufsuchen der Flussquelle wiedergibt. Dieser Vers ist zugleich ein Bild für den Beginn jedes Lebens mit allen Schönheiten und Widrigkeiten, eine Art Refrain, der in Abwandlungen aufgegriffen wird: Winzig ist der Anfang des neuen Lebens, das die Frau gebären wird, und jener des Staunens, winzig der Anfang einer Liebe zu einem „du“, die wächst und sich entfaltet, oft winzig der Grund einer Entfremdung, eines Zerwürfnisses oder der Kondensationskern für die eigene Erkenntnis.

Die Texte des Bandes sind sehr heterogen. Es gibt viele gelungene, etwa das Gedicht Dein Fenster am Abend, das die Einsamkeit und ein Himmeln an- und umspielt, dennoch für Le-ser*innen genug Raum zwischen den Zeilen lässt:

Sitz ich am Fenster und sehe den Himmel
Seh ich den Himmel vom Fenster so hoch
Sitz ich und rauch in den Abend
Sitz ich allein und bestaune den Himmel
Rauche dem Abend mein Lied
Seh ich dein Fenster von unten im Hof
Stehst du am Fenster und rauchst in den Himmel
Seh ich dich stehen im Fenster so schief
Sitz ich am Boden und sehe hinauf
fallen die Schwalben so tief

Herausgreifen möchte ich zwei weitere Texte aus dem vierten Kapitel Mutterland, die das Thema Mutterschaft umkreisen. „Klein wie ein Floh im All / groß wie ein Hirn“ – so beginnt das Gedicht Es war einmal ein Leben. Groß wie ein Hirn, das bezieht sich auf das Ich einer Frau, die ihr Leben überdenkt und ist zugleich Feststellung und Wertung, Stolz und Hinterfragung, denn ein Mensch, der nur Hirn ist, bleibt ein Mängelwesen. Der erste Vers wird in der vorletzten Zeile noch einmal aufgegriffen und endet mit einer neuen Perspektive auf das Menschsein, denn nun bezieht er sich auf das Kind, das die Frau geboren hat, das noch unbeschrieben ist und so viel mehr zu sein verspricht als sie selbst: „Klein wie ein Floh im All / groß wie die ganze Welt“. Das daran anschließende Gedicht Mariechen, mein Kind wiederum bezeugt im Ductus eines Märchens die Liebe zu einem Kind.

Zuvor erfahren wir von Enttäuschungen nicht nur in Beziehungen. „Ich habe Philosophieund-waswillstdudamitmalmachen / studiert“ erzählt Trompeter im Gedicht Die Welt im ArGen und von Erfahrungen auf dem Arbeitsamt, wo sie nach der Promotion landet, weil sie keinen Job findet. Gravierender sind Verletzungen als Kind, die etwa im Gedicht Nach etwas rufen angedeutet werden, als diese Rufe ungehört bleiben oder der Ruf gegen das Gefühl der Verlassenheit bloß Wunsch blieb und jetzt beim Erinnern vage bleibt, denn es gibt nur das Erinnern an die Heilkraft der Dichtung, die einen Anfang setzte für das eigene Dichten:

                         Die Ohnmacht umarmen
diese alte Bekannte aus dem Kinderbett
als du schriest und schriest
bis der Struwwelpeter vom Regal stieg
und dir seine Brust aus Wörtern gab

Ich kann allerdings zwei Einwände gegen etliche Gedichte dieses Bands nicht unerwähnt lassen. Von Poesie erwarte ich mir Originalität, erwarte Verdichtung, Leerstellen und auch eine Deutungsoffenheit. Als ich den Vers „Ich gerate ins Schwafeln“ las, ertappte ich mich beim zustimmenden Nicken. Die Dichterin verwendet häufig Alltagssprache, die eindeutig ist, manchmal platt und flapsig daherkommt, auch weinerlich und larmoyant. Zudem wird hier alles gesagt, wird zu viel ausgesprochen, sodass wenig Möglichkeits- und Denkraum für Leser*innen zwischen den Worten und Versen bleibt. Auch irritieren mich die abgegriffenen und falschen Bilder. Dies kann an meiner Nüchternheit liegen und meiner Aversion gegen Liebes-kummersprüche. So mag es originell sein, wenn Trompeter statt des abgegriffenen Sujets eines gebrochenen Herzens jenes eines versprengten Herzens einsetzt, um ein Leiden an den Umständen des Lebens und Liebens auszudrücken. Ich halte das Bild für falsch, ein versprengtes Herz ist ein totes und damit nicht mehr leidensfähiges Herz, dessen Teile jetzt halt irgendwo picken. Daher passt es auch nicht als Bild für die von zu vielen Tätigkeiten belastete Frau, deren unerfüllte Sehnsüchte „schmachten“ und zu kurz kommen trotz viel Kaffees, trotz vieler Blicke in die Landschaft und in den blauen Himmel. Über Wendungen wie „Ich schau dir nicht in die Augen / sonst sähe ich ja dein Gehirn“ schüttelt die Ärztin verständnislos den Kopf. Und ein Vergleich wie „Ich teil auch mit dir nicht mein Leben / wie es die Amöbe tut“ entspricht vielleicht einem Augenblickseindruck, ist aber biologisch falsch, weil es im Gedicht gerade nicht um die simple Form der Fortpflanzung dieser Einzeller geht, nämlich die asexuelle Teilung, sondern um die wenig romantische Begegnung zweier erwachsener Menschen fernab jedes Gedankens an einen Fortpflanz. Doch (die mögliche, von mir so gelesene) Authentizität der Empfindung macht noch kein gutes Gedicht.


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