Direkt zum Seiteninhalt

Julia Mantel: Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht dir zu

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Timo Brandt

Julia Mantel: Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht dir zu. Gedichte. Frankfurt a.M. (Edition Faust)2021. 84 Seiten. 18,00 Euro.

Entlarvungen in Schmetterlingsform


„wenn unsere besos mächtiger wären als ein einziger bezos.
wenn es immer echt sein könnte, ohne dass man es allen recht machen müsste.
wenn nicht nur kinder und narren immer die wahrheit sagten.
wenn niemand mehr mit den augen rollen müsste,
wenn die anderen
aus ihren rollen fielen.
wenn sich die geliebte endlich geliebt fühlen würde.
wenn wir dann ein paar tangoschritte weiter wären.
wenn du an dich glauben dürftest, ohne je dran glauben zu müssen.“

Beim Betreten von Julia Mantels zweitem Gedichtband bei der Edition Faust (nach „Der Bäcker gibt mir das Brot auch so“, 2018) schlägt einem anfangs das Gedicht „stehen und liegen (lernen)“ entgegen, eine Aufzählung voller Wortspiele/Kalauer und gelegentlich gespickt mit Referenzen, eingehegt durch das mantraartig wiederholte „wenn“ am Anfang der Sätze. Eine, rhetorisch gesehen, runde Sache, die aber in ihrer Versessenheit auf Assonanzen ohne Unterlass aneckt.

Das nächste Gedicht „ich hab da glaub ich was für dich: so n tapetenhersteller aus der pfalz (international) braucht ne messehostess (mehrsprachig), fand dich sehr beeindruckend“ setzt dann noch einen drauf, bricht aus dem Gehege aus und verlässt die Rhetorik, laviert und mäandert frei durch und auf einer Flut von Anspielungen und Verspieltheit, wobei man dahinter, besonders bei letzterer, mehr als einmal die Gelüste der Lakonie vermutet.

„oft trügt der schein nicht nur, er trübt.
er betrübt vielmehr.“

Mit ihrer überbordenden Energie setzen diese beiden Auftaktgedichte quasi den Rahmen für die meist kürzeren und weniger expressiven Texte im Rest des Bandes. Zum Teil schlagen diese aus in Richtung Rhetorik, zum Teil in Richtung Verspieltheit, und versuchen, so erscheint es mir, in dieser dualen Verquickung eine Art Poetik des Lässlichen zu kreieren.

Mit dem „Lässlichen“ meine ich nicht das „Geringe“, sondern etwas, das in der Beiläufigkeit, mit der es in der Sprache verhandelt wird, lediglich gering erscheinen könnte. Gegen dieses Geringerscheinen setzt Mantels Poetik die akustische Nähe der Worte und die dazwischen sich auftuenden semantischen Verwerfungen  ̶ ihre Verse springen leichtfüßig und -sinnig darüber.

(Mehr als einmal fühlte ich mich während der Lektüre an einen Essay von Lynn Salcom erinnert, wo es heißt „Jedes Wort hat eine festgelegte Bedeutung, aber es hat auch zahlreiche Anliegen, die wir mit ihm zusammen vorbringen, ohne es zu ahnen, wenn wir es aussprechen, hinschreiben, denken. Die Huldigung dieser Anliegen nennt man Poesie.“

„arm
greift
ins leere

ab und zu
nicht

arm sein (wollen).“

In Mantels Poesie finden die Worte in ihrer klanglichen Ähnlichkeit zueinander, um die Welt nicht nur zu bedenken, sondern sich ihre Hälse zu verrenken, damit sie nicht nur den üblichen Ausblick von ihrer eigenen Warte haben, sondern aus diesem Abwarten, Verharren in der eigenen Hülle ausbrechen können, hin zu einem Punkt, an dem die Irritation zu einer Irisration wird, die unseren Augen hilft im einzelnen Wort mehr zu sehen als einen Pfad, den eine gesicherte Bedeutung beschreitet.

Natürlich wirkt manchmal nichts so gesichert wie ein Kalauer und es kann dann und wann schwierig sein, in Mantels Versen die Unsicherheiten zu erkennen, auf die sie eingeht und hinweist, zumal sie zusätzlich einiges andere, teilweise auch Agitatorisches, in ihren Gedichten unterbringt. Es lohnt sich bei vielen ihrer Gedichte aber, hinter die strikten Oberflächen zu schauen und vor allem fortzuspinnen, was ihre Sprachkabbeleien an Zwischentönen absondern. Es steckt viel von der Lakonie und Lässigkeit von Mantels erstem Band darin, gepaart mit einem, manchmal gar an Jandl gemahnenden Kalauer-Esprit.

Zum Abschluss muss ich zugeben, dass mir trotz all der spannenden Auseinandersetzungen, die dieser Band bereithält, ein Gedicht am besten gefallen hat, das sehr schlicht ist, geradezu unhintergründig schön. Es heißt „für thomas brasch“ und geht so:

„streich mir das haar
aus der stirn

ich habe bretter
vorm kopf, die
die welt bedeuten

berühre mich dort
wo ich nie
gewesen bin.“

Mantels Gedichte entlarven, und sie sind gleichsam flirrend wie Schmetterlinge. Sie sind direkt, haben aber gleichsam etwas Verschlagenes. Man meint, sie auf den ersten Blick erkennen zu können, ist aber trotzdem auf der Hut vor ihnen. Man denkt ja manchmal wirklich, etwas stände einem zu, etwas stände einfach da. Aber man sollte genau hinschauen, vielleicht sogar genauer.


Zurück zum Seiteninhalt