Jürgen Goldstein: Hans Blumenberg. Ein philosophisches Portrait
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Jan Kuhlbrodt
Jürgen Goldstein: Hans Blumenberg. Ein philosophisches
Portrait. Berlin (Matthes & Seitz) 2020. 624 Seiten. 34,00 Euro.
Zu:
Jürgen Goldstein
Hans Blumenberg
Nach zwei Monaten sehr intensiver Lektüre hatte ich mir eine
Celanpause verordnet. Es war gegen Ende August, auch war der Stapel
verlockender und zu lesender Bücher im Zimmer erheblich gewachsen. Also der
Stapel neben dem Celanstapel, der sich vor allem aus philosophischer und
philosophiegeschichtlicher Literatur speist. Obenauf ein schwergewichtiger Band
von Jürgen Goldstein: Hans Blumenerg. Ein philosophisches Portrait.
Neben Celan wäre eben auch Hans Blumenberg in diesem Jahr
einhundert Jahre alt geworden.
Goldsteins Buch hält, was der Untertitel verspricht. Es
birgt einen Text, der sich nicht in Episodik verstrickt und Blumenbergs
Privatleben fast unangetastet lässt, insofern es nicht für seinen
philosophischen Weg von Bedeutung war, wie die jüdische Herkunft, aufgrund der
ihm der Zugang zur Universität, solange die Nazis regierten, verbaut war.
Blumenberg nahm seine Studien also an katholischen Einrichtungen auf. Und das
Buch lässt etwas vom manischen Arbeiter Blumenberg erahnen; zum Beispiel, wenn
in einer Episode von einer Kontaktaufnahme am Telefon berichtet wird, bei der
sich Joachim Ritter nicht entscheiden kann, ob er das akademische Viertel zur
verabredeten Zeit einhalten soll, es bedingt tut und den Kollegen verpasst.
Vielleicht lässt sich die Charakterisierung, die Goldstein
Blumenberg zukommen lässt, sich auch auf dieses Buch anwenden. Es scheint mir
jedenfalls ganz von dieser Intention getragen.
Blumenbergs Philosophie will herausstellen und, wo nötig, zur Ausdrücklichkeit bringen, was in den Sedimenten der Bewusstseinsgeschichte des Menschen markant, oder oftmals bis zur unkenntlichen Selbstverständlichkeit eingelagert ist.
Die „unkenntliche Selbstverständlichkeit“. In diesem
Ausdruck nimmt Goldstein gewissermaßen einen Moment der Betrachtung der
Metapher vorweg, der im späteren so etwas wie einen Kern der Blumenbergschen
Philosophie ausmacht.
Wenn Blumenberg von absoluter Metapher spricht, meint er im
Übrigen etwas ganz anderes, als Gerhard Neumann, der in einem Aufsatz von
1970 versucht, dem Dichter Paul Celan
die absolute Metapher unterzuschieben, und zwar gerade da, wo Celan fast
unverstellt vom Mord an seinen jüdischen Angehörigen spricht. (Neumann war es
übrigens, der 1970 Ohrenzeuge des Gespräches von Heidegger und Celan in
Todtnauberg war, und außer vagen Andeutungen nichts darüber verlautbaren ließ.)
Blumenberg sieht in der absoluten Metapher viel mehr eine
sprachliche Eigenheit, einen metaphorischen Sprachgebrauch, der aufgrund seiner
Gebräuchlichkeit gar nicht mehr als Metapher wahrgenommen wird.
Goldstein zeichnet Blumenberg in der Vorbemerkung als den
„verborgenen Philosophen“. Das war mir unmittelbar einsichtig. Ich habe Anfang
der Neunziger in Frankfurt studiert und während meines Studiums ist sein Name,
sowohl in den Kursen, die ich belegte, als auch in anderen studentischen und
akademischen Zusammenhängen nicht gefallen. Was ich im Nachhinein sehr
bedauere, denn gerade Blumenbergs dezente Heideggerkritik, die von einer kühlen
Distanziertheit geprägt ist, hätte mir in meiner eigenen Auseinandersetzung mit
dem Schwarzwälder, die eher von einer gewissen Aufregung geprägt war, sicher
geholfen.
Goldsteins Portrait ist von einer enormen Belesenheit. Er
scheint wirklich jeden Fetzen Blumenbergs ausgegraben und reflektiert zu haben,
dazu noch die Einwände und Reflexionen der Zeitgenossen. Das klingt nach einer
großen Anstrengung, aber Goldstein scheint eine fast libidinöse Zuwendung zu
seinem Material entwickelt zu haben.
Ersichtlich wird es beispielsweise in der Darstellung von
Blumenbergs unabgeschlossenem Projekt einer Technikphilosophie, die natürlich
mit der eher beiläufigen Erwähnung Heideggers operiert, aber genau an jenem
Punkt ansetzt, an dem Technik im Sinne einer ausgeklügelten Tötungsmaschinerie
durch die Nazis auftritt. Natürlich nimmt Blumenberg diese gegen den Menschen
gerichtete Ausprägung nicht für den Begriff, sondern versucht einen dagegen zu
entwickeln. Und genau dort findet auch der Umbruch statt. Nach der Technik
wendet Blumenberg sich eben der Metaphorologie und später dem Mythos zu.
Goldstein geht dem minutiös nach. Der Leser bekommt eine
substanzielle Einführung in Blumenbergs Werk, was die Lust anschwellen lässt,
sich den originalen Texten selbst zuzuwenden.