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Juan Ramón Jiménez: Tagebuch eines frischvermählten Dichters

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Timo Brandt

„Was reist, wenn ich reise, ist meine Seele, und sie reist unter Seelen.“


1916 reist der spanische Dichter und spätere Nobelpreisträger Juan Ramón Jiménez von Cádiz nach New York. Grund der Reise war: die Liebe. Er war seit nunmehr drei Jahren mit Zenobia Camprubí liiert, einer Freidenkerin, Künstlerin und erklärten Feministin, und nun sollte die Hochzeit stattfinden – auf der anderen Seite des Atlantiks.

Die Aufzeichnungen in diesem Buch erstrecken sich vom Tag der Abfahrt im Januar 1916 bis zum Oktober 1916, als Jiménez wieder in Madrid anlangte. Sie sind unberührt vom Chaos und den Schlachten ihrer Gegenwart, aber es sind auch keine intimen Aufzeichnungen nach Art eines persönlichen Tagebuches. Sie stellen vielmehr ein Impressionsalbum dar, das (fast ausschließlich) drei thematische Schwerpunkte hat: das Meer, Amerika und vor allem die tiefen Gefühle gegenüber den Menschen, den Orten, anhand derer das Mysterium der Verbindung (der Liebe) zwischen dem Ich und der Welt verhandelt wird.

„Die Blumen dort im Grünen beginnen das Fliegen um sich herum zu fühlen, draußen, und denken: Wohin wenden sich die Flügel?

Und sie beginnen, kindliches Gezwitscher um sich herum zu hören, und denken, dort im Grünen: Wohin fliegen all diese Lieder?

Und sie öffnen sich! Und … wohin wenden sich die Flügel? Und … Wohin fliegen die Lieder? Und … Wohin, wohin, wohin die Wohlgerüche?“

Oft sind die Aufzeichnungen in Gedichtform verfasst, aber es gibt auch zahlreiche Prosatexte, die Impressionsmomente, aber auch kleinere Geschichten und Anekdoten zu den besuchten Orten an Amerikas Ostküste enthalten.

Spannend ist, wie jene Sehnsucht, die Jiménez anfangs wieder und wieder in das Bild des Meeres projiziert, von ihm, ohne Zögern und mit leichter Hand auf die Begegnungen mit den Vereinigten Staaten erweitert wird. Amerika und das Meer erscheinen so als wesensähnliche Gegebenheiten, die mit ihrem schieren Ausmaß die Phantasie anregen und die großen Fragen des Lebens zu provozieren scheinen – und sich ihnen gleichzeitig verweigern, sodass die Sehnsucht letztlich, umso heftiger, ins Ich zurückfällt und dort die Poesie hervorbringt. Aus dem Wunsch heraus, teilzuhaben an dem, was in dieser Breite, Vielfalt und Schönheit existiert.

„Plötzlich das traurige Bewusstsein,
dass uns das Meer nicht sieht; dass es nicht dieses
Einvernehmen war, das meine Seele
Tag und Nacht nährte
und dem seelenlosen Meer darbot,
sondern eine platonischen Liebe.“

Wer mit der schwärmerischen Komponente von Jiménez Dichtung nichts anfangen kann, wird mit dem Buch vermutlich wenig Freude haben. In den Gedichten ist es durchgängig ein zartes Hohelied, mit viel Gespür und entschleunigten Betrachtungen, einem sensiblen Sichtbarmachen des Allumfassenden im kleinsten Gegenstand.

Als Beispiel für das Anekdotische in den Prosatexten mag jene Geschichte aus Philadelphia herhalten, die Jiménez nachträglich, bereits wieder zurück in Madrid, niederschrieb. Er hat dort die Stuben (und Betten) der Revolutionsteilnehmer Lafayette und Washington besichtigt, und als er später beim Dinner die versammelten Leute nach dem Bett von Benjamin Franklin fragt, erntet er zunächst nur ein reihum aufblitzendes Lächeln, bevor das Thema gewechselt wird.

„Später tritt Mr. W-t zu mir und flüstert mir ins Ohr: „Franklin schlief nie zwei Nächte im selben Bett, und keinmal in seinem eigenen.“

„Tagebuch eines frischvermählten Dichters“ ist eines dieser Bücher, die eher eine träumerische Versenkung bieten und in denen man gut ziellos blättern kann. Es ist voller poetischer Kostbarkeiten, aber es mangelt ihm an Variation.

Am schönsten sind, meiner Meinung nach, die Aufzeichnungen von der Fahrt, die poetischen Auseinandersetzungen mit dem Meer, das als große Tiefe und doch wieder als großer Spiegel erscheint, in dem die Hoffnungen und poetischen Annäherungsversuche von Jiménez aufgenommen und von dem sie doch wiederum gebrochen und zurückgeworfen werden.

Während die amerikanischen Episoden hundert Jahre später vor allem einen nostalgischen und oft leicht unwirklichen Charakter haben, sind diese Schiffspassagen in gewissem Sinne zeitlos, auf geradezu natürliche Weise poetisch.

„Das Schiff, langsam dahineilend, besiegt das Wasser,
doch nicht den Himmel.
Das Blau, es bleibt zurück, öffnet sich lebendigem Silber
und ist von neuem vorne.
Der standfeste Mast wiegt sich und kehrt
– wie ein Zeiger auf dem Zifferblatt
zur selben Stunde –
immer zurück
zu denselben Sternen,
Stunde um Stunde zwischen Blau und Schwarz.“


Juan Ramón Jiménez: Tagebuch eines frischvermählten Dichters. Übersetzt von Leopold Federmair. Berlin (PalmArtPress) 2017. 232 Seiten. 24,00 Euro.
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