Jonis Hartmann - Ex
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Amadé Esperer
Ex, nicht hopp!
über Jonis Hartmanns neuen Lyrikband »Ex«
Betritt man die lyrische Landschaft »Ex« von Jonis Hartmann, so lässt man an sich auf ein ziemliches Abenteuer ein. Überall lauern nämlich Sphingen, geben Rätsel auf und haben es offenbar darauf abgesehen, einen ordentlich durcheinander zu bringen. Man darf sich nur nicht abschrecken lassen, denn, ist man erst einmal an den ersten Sphinx-Sprüchen vorbeigekommen, sieht man nicht nur Unerwartetes, sondern Verlockendes, und ab einem gewissen point of no return, macht man nicht mehr halt, sondern dringt, wie von einem magischen Sog gezogen, weiter und weiter in diese exotische Landschaft hinein: Man will es wissen, man erklimmt Höhen, blickt in Abgründe, sieht in Spiegelgesichter, schreitet durch kafkaeske Biotope und ist unversehens schon auf der letzten Seite angelangt, gerade wenn man sich eingelesen hat, und denkt, es hätte gerne so weiter gehen können.
Wie gelingt es Hartmann, solch einen Sog zu entfalten?
Liegt die Lust, lesend in die seltsam »lullende« Sphäre der Gedichte immer weiter vorzudringen vielleicht daran, dass der Autor uns in ihnen eine klare Sprache, eine gewohnte Syntax und Orthografie präsentiert? Liegt es daran, dass er uns nicht durch sprachzertrümmerte Wort- und Satzhalden führt, nicht durch hermetische Wüsten schleppt, wo wir ohne rettende Oasen verdursten?
In
der Tat, dieser Autor ist weder sprachzertrümmernd, noch verbirgt er sein
Anliegen in hermetischem Dunkel. Ganz im Gegenteil, er tritt uns mit klarer
Sprache und Syntax entgegen, bietet uns Sätze an, die wir auf Anhieb verstehen.
Aber, das würde natürlich noch nicht den Reiz ausmachen, weiter einzudringen in
die üppige Fantastik dieser Lyrik. Es würde nicht erklären, warum wir uns verlocken
lassen, weiter zu lesen, obwohl uns vieles auf den ersten Blick als gewaltig
surreal erscheint. Aber vielleicht ist es ja gerade dieses Surreale, das den meisten
der in Ex versammelten Gedichten eignet, das uns so lockt und zu willigen
Voyeuren dieser kleinen, im wahrsten Wortsinn fantastischen Dramen macht. Dabei
verführt der Autor uns nicht selten mit witzigen Formulierungen, tiefer in die
Texträume einzudringen, wo er uns dann mit ungewöhnlichen, ja aberwitzig
anmutenden Sachverhalten überrascht und manchmal auch traktiert:
Ob wir heute balzen, frage ich einen Franz.Nein sagt der, er kann hier nicht weg. Er istAtlant und wenn er seinen Posten einfach aufge-ben würde, au weia, dann stürzt was ein und daswürde uns alle, auch mich, empfindlich treffen.
oder:
Ein Haar fiel von ihrem Haupt. Es fiel und fielund ich verfolgte es mit meinem Blick. Es landetein einer Schüssel, die sich auf einer Waagschalebefand. Daraufhin geriet die Waage ins Ungleich-gewicht. Sie neigte sich, immer weiter neigtesie sich. Dann berührte sie den Zünder ...
Wie
gesagt, Hartmanns Schreibweise ist nicht hermetisch. Wenn man nur weit genug
vordringt, versteht man allmählich auch die Sprache der kafkaesken Absurditäten
und merkt, dass uns hier einer in lässigem, eher distanziertem Ton Bilder präsentiert,
hinter denen sich Welten von unterschiedlichsten Seelenzuständen, von Ängsten, von
schierer Paranoia, aber auch von schalkhafter Freude verbergen. Wie gesagt,
enigmatisch ist er schon ein bisschen sehr, dieser Jonis Hartmann, aber nicht
hermetisch. Er lässt uns hinein in seinen Lunaticpark, aber er scheut sich auch
nicht, uns Witziges und durchaus Angenehmes zu zeigen. Sei es beim Frühstück
oder auf dem Flohmarkt, sei es morgens beim Klingeln an der Tür oder beim Blick
durch das Fenster, oft fängt alles ganz harmlos an, um dann abrupt in Unerwartetes
umzuschlagen, wie die folgenden Gedichtanfänge zeigen:
Das Frühstück in der Kirchenruine wurde krähunterbrochen…
oder
Später auf dem Flohmarkt trafen wir den un-zuverlässigen Erzähler, und denk dir, was er sagte,morgen werdet ihr schreien…
oder
auch:
Das Gelände brach und der Mann fiel. Bis aufden Grund der Straßenschlucht. Mir fiel er nichtlangsam genug, als er mich durch das Fensterhindurch anblickte…
Oft
bereitet manch ein Gedicht das reinste ironische Vergnügen:
»Auf den Feldern bauen sie Wolken an. Sie ver-suchen es zumindest. Klappt doch ganz gut.ständig sind wir verhüllt, gelullut, für uns. Staubschichtet sich auf unserer Haut, wir könnenGesichter darin malen…«
Bei
anderen Gedichten der in Ex versammelten 5 Zyklen sind jene meist
zentrale Bedeutung entfaltenden Ambiguitäten assoziationsanregend, wie etwa in Flamengo,
wo es heißt:
… Träu-mend schwimmt sie im Solebad und hat keinen.
Hat
sie nun keinen Lover und träumt sich einen, oder träumt sie vielleicht von einem
guten Orgasmus und hatte keinen? Oder hat sie träumend keinen Traum?
Köstlich
mehrdeutig ist auch die folgende Sequenz im Gedicht Beim Bügeln kommt die Erinnerung:
… Dabei ist unübersehbar, dass die Welt auchaus Gefängnissen heraus regiert wird. Sogarmein Hemd ist gestreift. Ich rief nach meiner Frau:Anathema!
Das
Gedicht kommt zunächst mit ganz normalen Wörtern daher, um ganz am Schluss ein
Fremdwort zu präsentieren. Das hat natürlich Signalwirkung und nimmt empfängliche
Lesende sofort gefangen. Anathema! Heißt die Frau denn wirklich Anathema? Heute
weiß man ja nie. Oder ruft der Erzähler seine Frau herbei, weil im Fernsehen gerade
die britische Metall-Rock-Band Anathema auftritt? Oder steht hier Anathema etwa
in klassisch-griechischer Konnotation, und der Mann ruft seine Frau, indem er einen
kräftigen Fluch, ja ein Verfluchen ausstößt, was er mit dem schön klingenden
Fremdwort geschickt maskiert?
Wie
gesagt, die Sprache Hartmanns ist glasklar, selbst dann, wenn sie es
unternimmt, mittels grammatikalischer Verdrehungen Inhaltliches durch Form abzubilden,
wie beispielsweise in dem Gedicht Bete Lemming, bete, in dem es heißt:
Plötzlich rannten alle. Ich wollte auch und griffnach meinem mit Käse belegten Weltmeister-brötchen. Ich vehaspelte mir, kaute mich auf derZunge …
In
diesem Gedicht wird gleichzeitig die Vorliebe des Autors zum Neologismus sichtbar:
»Weltmeisterbrötchen«. In anderen Gedichten finden sich weitere
Wortneuschöpfungen, wie »Schattenbeauftragter«, »Haarbeitel«, »blutgrätschen«,
um nur einige zu nennen, die sich durchaus erfrischend lesen und den Gedichten meist
guttun, wie folgendes Beispiel belegt:
Es ist ernst und Tag und gleichzeitig Nacht. DerSchattenbeauftragte hat ein neues Konzept vor-gelegt. Jeder Schritt geht schwerer…
Auch
geizt der Autor nicht mit Dialektwörtern und Verbalhornungen. Dass sich
Hartmann dabei im nordlichternden Sprach- und Denkumfeld bewegt, wird klar,
wenn er uns etwa Wörter wie »klöternieren« vorsetzt. Solch ein Wortgebilde mag
dem Norddeutschen sofort eingängig sein, der Süddeutsche bzw. Nichtnorddeutsche
allerdings muss erst einmal nachforschen, wovon hier die Rede sein könnte.
Dabei hat Hartmann das Nordwort »klötern« auch noch verballhornt, als sei mit dem
Klötern alleine nicht schon genug geklötert. Der Norddeutsche versteht trotzdem
sicher, wovon die Rede ist, wenn er liest:
»…. ….Ständig lassen sie etwasfallen, klöternieren oder sagenSachen……«
Dagegen
muss der Nichtnorddeutsche erstmal recherchieren, um herauszufinden, dass klötern
zweierlei bedeuten kann, nämlich: »als etwas Loses in einem Hohlraum Geräusche
machen« oder einfach nur »pissen«. Auch hinunterpesen, ist so ein Nordwortmix,
den man ins Gesamtdeutsche in etwa mit »schnell gehen« oder »in Eile gehen«
übersetzen könnte. Ob gelullut, auch so ein Nordwort ist, bleibt
fraglich. Ich könnte mir denken, dass es etwas mit einlullen zu tun hat. Was aber
die Verwendung von beschummt betrifft, ist man definitiv ratlos. Zwar kommt
das Wort im Jiddischen mit der Bedeutung »fett sein« vor, das entsprechende Gedicht
jedoch konfrontiert uns mit einer Kontextkonstellation, in der die jiddische Wortbedeutung
keinen Sinn ergibt:
So paddelte er im Wasser, so buddelte er eineKammer. Anschließend geht er bummeln, hierschummt er um eine Blüte…
Auch
mutet uns der Autor gerne exotische Wortspezies zu, wie beispielsweise Synekdoche,
Quetzale, Marengue oder Dodo. Mit »Professor« Googles Hilfe
sollten diese Mirabilia jedoch rasch aufgeklärt sein.
Was
immer man von den vielen dialektbezogenen Wörtern, Neologismen und mancher
Genitivmetapher, die sich hie und da eingeschlichen hat, halten mag – versöhnt
wird man dann doch wieder durch des Autors geschickten Einsatz von Ironie und
manch trefflich plastischer Schilderung von inneren Seelenzuständen, die
erhitzte äußere Umstände nach sich ziehen und uns durch dick aufgetragene,
skurrile Bilder vor Augen geführt werden, wie beispielsweise in dem Gedicht Aus
dem Leben der Akustikpanele:
Bei der Sitzung verhedderten sich zwei Teilneh-mer in ihren Krawatten…… das Knäuel krawattierter Männer wächst.
Auch Liebe, Eros und
weibliche Psyche werden erfrischend schön durch die ironische Brille gesehen:
»Auf der Tanzfläche verlor er das Bewusstsein, siehatte ihn angeblickt. Angefangen wurde er solid,doch dieselben Arme liegen jetzt, Lichtjahespäter, um seinen Hals und drücken zu…….«
oder:
Während sich der flügge König vögelnd fort-bewegte und eine herbe Prinzessin die E-Mailihres Lebens bekam …
vor allem auch:
Fee-Louise Wald, Lehrbeauftragte in Experimental-logik am hiesigen Institut und privat dodobegeis-tert, ist verzweifelt. Seit Tagen will der Gedanken-strom nicht abfließen…
Was
das Formale betrifft, so stört es gar nicht, dass die Gedichte weder end-, noch
binnen-, noch schlaggereimt daherkommen. Es findet sich immerhin die eine oder
andere Alliteration und Assonanz, die für Musikalität sorgt. Der Rhythmus ist
glatt gestaltet, wenn auch immer mal wie morphologische Enjambements anmutende
Zeilensprünge ins Auge stechen, die ehrlich gesagt, ein bisschen nerven, da sie
poetisch nicht motiviert sind. Man hat diesbezüglich den Eindruck, der Autor
habe die Gedichte in einem bestimmten Blocksatzformat geschrieben, und dabei seien
dann zufällig diese merkwürdigen Worttrennungsgebilde entstanden. Da es aber
keine echten Rhythmusbrüche gibt, auch wenn dies im einen oder anderen Fall die
Wirkung sicher noch gesteigert hätte, entsteht ein Fließrhythmus, der es den
Lesenden erlaubt, sich auf die ausdrucksstarken Bilder zu konzentrieren.
Positiv ist dabei, dass durch die Kraft der Bildersprache nirgends der Eindruck
eines auf glattem Rhythmus nur dahinplätschernden, logorrhoischen Parlandos
entsteht.
Obschon
viele Gedichte nicht ohne weiteres ihr Geheimnis preisgeben, oder vielleicht
gerade deswegen, kann man den Band nicht einfach beiseitelegen und im Sinne von
»ex und hopp!« abfertigen. Ganz im Gegenteil! Hartmann ist es in Ex gelungen,
die Sprache einem distanzierten, um mit Benn zu sprechen, heruntergekühlten Ton
anzunähern, und so einen Suggestivraum zu kreieren, in dem sich unter dem
Deckmantel einer manchmal üppig barocken Skurrilität Politisches,
Sozialkritisches, ebenso wie Psychologisches und Moralisches ohne Zeigefingeritis
entfalten kann. Wenngleich viele Gedichte in Hartmanns surrealer Landschaft enigmatisch
bleiben dürften, so eignet dem vorliegenden Band doch ein nicht zu
unterschätzendes Suchtpotential, und es besteht durchaus die Gefahr, dass man
ihn wieder aufschlägt, um nachzusehen, ob die Skurrilitäten alle noch da sind.
Es
ist wie bei der surrealen Malerei: Wer die Gemälde von Salvador Dalí oder René
Magritte mag, der wird auch die Ex-Gedichte von Jonis Hartmann mögen.
Jonis
Hartmann: Ex. Nettetal (Elif Verlag) 2019. 102 Seiten. 18,00 Euro.