Jónas Reynir Gunnarsson: der nachthimmel ...
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Foto: Saga Sig
Jónas Reynir Gunnarsson
der nachthimmel ...
(Aus: þvottadagur / waschtag, Gedichte, Páskaeyjan, Reykjavík, 2019)
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
der
nachthimmel ist die schwarze wolldecke
ausgespannt
zwischen den stühlen in der stube
eine
hausgemachte festung in der ich gespielt habe für mich allein
doch
heute umhüllt sie die welt
wenn
die decke gewaschen wird lösen sich die fäden voneinander
wir
sehen den himmel reißen
wir
sehen explosionen wie an silvester
und
hören danach einen knall
und
die welt hört auf
sich
auszudehnen
nun
ist der abstand zwischen uns so groß
dass
definitionen nicht mehr gelten:
leben
liebespaar
familie
freunde
arbeitskollegen
orchester
militär
menschen
verliebt
von
all dem sind wir befreit
Jónas Reynir
Gunnarsson, geboren 1987, wuchs in Fellabær
im Nordosten Islands auf und erhielt einen MA in Creative Writing an der
Universität von Island in Reykjavík. Er veröffentlichte u. a. die Romane Millilending
(Zwischenlandung), 2017, Krossfiskar (See-sterne), 2018, und
Dauði Skógar (Tote Wälder), 2020, nominiert für den Isländischen
Literaturpreis 2020 und für den Literaturpreis der Europäischen Union 2021.
Seine beiden ersten Gedichtbände waren Leiðarvísir um þorp (Gebrauchsanweisung
für ein Dorf), 2017, und Stór olíuskip (Große Öltanker),
ebenfalls 2017; für letzteren gewann er 2017 den angesehenen Tómas Guðmundsson
Poesie Preis. Sein 2019 erschienener Lyrikband Þvottadagur (Waschtag),
dem dieses Gedicht entnommen ist, wurde mit dem „Maistern“ ausgezeichnet, einem
der wichtigsten Preise für Poesie in Island.
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