Jónas E. Svafár: Zwei Gedichte
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Jónas E. Svafár
Zwei Gedichte
Aus: Ljóð og
myndir / Gedichte und Bilder, Verlag Omdurman, Reykjavík 2011
Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
Radioaktive Monde
über der weltkugel des hirns
gehen skelette arm in arm
die augenhöhlen der technik
weinen der armeen blut
maschinengewehre arbeiten auf schreibmaschinen
an der geschichte der menschheit
drachen oder bakterien kriechen
ins morgengrauen
aus den ideen der wolken
stürzen wasserstoffbomben
aus der atmosphäre
spannt sich der todeskampf des feuers
Bankrott
die graserde spielte verrückt
über eingestürzten häusern mit erschüttertem hirn
beim erdbeben im süden des lands
damals gingen wir auf allen vieren
nach schützengegrabenem krieg
wurde uns die souveränität zuteil
aus einem bakteriellen begräbnis
damals fingen wir an mitzulaufen
panzerschiffe und kraftwagen trugen
den todesspeer doch schwert und schild
gaben uns den unabhängigen gang
damals lernten wir rad fahren
wir wurden zu einem leben in schizophrenie verführt
in dem druckluft sich im bankrott verwirklicht
im kampf gegen die inflation
damals erlangten wir den frieden zu fliegen
in einer magnetisierten computerunke
wird die menschheit künstlich befruchtet
mit robotern in jedem heim
jetzt können wir mit einem gähnen krepieren
Jónas E. Svafár,
geb. 1925 in Reykjavík, gest. 2004 in Stokkseyri, war ein Dichter und
bildender Künstler, der dem geistigen Umfeld von Islands Atomdichtern,
den Erneuerern der isländischen Poesie zugerechnet wird. Er gilt als
ein Mann mit einem ungewöhnlichen Lebenswandel, u.a. wird ihm
nachgesagt, zwei Jahre in einem Zelt gelebt und sich aus-schließlich von
Roggenbrot ernährt zu haben; andere sagen, er habe jahrelang geschlafen
und sei so zu seinem Namen Svafár (sinngemäß: Der Schlafende)
gekommen. Er veröffent-liche vier Gedichtbände, die er zumeist selbst
illustrierte. Im Verlag Omdurman erschien 2011 ein Sammelband mit den
meisten seiner Gedichte und Zeichnungen.