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John Burnside: Anweisungen für eine Himmelsbestattung

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Timo Brandt

Alles wird, obgleich so nah, zum Horizont



„fange

das Andersleben der Dinge ein

   ehe dein Blick

sie überschwemmt.“


Es ist nicht übertrieben und auch kein Allerweltjargon, wenn auf dem Klappendeckel von „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“ davon die Rede ist, dass der schottische Dichter John Burnside Worträume zwischen Physischem und Metaphysischem eröffnet. Denn wenn diese Gedichte eins sind, dann physisch, und wenn sie noch etwas anderes sind, dann in jedem Fall metaphysisch; die Verse sind wie Formeln, die aus physischen Ziffern metaphysische Zusammenhänge errechnen.


Doch damit greife ich vor, und zunächst gibt es auch noch einige profanere Dinge, die man über diese Gedichtauswahl aus den Jahren 1994-2014 sagen kann. Zunächst: die Verwandtschaften. Sehr oft habe ich mich, vor allem bei den kürzeren Gedichten, an die Lyrik von Seamus Heaney erinnert gefühlt – die Bedächtigkeit, die Burnsides Momentaufnahmen bei aller Weitläufigkeit, dem Hinausgreifen bis zum Fluchtpunkt, haben und die ihre Gegenstände stets beim Lesenden ankommen lässt, sie ist auch ein Merkmal von Heaneys Lyrik. Ein anderer Verwandter könnte der amerikanische Lyriker Robert Frost sein – wie dieser, hat Burnside eine Schwäche für die düsteren und dunklen Orte, die Schemen und Unwägbarkeiten, wobei Burnside eine viel klarere Auflösung sucht; seine Gedichte zieht es zur Konsequenz, zu einer Erkenntnis, die etwas Übergreifendes ausstrahlt – Ideen, die Frost meist spöttisch abtut. Ebenfalls ähneln sich ihre poetischen Ansätze bei einem Aufgreifen, das einfache Phänomene aus ihrem – in der Gewohnheit der Erscheinung verhafteten – Inneren holt und in eine größere Wahrnehmung stellt.

“Forgive me if I choose not to believe
the snow would fall like this, were I not here
to see it.
There might be snow, of course, but not like this,
no hush between the fence line and the trees,
no sense of something other close at hand”


Doch Burnside lässt diese beiden Dichter und viele andere Lyriker*innen in einigen Punkten hinter sich. Um diese Eigenschaften seiner Dichtung zu erfassen, zu beschreiben und zu isolieren, muss man sich zunächst die häufigste Form ansehen, die Burnside wählt: das zyklische Gedicht. Das zyklische Gedicht, das streift, zoomt, auseinanderdriftet, zusammenfallen lässt. Das zyklische Gedicht, das, ausgehend von einem thematischen Fixpunkt, einem Hafen, die Ozeane seiner Erinnerungen, Eindrücke – nebst den metaphysischen Wurzeln und Verweisen, die darunterliegen – durchfährt.

Ist es der Versuch einer Perfektion des Eindrucks? Diese zyklischen Gedichte sind nicht einfach nur streifende Impressionsmaschinen, die mithilfe einer einenden Struktur aus Eindrücken Komplementierung und Kontemplation erzeugen wollen. Sie sind stets auf der Suche nach etwas – oder auf der Flucht. In beiden Fällen ist es eine Fährte, die im Mittelpunkt steht: die Fährte, der sie folgen, oder die Fährte, auf der man ihnen folgen kann. Entweder sie fahren mit ihren Worten über Stellen mit geronnenem Blut oder sie bluten selbst.
Sie bauen ihr Inventar auf, erweitern es immer wieder und während man noch denkt, dass das Gedicht in die Breite geht, größer wird, sich aufplustert, verengt es sich eigentlich. Kommt näher an das heran, auf das es hinauszulaufen versucht.

Denn die verblüffendste Eigenschaft dieser poetischen Bewegung ist ein Sich-Auskennen. Obgleich die Bewegung suchend ist, hat der Verlauf stets etwas an sich, das bereits bis auf den Grund reicht, bereits im Erfassen-Wollen ein tiefes Verständnis verströmt.  

„aufgefordert
unvorbereitet in die Welt hinauszugehen

und unseren Platz darin zu beanspruchen

  jedes Mal

wenn wir durch die sich langsam verdunkelnden Felder
zu ruhigen Räumen zurückfahren

  zu Gebeten, die unerhört bleiben.“ [unanswered]


Was hinter manchem Vers zur Erkenntnis reift: die Wirklichkeit, bestehend aus Vereinfachungen, zu Bezeichnungen geschrumpften Ideen, ist ein falsches Gesamtbild – in den Ritzen, dem Vereinzelten liegt und lebt und ruht etwas Wahreres; ein vielleicht weiter vom Sichtbaren entferntes, aber in der tatsächlichen existenziellen (Auf-)Geworfenheit stehendes Dasein. Dieses Dasein hat eine sehr harte, physische Note, in der die Verdichtung des Eigenständigen so hoch ist, dass schon wieder die Möglichkeit zur Transzendierung besteht, gerade weil das Sinnliche so stark ist – der Überschuss darin, die Unklarheit, die eine so dichte Existenz heraufbeschwört und hinterlässt, entlädt sich in einer mythischen Aura, einer leicht entrückten Empfindung, einem nachdenklich stimmenden Hin- und Herdrehen im Kopf. Eine Art epische Unruhe geht von seinen Trägern aus.

Themen werden Kosmen für sich. Die Gedichte langen unter die Fundamente, befühlen sie, wollen sichergehen, dass sie da sind. Auch, weil das Ich selbst keine Fundamente kennt.

Das Ich. Ein weiterer, eigenwilliger Zug von Burnsides Lyrik. Dieses Ich, das vielfältig einsetzbar ist und auch vielfältig eingesetzt wird, irgendwie immer mit dabei ist, bei dem die Unwägbarkeit seiner eigenen Behauptung kaum auffällt. Oft ein Ich, das Beobachter ist und sich erinnert – aber auch oft ein Ich, das Sammelstelle ist für mehrere Unbekannte, mehrere Ideen von Ich. Ein Ich, an dem das Metaphysische seine stärkste, unmittelbare Wirkung entfaltet; aber dadurch weit davon entfernt ist, eine eigene Konsistenz beibehalten zu können. Ein Ich, in dem die Möglichkeiten der Bewegung sich erschöpfen. Ein Ich, das wächst, aber gleichzeitig auch schrumpft, sich ausbreitet, aber immer auf das Nadelöhr zurückgeworfen wird, durch das alle Eindrücke und Ausdrücke kommen müssen. Die Gedichte, die Zeilen, sie sind der Faden durch das Nadelöhr, der gleichzeitig versucht, drum herum zu gelangen und trotzdem zu begreifen.

„I’ve wanted so many lifes

   such otherness

and so much less than anything we have“


Zum Ende hin, kann man vielleicht noch einmal etwas profaner werden. Was ist ein wesentlicher, profaner Zug von Burnsides Lyrik?

Landschaften und Menschen, die sich in diesen Landschaften bewegen. Landschaften und Menschen, die mit diesen Landschaften leben. Denn diese sind nicht einfach Wohnräume – sie sind Umgebungen, die ihre Bewohner, ihre Bestandteile, beeinflussen. Sie sind Verortungen, ihr eigener Fingerabdruck.

Auch: Engel. Götter. Sie ziehen einige Fäden im Hintergrund. Dabei ist meist unklar, ob tatsächlich nach Übernatürlichem Ausschau gehalten wird, oder ob die Himmelsboten und Götter eher spirituelle Gewänder für die seltsam zwingenden Strömungen und Winde sind, die man verflucht und auf die man hofft, oftmals zugleich, und die unser Leben beschleunigen oder auf Abwege bringen.  

“Götter an die sich bloß Steine und Zwiebeln erinnern”


Festlegungen finden sich auch bei John Burnside nicht, eher Auslaufendes. Eher Momente, in denen die Bewegung erkennt, dass sie mit ihren Bahnen gerade einen Punkt umkreist, ohne aber zu wissen, ob dies nun Zufall ist oder Gewissheit, oder einfach eine Art, sich den Dingen einmal zu nähern, um sie zu erkennen, wenn man sie gefunden hat.


„Wie Schrecken stets

 zwischen der wohligen Wärme

von Zuhause

und dem Grauen vor dem Abschied wechselt“


Was man noch zu Burnsides Sprache sagen kann? Sie überrascht einen oft, ohne dabei allerdings auf große artistische Einlagen angewiesen zu sein. Das Bedächtig-Innovative, das Umfassend-Bodenständige sind die wichtigsten Nuancen. Und immer wieder konzentrierte Formulierungen wie diese:


“I took a bullet,
loaded it with care
and aimed with an intend that felt like love”


John Burnside: Anweisungen für eine Himmelsbestattung. Ausgewählte Gedichte. Englisch / Deutsch. Übersetzt von Iain Galbraith. München (Carl Hanser Verlag) 2016. 304 Seiten. 22,00 Euro.


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