Johannes Witek: Dem Baumgott ein Opfer bringen - drei Gedichte
Montags=Text
Johannes Witek
Drei Gedichte
Dem
Baumgott ein Opfer bringen
Wir benutzen die Formulierung
„dem Baumgott ein Opfer bringen“
für überholte soziale Konventionen
die möglicherweise in der Vergangenheit Sinn gemacht haben
(weniger für das Individuum
mehr für die Gesellschaft)
aber heute dem
Individuum bestenfalls einen entscheidenden
Nachtteil verschaffen,
schlimmstenfalls dein Leben komplett ficken
– was durch soziale
Konditionierung,
Gossip und Peer Pressure
überdeckt werden soll.
Es ist, als müsste jeder 75% seines Geldes
jeden Monat vor einem Baum verbrennen
und als würde sich jeder dann permanent
darüber beklagen,
dass das Geld nicht reicht.
„Verbrenn es halt nicht vor
einem Baum?“
„Wir haben das immer so gemacht.
So macht man das.“
Alles, was es braucht,
ist aus der sozialen Konditionierung
rauszukommen, aber wie viele Menschen
schaffen das jemals wirklich?
Die, die einfach wirklich nicht innerhalb der
Konvention können, fallen vom Rand der Welt,
die anderen sammeln Rezepte für
Antidepressiva.
So oder so,
einen Weg raus gibt es,
und Menschen vor dir
sind ihn gegangen.
Es ist, wie es über Maya heißt,
die Göttin der Täuschung:
Sie zu erkennen, heißt sie zu
vernichten.
Aber wir alle leben
in ihrem Palast,
ob wir wollen oder
nicht.
Mittag
im Park
Der alte Mann im Park,
Halbglatze, wirres Haar,
riesige rote Nase
gewaltiger Bauch
er raucht eine lange dünne Zigarre
und beobachtet die Familien
die sich unter den Bäumen aufstellen
für Fotos nach der Sponsionsfeier
im großen Gebäude nebenan --
junge Menschen voll Zukunft
(manche haben sich für die Fotos
sogar extra so einen amerik.
Doktorhut besorgt, den es bei uns
eigentl. nicht gibt)
Die Väter machen Witze und Fotos,
ein Großvater mit Sonnenbrille geht auf zwei Krücken,
die Söhne stellen sich mit der Großmutter
unter den Bäumen auf,
ein Mann sagt: "Technisch gesehen gehöre ich nicht
zur Familie."
Der alte Mann beobachtet die Familien
ohne erkennbare Regung. Ich bin fasziniert
von seiner Zigarre, der Aschestreifen wird länger
und länger und beginnt bedenklich tief über seinen
Bauch zu hängen, ohne allerdings abzufallen.
Ich mag den alten Mann, ich mag seine Zigarre.
Er sieht aus als hätte das Leben ihn durch diverse
Phasen gerempelt, aber er wirkt nicht müde, nicht
verwirrt, nicht gefrustet oder angepisst.
Ich mag auch die jungen Menschen und sogar die Familien,
alles gut.
(Wut, Depression und Konfusion können dich weit bringen,
aber nur bis zu dem Punkt, an dem du erkennst,
dass selbst zu gehen dich weiter bringt.)
(So viel geselliger im Sattel, seit das Pferd tot ist.)
Ich schaue weg und wieder hin. Der alte Mann sitzt unbewegt
aber die Asche seiner Zigarre ist verschwunden. Ich glaube
nicht, dass er irgendjemand hasst. Er wirkt ruhig und
zufrieden;
ein sonniger Nachmittag im Park.
Wir befinden uns auf historischem Gebiet, wenn die
Überlieferung
stimmt: die Römer haben hier Pferdearsch durch die Berge
getrieben.
Kann man sich den Bullshit vorstellen, der damals
abgegangen sein muss?
1000 Jahre Weltreich, die Kriege, die Intrigen, die Dekadenz,
1000 Jahre Weltreich, die Kriege, die Intrigen, die Dekadenz,
der Größenwahn - dann der traurige Verfall. Cäsar, der
dreiundzwanzigmal Eisen kriegt im Senat,
60 Personen an der Tat beteiligt, keiner hat jemals verraten
wer es war.
Damals wie heute: junge und alte Menschen im Park? Der selbe
Himmel?
Die gleiche Sonne?
Zwei junge Mädchen springen auf und ab und lachen.
Der Fotograf versucht, sie im Sprung zu erwischen.
Die jungen Menschen sind okay, sie sind jung.
Für manche wird das offizielle soziale Narrativ
funktionieren,
diesen gratuliere ich dazu.
Für andere wird es nicht funktionieren,
für die hoffe ich, dass sie etwas finden,
das für sie funktioniert.
Für mich hat es nie funktioniert,
aber niemand würde das erraten,
der mich hier sitzen sieht,
ein anonymer Arbeitnehmer
mit Sozialversicherungsnummer
der einen alten Mann beobachtet
der junge Menschen beobachtet.
Ich schaue weg und wieder hin
und der alte Mann ist verschwunden.
Keine alten Männer mehr.
Ich stehe auf und gehe.
Pause vorbei.
Everyday
Struggle
Weigere dich,
aufzugeben:
es gibt einen Weg,
es gibt eine Chance
die menschliche Form
ist nur das;
– Form
wie bei allen Formen
kann das,
worauf es wirklich ankommt
in die nächste
transferiert werden
hör nicht auf
gib nicht auf:
der alte Bluesmusiker,
der nach fünfzig Jahren Business
in einer Pariser Bar über seine neue
Platte spricht:
ein Armengrab vor sich
und vierzig Kinder hinter sich
der Boxer in der Ecke
im Dickicht der Schläge
nicht und nicht Willens
in die Knie zu gehen
das Leben, das versucht,
deinen Arsch zu Boden zu bekommen
und dann an dir zu hängen
wie Khabib Nurmagomedov vs. McGregor --
lass nicht los
hör nicht auf
es gibt Hoffnung:
was immer
überlebt
lebt für
immer
Die Gedichte sind aus dem neuen Band "Salzburg Flood":