Johannes Witek: Das Jahr des Grashüpfers
Montags=Text

Johannes Witek
Das
Jahr des Grashüpfers
Es
kam das seltsame Jahr
in
dem deutschsprachige Lyriker
sich
plötzlich die Kragen ihrer
Hemden
aufstellten
und
mit Sportwagen von München
bis
Hamburg rasten
als
seien sie auf der Jagd nach etwas
und
zwar nicht dem Georg-Büchner-Preis.
Den
Arm ließen sie dabei aus dem
Fahrerfenster
hängen und trugen Sonnenbrillen
mit
großen dunklen Gläsern;
mit
ihrem lakonischen und geringschätzigen
Gesichtsausdruck
bedrohten
sie Familien auf dem Weg in den Urlaub
und
Rentner
auf
deutschen Autobahnen.
Plötzlich
ging es nicht mehr darum
wer
bei Suhrkamp publizierte oder
ein
Schreibseminar am Bodensee abhielt,
sondern
darum, wer wie viel Kilo
beim
Bankdrücken schaffte.
Anstatt
Sätze zu schreiben wie:
„Umwebung. Fraktale. die Talung b.droht mich – -satt.“
brüllten
sich deutschsprachige Lyriker im Internet
jetzt
mit Großbuchstaben gegenseitig an:
„LIFT THAT SHIT OR DIE TRYING!!“
„NO PAIN NO GAIN!“
Die
Hälfte ihrer Projekt- und Förderstipendien
verwendeten
deutschsprachige Lyriker auf einmal dazu
in
ETFs zu investieren
und
statt den Förderbedingungen für
das
nächste Stipendium lasen sie sich jetzt in
The
Intelligent Investor und
den
Unterschied zwischen Investieren und Spekulieren ein.
Die
eine Hälfte der deutschsprachigen Lyriker
macht
plötzlich in einem Quartal mehr Kohle
als
sämtliche Bachmannpreisgelder zusammen.
Die
andere Hälfte ging sofort bankrott.
Alle
deutschsprachigen Lyriker jedoch
tranken
jetzt fünfzehn Bier täglich und gingen nachts
in
die Lokale ihrer Städte um dort
Anlagenmechaniker
zu verprügeln,
an
Spielautomaten zu zocken und in
wirklich
unappetitlicher und widerlicher Art und Weise
die
Frauen anzugraben.
Nun
gibt es viele
süße
und sympathische Freizeitbeschäftigungen
die
man nicht zwangsläufig verstehen muss,
die
aber im Grunde keinem weh tun
wie
z.B. Mineralien sammeln,
Kakteen
züchten und
Modelleisenbahnen
im Keller.
Ein
deutschsprachiger Lyriker zu sein
war
jedenfalls eine der sinnlosesten, süßesten und sympathischsten
bisher.
Hauptsache es werden nicht zu viel öffentliche Gelder
in
den Scheiß gepumpt.
Diese
neue Entwicklung aber
war
mehr als bedenklich.
Deutschsprachige
Lyriker achteten jetzt darauf,
wie
viel Protein sie zu sich nahmen,
sie
meditierten jeden Tag dreißig Minuten
und
supplementierten Vitamin D, Omega 3
und
B12.
Sie
aßen grünes Gemüse,
schliefen
in komplett abgedunkelten Räumen
lachten
laut und dröhnend
und
hatten permanent einen Zahnstocher
oder
eine Zigarre im Mundwinkel hängen.
Der
Verfassungsschutz begann damit
die
Szene zu beobachten.
Alle
deutschsprachigen Lyriker ließen sich jetzt
lange
Wikingerbärte stehen, man vermutet darin
ein
merkwürdiges Potenzsymbol.
Ihre
Tage verbrachten sie mit Bizepscurls vor dem Spiegel,
ihre
Nächte damit, zu Wagneropern zu kopulieren.
Eine
Änderung war nicht in Sicht.
Nun
stellt sich uns als interessiertem Fachpublikum naturgemäß
die
Frage: hat sich dieses merkwürdige Betragen
der
deutschsprachigen Lyriker
auf
ihr WERK ausgewirkt,
hat
es
und
wenn ja
WIE?
Wie
sind die TEXTE dieser merkwürdig
veränderten
deutschsprachigen Lyriker??
SCHREIBEN
sie überhaupt?
Noch?
Diese
Frage ist berechtigt
und
es muss ihr nachgegangen werden.
Das
Phänomen ist aber noch zu jung
um
darüber derzeit gesichert Auskunft
geben
zu können.