Johannes Witek: 20 Jahre deutschsprachige Literaturzeitschriften, mon Amour – eine Liebesgeschichte
Verlage, Zeitschriften
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Johannes Witek
20 Jahre deutschsprachige Literaturzeitschriften, mon
Amour – eine Liebesgeschichte
Was ist ein Autor?
Stephen King, aus dem Gedächtnis
zitiert (“On Writing”): Jemand, der was schreibt, das wo hinschickt, es wird
veröffentlicht, er erhält dafür einen Scheck und bezahlt mit diesem Scheck
seine Miete. Stimmt? Relevant? 2025?
Immer noch?
Definitionen: Jemand, der
schreibt. Jemand, der schreibt und publiziert. Jemand, der dafür bekannt ist,
zu schreiben und zu publizieren. Jemand, der damit Geld verdient. Preise,
Stipendien. Verlage, Lesungen, Lesereisen, Einladungen, Rezensionen,
Diskussionen. Leipzig. Bachmann. Büchner. Professionelle Autorenfotos. Wichtige
Meinungen. Networking, Social Media, Arschkräulen.
Meine persönliche Definition war
immer: Ein Autor ist jemand, der sich auf seinen oder ihren – hoffentlich
sauber abgeputzten – OASCH setzt und schreibt. Nicht darüber redet, zu
schreiben. Nicht seiner Mutter erzählt, dass er schreiben will, oder seiner Frau,
oder Mann, oder Freundin, oder Freunden. Nicht darüber postet, zu schreiben.
Kein Feedback will, keine Gruppen braucht, keine Meinungen, keine Arschlöcher
um sich herum. KEIN WEITERES ARSCHLOCH UM EINEN HERUM, JESUS CHRISTUS. Jemand,
der eine Tür zumacht zwischen sich und der Welt und dort einfach seine eigene
Welt macht. Oder Welten. Das ist der Teil daran, der mich immer begeistert hat.
Der eine Ort auf der Welt, wo man zu 100% ungefiltert und unzensiert man selbst
sein kann. Keine Rollen, keine Schablonen, keine fetten Nasen in deinem Salat,
falls jemals möglich. 100% direkter unzensierter Selbstausdruck. Boom Baby,
hier ist es: Alles raus, was raus will: hässlich, heilig, eklig, kitschig,
romantisch, schön, übel, stinkend, traumatisiert, traumatisierend,
altruistisch, banal ... alles, alles.
Und der zweite Teil dieses sehr
gesunden Prozesses war für mich immer, das, was man macht, rauszuschicken.
Nicht darauf zu hocken, für immer daran rumzuschrauben, grandiose Konzepte von
unsterblichen Sachen im Kopf zu haben, von denen man genau weiß, dass sie nie
was werden werden, Fallen über Fallen, all das - raus damit, raus damit. Das
Oktagon hat eine Adresse. Oder eher, mehrere Adressen.
***
2005, als junger Idiot, daher die
Entscheidung, alle Pseudonyme fahren zu lassen und fortan nur noch unter dem
einen Pseudonym, das auf der Geburtsurkunde steht, zu schreiben und zu
veröffentlichen, Ego be damned (wir denglischen hier, wie vermutlich schon
bemerkt, Falco-Style zwischen sogenanntem Deutsch, Austriazismen und Millennial-Roflcopter-Englisch).
2005 also, jung, idiotisch, Tür
zu, Welt an, raus damit, raus damit – aber wohin? Verlage? Uuhh ... Suhrkamp
mein Manuskript “Ich spiel mit meiner Kacke Minigolf” schicken? Versucht,
versucht. Alle, alle. Nüscht, nüscht. 2005 daher der Entschluss, dem Bukowski-Masterplan
zu folgen und jede Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum
anzuschreiben.
***
Historisches Halbwissen: Bis in
die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts war das antiquierte Medium
“Literaturzeitschrift” zu publizieren ein teures und notorisch angesnobtes
Unterfangen, weil die Druckkosten bezahlt und irgendwie wieder reingeholt
werden mussten. Was historisch schwierig ist, weil kein geistig gesunder Mensch
eine Literaturzeitschrift kauft. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts
entstand dann durch die Erfindung und den Vertrieb von Mimeographen, was in
Amerika als die Mimeo-Revolution bezeichnet wurde: die Möglichkeit
verhältnismäßig kostengünstig drucken und publizieren zu können.
Die Folge war die Entstehung
einer publizistischen Gegenkultur im Geist der Spät-Beats und Hippies der 60er
und 70er Jahre in Amerika: Plötzlich konnte jeder ausgeflippte Hippie auf Acid
eine eigene Zeitschrift, ein sogenanntes Little Mag rausgeben. Ergebnis
waren Zeitschriften und Publikationen wie Fuck You (herausgegeben von Ed
Sanders von The Fugs), Ole (von Douglas Blazek, einem frühen
Bukowski-Bro und Förderer), NOLA Express aus New Orleans, Wormwood
Review, Steve Richmonds Earth Rose u.v.m. Namen.
Bukowski, Jg. 1920, hatte als
junger Mann versucht, als Schriftsteller in die großen Snob-Magazine der
damaligen Zeit zu kommen, das – bis auf wenige Ausnahmen - für unmöglich
befunden und damit aufgehört, seine Texte zu versenden. Die Legende vom
10-jährigen Blackout stimmt nicht ganz, wie wir heute wissen, Bukowski hat auch
von 1945-1955 vereinzelt Texte publiziert, aber Fakt ist, nach einer Nahtod-Erfahrung
durch einen alkoholbedingten Magendurchbruch 1954 hat Bukowski wieder mit dem
Schreiben begonnen und seine Texte wieder an Zeitschriften geschickt. Anders
als in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts war aber der Zeitgeist jetzt
ein völlig anderer: Mitte bis Ende der 50er regierten die Beats. Ginsbergs Howl (1956),
Ferlinghetti, City Lights, die Six-Gallery-Lesung in San Francisco, Kerouacs On
the Road, William S. Burroughs Naked Lunch etc. etc. Dann die
beginnenden 60er Jahre.
Bukowski, der zu dieser Zeit als
Briefsortierer in der Nachtschicht im Terminal Annex Post Office
gearbeitet hat, fand plötzlich, dass seine Texte überall angenommen wurden, in Little
Mags überall in Amerika und in einigen Fällen auch in Europa. Der inhärent
gegenkulturelle Anti-Establishment-Spirit seiner Texte passte plötzlich exakt
zum Zeitgeist und dank der Mimeo Revolution gab es auf einmal unzählige
Publikationsmöglichkeiten für ihn. Also begann Bukowski, der in den 60ern und
70ern vermutlich mehr geschrieben hat als jeder andere Mensch auf dem Planeten,
systematisch die Little Mags seiner Zeit mit Texten zu beliefern, eine
Routine, die er bis an sein Lebensende 1994 beibehalten hat. Seine Texte
begannen, überall quer über den nordamerikanischen Kontinent zu erscheinen und
er erhielt den - zutreffenden - Namen: King of the Underground.
***
Fast forward zu 2005 nach
Salzburg Süd (of all places) in mein Studentenheimzimmer und zu der Frage: Gibt
es einen deutschsprachigen Underground? Ich erinnere mich, wie ich im OG
Internet von der damaligen Version der sehr hilfreichen Seite www.uschtrin.de und diversen anderen Stellen
aus dem Netz, die ich inzwischen lange vergessen habe (eine weitere war www.fanzine-index.de), mir eine lange
Liste von deutschsprachigen Literaturzeitschriften gezogen habe. Dann die Namen
darauf angestarrt habe. Viele schwerfällig intellektuell klingende Namen:
Intendenzen. Konzepte. Manuskripte.
Aber 2005 war die Hochzeit des Social
Beat in Deutschland noch nicht lange vorbei, deshalb waren auf der Liste
auch für mich erfrischendere Titel: Cocksucker. Kopfzerschmettern.
Der Mongole wartet. Massenmörder züchten Blumen. Blut im
Stuhl, aber zum Arzt geh ich nicht. Ich erinnere mich, diese Namen haben
sehr gut für mich geklungen, und sie klingen auch heute noch gut für mich: nach
Möglichkeit, nach Freiheit, nach einer Welt außerhalb der österreichischen
Kackprovinz. Mein Gefühl war, wenn es Zeitschriften gibt, die so heißen und
Texte publizieren, dann gibt es irgendwo eine Möglichkeit für mich und meine
Texte abseits der üblichen sau-faden weinerlich rumheulenden postpostpostmodern
zu Tode fragmentierten Innerlichkeit, aus der 98% der deutschsprachigen
Gegenwartslyrik besteht.
Also: Liste des Todes gezogen,
angestarrt, damit begonnen, meine Sachen rauszuschicken. Nach Erfahrung der
Verlagsanschreiben habe ich mich und mein monströses Ego vorsorglich auf eine
Welle von Ablehnungen eingestellt (auch Stephen King, aus dem Gedächtnis: Ein
Brett mit einem Nagel an der Wand an dem sich die Ablehnungsschreiben gestapelt
haben, bis der Nagel so schwer war, dass er das Brett von der Wand gezogen
hat). Aber interessanterweise – und zu meiner Freude – war das nicht, was
passiert ist.
Eines Tages bin ich nach Hause
gekommen und da war ein fettes Kuvert in meinem Postfach. Ich hatte meine
Textsendungen bereits wieder vergessen und mich gefragt: was das? Es war eine
Zeitschrift namens KULT, herausgegeben von einem inzwischen verstorbenen
Mann namens Karl-Heinz Schreiber (Eigenschreibweise: “Schrybyr”) aus - glaube
ich - Süd-deutschland. Ein dadaistisch und vor DIY-Kreativität explodierendes
Magazin, das einen bissl surrealen und aus heutiger Perspektive nur noch halb
so genialen Text von mir abgedruckt hat. Bumm. Ich erinnere mich, wie ich
dagesessen bin und dieses Magazin durchgelesen habe. Dann noch mal. Dann noch
mal. Das hat sich wirklich wirklich gut angefühlt. Richtig, irgendwie.
Als hätte was klick gemacht, in der Welt. Oder zumindest in meinem Kopf.
Schlaganfall?
***
Das war der Anfang einer
zwanzigjährigen ... kann man Karriere sagen? Nicht wirklich. Was ist die
Definition von Karriere? Ist da Geld involviert? Prozess? Nö. Es war der Beginn
einer zwanzigjährigen Liebesgeschichte, von meiner Seite aus zumindest. KULT
war die erste Zeitschrift, die die Tür für mich geöffnet hat. Die mir gezeigt
hat: es ist möglich. Es geht. Da geht was. Nicht lang darauf sind weitere
Zeitschriften gekommen, mit meinen Texten darin, dann mehr, dann noch mehr:
viele davon inzwischen lange vergessen, verschwunden, den Gang alles Irdischen
gegangen: Erscheinen eingestellt.
Namen: Sterz, aus Graz.
Laufschrift. Keine Delikatessen. Weisz auf Schwarz. Toilet Paper (guter
Name). Lost Voices. Caligo. Poet Mag, aus dem damals neu gegründeten Poetenladen
(www.poetenladen.de). Farbentanz, ein
sympathisches DIY-Zine, herausgegeben von Lucia Sieberer. [um]laut-Magazin.
Straßenfeger, das Underground-Urgestein aus Kölle, schöne Grüße an den
Herausgeber Marcus Mohr. Maskenball.
Blumenfresser. Und mehr. Und mehr.
Aus 2005 wurde 2006. Dann 2007.
Dann 2008. Usw., man kann sich den Verlauf vorstellen. Über meinem Bett waren
zwei Regale. Ich habe zugesehen, wie das erste von links nach rechts mit
Zeitschriften zugewachsen ist. Dann das zweite. Dann der Raum der beiden Regale
nach oben, bis nichts mehr reingepasst hat. Dann habe ich aus dem Schrank
daneben meine Unterhosen geräumt und der Schrank hat damit begonnen, mit
Zeitschriften zuzuwachsen.
***
Namen: Die Brücke, Forum für
antirassistische Politik und Kultur. Antimitomania. Spatien. Underdog,
ein sympathisches und immer noch existierende Punk-Zine aus D-Land. Das
Dosierte Leben. &
Radieschen, aus Wien,
damals noch mit dem OG Gründungsteam Judith und Florian Purkarthofer. Holunderground,
herausgegeben von der deutschen Underground-Legende Hadayatullah Hübsch (RIP). EXOT.
Zeitschrift für komische Literatur, super Texte, geniale Illustrationen. Das
Heft, das seinen langen Namen ändern wollte. Etc., etc.
Nach einigen Jahren bin ich umgezogen. Größter
Umzugsballast waren meine Literaturzeitschriften, in diversen Spar-Papiertüten
transportiert. In meiner neuen Wohnung habe ich sie in einen Einbauschrank
gestopft, der sich – wie die Regale vorher – mehr und mehr mit neuen
Zeitschriften gefüllt hat:
Der Maulkorb, aus Dresden. DUM – Das Ultimative Magazin.
Ostragehege. Mad Moron`s Mirror. Prolog, Zeitschrift für Zeichnung und Text.
Prisma. Syrinx-Magazin. Kettenhund. Ausreißer, die Grazer
Wandzeitung, herausgegeben von Evelyn Schalk. Asphaltspuren. Podium.
Klivuskante. Maskenball. My Choice. Maulhure. Die Horen. Kritische Ausgabe. Die
Anstalten. Novelle. Palmbaum. Syltse. Und mehr. Und mehr.
***
Manche der Zeitschriften in meinen Regalen sind
inzwischen völlig von der Bildfläche verschwunden, vergessen, obskur geworden.
Keine, oder kaum noch History darüber im Internet zu finden. Beispielsweise das
sympathisch avantgardistische Zine mit dem tollen Namen Wie die Zucht, so
die Frucht aus (damals) Wien. Oder Element Tracking, herausgegeben
von Ann Cotten, eine einzige Ausgabe (soweit ich weiß), erschienen 2006.
Während ich das schreibe, schaue ich nach links,
und da steht ein fettes schwarzes Regal voll mit zwanzig Jahren
deutschsprachiger Literaturzeitschriften. Geschichte. Vom abgefucktesten
zusammengetackerten Punk-Zine aus Nirgendwo bis zur high-brow
hochseriös-literarischen Zeitschrift (was auch immer das heißt). Als
Nebenprodukt von dem, was ich mache, habe ich ein 20-jähriges Archiv der
deutschsprachigen Zeitschriften und Zine-Kultur angelegt. Das war nie mein
Plan. Ich greife in das Regal und ziehe wahllos ein paar Exemplare raus:
Zeitzoo. Ratriot. Fidibus. Stadtgelichter.
Pareidolia. Ex Nihilo. Das Plateau. Rogue Nation. Miromente, aus Vorarlberg. Fettliebe
(sympathische Jungs, Grüße). Komplex, aus Innsbruck. Blattwerk.
Johnny, von Studierenden aus Frankfurt herausgegeben. Entwürfe, aus
der Schweiz. Reibeisen, aus Kapfenberg, fette Dinger. Abwärts. Der
Literaturbote. Floppy Myriapoda. Offenes Feld. DreckSack, aus Berlin. Saufen
(bester Name). Cult. The Transnational. Gegner. Das Richtungsding.
Zeichen&Wunder. Lauthals. Inside Artzine.
***
Erinnerungen: Wie ich an einem Sommernachmittag
im damaligen Fotoautomat am Hanuschplatz in Downtown Salzburg stehe um ein
“Autorenfoto” für Der Mongole wartet zu machen, die eines wollten.
Hinter mir als Geräuschkulisse die besoffenen Junk-Jugendlichen, die damals
immer auf der Bushaltestelle am Hanuschplatz abgehangen haben. Ein paar Wochen
später die Ausgabe von Der Mongole wartet in der Post, ein dicker
Prügel, mehr Buch als Zeitschrift.
Meine erste Lesung, besoffen und voll Schiss, im
Münchner Westend, zusammen mit dem Münchner Autor und der
Universalkreativitätsexplosion Thomas Glatz, organisiert von einer der
dienstältesten deutschen Literaturzeitschriften: Am Erker.
Diskussionen, einige, darüber was ich mache und
ob das Lyrik ist oder nicht oder was. Argument meiner Mitdiskutierenden war in
der Regel etwas wie, Lyrik ist hochkomprimierte, komplexe Sprache, die sich
durch Metaphernreichtum auszeichnet und bla, mein Argument war immer, das ist
derselbe fade Topfen, den alle machen, ein Gedicht ist alles, was man dazu
macht. Wir können alle in drei Minuten tot sein, warum nicht bisschen frei sein
und Spaß haben?
Der Typ, der mir eine besonders gestelzt
klingende Kritik geschickt hat darüber, was Lyrik zu sein hat, und ich habe in
seine Kritik einfach Zeilenbrüche reingemacht und dann seine Kritik als Gedicht
veröffentlicht. Dann schlechtes Gewissen bekommen, meinem Ego misstraut, paar
Exemplare des Buchs von dem Typ gekauft und in eine öffentliche Büchberbox gestellt,
als Karma-Ausgleich.
In Braunschweig in einer Pennerwohnung, nach
einer Lesung zusammen mit zwei Typen und paar Dosen Paderborner-Bier (Beste),
Gespräche über deutschen Hip Hop, während sich einer der Typen mehrere Gramm (?
- kein Konzept dafür, nicht mein Ding, hat nach viel ausgesehen) Pep die Nase
hochzieht und mich immer wieder - überraschend höflich - fragt, ob er meine
Empfehlungen zu seiner Playlist hinzufügen darf.
Menschen, die mich eingeladen haben, auf deren
Boden ich gepennt habe, die für mich gekocht haben, die mir zugehört haben und
ich ihnen – dann Streit, Ego, Bullshit, verletzte Gefühle. Ghosting. Eine
menschliche Geschichte. Menschen die unangekündigt vor meiner Tür aufgetaucht
sind, um mich “kennenzulernen”, eine meistens eher mühsame Angelegenheit für
mich. Zeitschriften, denen ich seit zwanzig Jahren Texte schicke und die noch
nie einen einzigen genommen haben. Ich bin irre. Zeitschriften, denen ich zehn Jahre
Texte geschickt habe, und plötzlich nehmen sie einen.
***
Namen, menschliche: Jeder, der etwas zwanzig
Jahre lang macht innerhalb einer “Szene” oder “Gesellschaft” oder was immer,
wird Muster erkennen. In zwanzig Jahren deutschsprachiger
Literaturzeitschriften-History habe ich viele Namen gesehen. Namen, die plötzlich
hochgekommen sind und dann überall vertreten waren. Das ist immer ein gutes
Gefühl für mich, etwas wie: da ist jemand so irre wie ich. Namen, die vor mir
da waren und immer noch da sind (Clemens Schittko), auch das ist immer ein
gutes Gefühl: da spinnt jemand noch länger als ich. Namen, die auftauchen, eine
Weile mitreiten, und dann wieder verschwinden. Das ist ein weniger gutes Gefühl
für mich: warum aufhören? Was stattdessen?
***
Das ist ein langer Text zu einem Nischenthema.
Ein Nischentext. Was ist eine Literaturzeitschrift? Das Sympathische daran war
für mich immer, dass eine Literaturzeitschrift immer schon ein komplett
antiquiertes Medium war. Ein Printmagazin 2025? Wer liest, wer kauft? Und doch,
ein weiteres Muster, das sich in 20 Jahren rauskristallisiert hat: dieses Ding,
was immer es ist, stirbt nicht aus. Abseits von einigen etablierten
Veteranen-Namen (mit mehr oder weniger vorhandener Snob-Eliten-Mentalität)
kommen immer wieder neue, junge Menschen nach, die ihre Zeit, ihre Energie,
ihre Kreativität in dieses thing of ours stecken, das da ist: eine
deutschsprachige Literaturzeitschrift. Nicht tot zu kriegen. Es kommen immer
wieder idealistische Menschen, die was Neues machen wollen, abseits von
festgefahrenen Wegen und etablierten Strukturen. Das ist gut. Die menschliche Natur
hat zweifellos viele abgefuckte und dunkle Bereiche, und wer weiß, ob wir die
Grenzen unserer Abgründe bereits abgesteckt haben, oder jemals abstecken
werden. Aber das scheint mir einer der besseren Teile unseres kollektiven
Bewusstseins zu sein: Idealismus, der seine Kreativität in was Neues stecken
will.
***
20 Jahre. Ich schaue auf mein Regal: Driesch.
Das Vierblättrige Kloblatt (guter Name). Do!Pen. Wendepunk.t. Blattwerk.
Schreib Was. Lauter Niemand. Wildleser-Almanach. Der Kultur-Herold. hEFt. Ort
der Augen. Gym. Etcetera. Lichtwolf (Ausgabe Nr. 37: “Tittenhitler”, immer
noch unsterblichster Name aller Zeiten). Rhein!. Silbende Kunst. South
Bavaria Morning Post (eine Ausgabe erschienen, soweit ich weiß). perspektive
(der ehemalige Herausgeber Helmut Schranz, RIP, der nie einen Text von mir
genommen, aber mir immer dadaistische Antwortmails geschickt hat, die selber
halbe Gedichte waren), Kontro-Vers, Renfield, außer.dem, Veilchen,
erostepost (beste Salzburger Literaturzeitschrift!), Die Stille,
Wortschau, TAU, aus Hamburg (schöne Grüße an Jonis Hartmann). Neolith.
Das fröhliche Wohnzimmer, Artic, 500 Gramm, Wienzeile (Erinnerung:
besoffene Lesung im Goethehof, 20 Minuten Lesezeit pro Person, die sympathische
Dame vor mir hat beinhart und unbeirrbar eineinhalb Stunden durchgelesen, einen
Text in dem es darum gegangen ist, wie sie im Park sitzt). Das Narr, aus
der Schweiz ... und mehr, und mehr, und mehr.
Sorry an alle, die ich vergessen oder ausgelassen
habe. Danke an alle, die meine Texte gelesen, gedruckt, korrigiert und
kommentiert haben.
Das hier ist lang genug, 100% subjektiv und muss
notwendigerweise gonzo sein.
***
20 Jahre. 20. ZWANZIG BESCHISSENE JAHRE.
Das ist eine lange Zeit. Das sind viele Literaturzeitschriften.
Das sind zwanzig Jahre Leben. Und Tod. Wenn ich über diese Liste an Namen und
Erinnerungen schaue, realisiere ich, wie viele davon heute nicht mehr da sind.
Zeitschriften und Menschen. Wer weiß, wo wir alle in weiteren zwanzig Jahren
sein werden. Oder zehn. Oder fünf. Wird es noch Literatur-zeitschriften geben?
Vermutlich. Werde ich mein Zeug noch rausschicken? Hoffentlich. Werde ich noch
Zeug haben, um es rauszuschicken? Hoffentlich. Wird es mich noch geben?
Hoffentlich.
Ich weiß nicht, für wen das hier relevant ist,
aber ich bedanke mich bei allen, die sich hier eingefunden haben, um mit mir
dieses wunderschöne Provinzfest zu feiern: 20 Jahre deutschsprachige
Literaturzeitschriften, und meine Texte darin.
Viele Grüße an alle, die sich hier
wiedererkennen. Falls jemand zu irgendwas eine andere Meinung hat, schreibt
mir. Oder noch besser, schreibt mir nicht.
Ich liebe, und hasse, euch alle.
Peace.
Johannes Witek, Salzburg, 2025