Johanna Hansen: Mondhase an Mondfisch
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Stefan Hölscher
Johanna Hansen: Mondhase an
Mondfisch. Kunstbuch. Lyrik und Malerei von Johanna Hansen, mit einer Partitur
von Robert Schumann und Fragmenten aus dem Briefwechsel von Clara und Robert
Schumann. Neustadt a.d. Weinstraße (Wortschau Verlag) 2022. 92 Seiten. 69,00
Euro.
Sehnsuchts-Trialog
Ein Buch ist etwas zum Lesen. Ein Buch ist etwas zum
Schauen. Ein Buch ist etwas zum Berühren. Ein Buch ist etwas, das sich uns
eröffnet und wieder verschließt, das uns etwas Greifbares an die Hand und etwas
Ungreifbares zum Nachsinnen und Rätseln gibt. Ist ein Buch etwas, das klingt?
In Johanna Hansens „Mondhase an Mondfisch“ finden sich
Partiturauszüge aus den „Kinderszenen“ und anderen Klavierstücken von Robert
Schumann in der originalen Größe einer von einem Trödelmarkt stammenden alten
Ausgabe dieser Stücke, die der Künstlerin in die Hände gefallen sind. Mental
zum Klingen bringen können diese Klavierpassagen sicher nur die wenigsten der
Menschen, die das in opulenter Bildbandgröße gestaltete Werk Seite für Seite
durchgehen. Und doch passiert etwas mit den Noten in diesem Buch, sodass eine
Art von Musik entsteht.
Übermalt sind Teile der Partiturauszüge mit Bildern, die – oft
in eindringliche Rot-, Blau- und Schwarztöne gehalten – eine Männer- und
häufiger noch eine Frauengestalt zeigen: manchmal nur einen Kopf oder einen
Teil davon, manchmal einen Körper, manchmal auch ein Zusammenfließen von
menschlicher und tierischer Gestalt.
Johanna Hansen geht mit ihren Bildern und dem Langgedicht, das den Mittelteil des Buches erfüllt, in Resonanz mit der von harten Hindernissen geprägten Liebesgeschichte von Robert Schumann und Clara Wieck. Auszüge aus Briefwechseln der beiden bilden gleichsam die Unterkapitelüberschriften des Gedichts. Durchwoben ist das Ganze – Text wie Partitur – von eben jenen eindringlichen Bildern, die kraftvoll-bewegt und melancholisch, fast kindlich einfach und abstrakt-expressiv, weich fließend und markant konturiert zugleich sind. Ganz ähnlich wie die Musik von Robert Schumann.
Das von Claudia Linnhoff gestaltete und vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Buch ist ein Werk der Synästhesie: Die Verbindung von Briefzitat, Poem, Bild und Musikpartitur schafft in ihrem Zusammenspiel etwas, das unsere Sinne multimodal bewegt, sodass selbst bei denjenigen, die keine Noten lesen können, die Seiten des Buches etwas in uns zum Schwingen und Klingen bringen, das eine Art bildhafte Klangpoesie kreiert.
Mondhase und Mondfisch, die auch die malerischen Darstellungen immer wieder prägen und durchziehen, darf man sich als mythische Gestalten vorstellen, die mitunter eine spielerisch-fließende Leichtigkeit in die tiefe und nicht selten auch abgrundtief-angstvolle Sehnsucht der menschlichen Gestalten bringen. Am Ende des Buches schreibt Johanna Hansen in einem kurzen Erläuterungstext über Clara Wieck und Robert Schumann:
Aus ganz unterschiedlichen Elementen ist also der Versuch über die Liebe (in schwierigen Zeiten) entstanden, ein Versuch über die Sehnsucht nach Nähe, Berührung, aber auch dem Einssein mit sich und dem anderen: der Welt.
Sehnsucht erfasst alles im Sehnsüchtigen: die inneren Bilder, die Sprache, das, was gehört, gesagt und verstanden wird. Wie in einem Trialog aus Sprache, Bild und Musik manifestiert und umspielt Johanna Hansens Buch eine unstillbare und schon allein deswegen nicht zum ultimativen Happy End sich eignende Sehnsucht: die Sehnsucht von Clara und Robert, die Sehnsucht der Malerin und Dichterin und wohl auch die Sehnsucht von dir und mir und uns allen, die sich in unseren extraterrestrischen Traumgestalten zeigt.