Direkt zum Seiteninhalt

Johanna Hansen: Blau ist ein Lockvogel

Gedichte > Münchner Anthologie

Johanna Hansen

Blau ist ein Lockvogel


Blau macht schlank
bis zum siebten Himmel
dazwischen ist Blau ein Aperitif
hellhörig verrutscht zu Satin
ein Geheimtipp überallhin

Blau sieht täuschend echt aus
eine Flussaue mündet ins Blau
Gefühle
kühl entknotet
ein paar Interna
ein Horizont auf dem Tellerrand

Blau komplettiert ein Adagio zur Schwerelosigkeit
und zieht sich nie aus der Affäre
ein Vokal tauscht mit Blau

Blau ist ein Lockvogel

Ein Federstrich reicht aus
und Blau hält sein Echo hin
mehrstöckig
mühelos tanztauglich
in einer Landschaft auf Zehenspitzen

Wolfram Malte Fues

Aus dem 2013 bei Vinscript erschienenen Band „dasselbe Blau“ von Johanna Hansen – „Blau ist ein Lockvogel.“ Wozu verlockt es dann im Gedicht? Zur End-Assonanz „Aperitif – Satin – überallhin“ ebenso wie zur Anfangs-Assonanz „Gefühle – kühl“ und zur insistierenden Wiederholung seines Diphthongs, rund wie entrundet, eines Diphthongs, der den ersten und den letzten Vokal des Alphabets umspannt. Ein loser Vogel, dieses Blau. Einer, der weiß, wie man Lesende ent-täuscht. „Ein Vokal tauscht mit Blau“: Aber im Tausch steht derselbe Vokal, mit dem es sich vertauschen soll. Blau lockt in und mit dem Vorgang des Gedichts verschiedene Dinge und Sachverhalte in ihre sprachliche Ähnlichkeit bis nahe an ihre doppelt problematische Identität und bringt sie so dazu, es in allen seinen Nuancen als „dasselbe Blau“ auszuweisen.


Hansens Buch besteht aus einer durchgezählten Folge von 21 Motiven als Faltblättern, auf deren vier Seiten sich zwei Bilder und zwei Texte jeweils gegenüber stehen. Welches Band hält diese Folge zusammen? Dasjenige des Ein-Faltens, das ursprünglich sowohl das Verbinden über ein Gelenk wie das Ein- und Umhüllen meint? Hüllt dasselbe Blau jede Figuren-Konstellation und jede Vers-Folge ein, oder werden Bild und Text durch ein Gelenk verbunden, das auch innerhalb von Bild und Text verbindend wirkt? Falls letzteres, durch welches?


„Zuerst bei den Händen fang ich an. / Sie setzen sich über und weißen die Sprache / und schwärzen mir Töne zu / Still- und Angelpunkte.“ Die Hände der Malerin setzen von den Bildern in die Sprache über, setzen die Bilder hinüber in die Sprache, setzen sich so über die Sprache, hüllen sie in die Farbe der leeren Seite, aus der sie der Malerin Töne in Druckerschwärze zuspielen – „Still- und Angelpunkte“. Für das wiederkehrende Blau, das ihre Hände sich übersetzend in Sprache übersetzen, dessen firmierende Selbigkeit den doppelten Austausch zwischen Bild und Text ebenso stillstellt, wie sie seinen Mittelpunkt abgibt? Blau ist ein Lockvogel, der die Gegen-Welt der Sprache an sich zieht und um sich versammelt. Aber Blau ist kein Raubvogel; es entlässt auch wieder, was es an sich gezogen hat, nicht ohne sich dadurch in ihm aufzuheben.


Blaus Selbigkeit bleibt in diesem Bild-Gedicht-Band nicht unangefochten. Darauf stoßen die übersetzenden Hände, „wenn die Finger nach Atem schmecken / zugunsten von Rot“. Einer ereignishungrigen, zugriffigen Farbe, die es im Gegensatz zur vermittelnden Allgemeinheit des Blau auf bestimmte, scharf umrissene Erscheinungen absieht, dem Himmel die Flamme, dem Lockvogel den Phönix entgegensetzt. Aber eben darin macht sich die Selbigkeit des Blau auch wieder geltend. Schaffen Rot und Blau durch ihre reine Polarität nicht einen symbolischen Raum, der Platz für das Ganze des Farb-Spektrums bietet?

In derartigem Hin und Wider zwischen Figur und Buchstabe, Text und Bild, Selbigkeit und Verschiedenheit entfaltet sich Hansens Gedichtband: in den Bildern und in den Texten wie zwischen Bildern und Texten. Diesem Doppel-Spiel zu folgen, seine Wendungen und Wirkungen wahrzunehmen lohnt das Lesen wie das Sehen, sogar dort, wo das Spiel sein Spiel nicht gewinnt, weil es aus seiner Regel gerät oder über sie stolpert. Bei einer so komplexen Spiel-Anlage wohl unausweichlich: „Derselbe innere Klang kann [...] in demselben Augenblicke durch verschiedene Künste gebracht werden, wobei jede Kunst außer diesem allgemeinen Klang noch das ihr geeignete wesentliche Plus zeigen und dadurch einen Reichtum und eine Gewalt dem allgemeinen innern Klang hinzufügen wird, die durch eine Kunst nicht zu erreichen sind.“ (Kandinsky)


Basel, im März 2014











Wolfram Malte Fues

Zurück zum Seiteninhalt