Jörg Neugebauer: Zu "An die Parzen"
AN DIE PARZEN
Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Daß williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.
Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heil´ge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen,
Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; einmal
Lebt' ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.
Zu "An die Parzen"
Das "Gedichtchen", wie Hölderlin es selbst nannte, ist 1799 im "Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung" erschienen, zusammen mit anderen Kurzoden, zum Teil unter Pseudonym. A.W.Schlegel rezensierte den Sammelband, der ansonsten Beiträge heute vergessener Autoren enthielt und stellte Hölderlins Verse ("voll von Geist und Seele") weit über alle übrigen. Hölderlin, damals Ende Zwanzig, war zu diesem Zeitpunkt als Lyriker noch wenig bekannt, von seinem Roman "Hyperion" war 1797 der erste Band erschienen.
"An die Parzen" ist eine Ode im alkäischen Versmaß. Was heißt: Die Anzahl der Verse pro Strophe sowie der Silben pro Vers und auch die Betonung der Silben (ob jeweils betont oder unbetont) sind dem Dichter vorgegeben. Er findet also ein rhythmisches Grundgerüst vor. Wie kein anderer Autor deutscher Sprache hat Hölderlin dieses, aus der griechischen Antike stammende, streng metrische Muster poetisch mit Leben erfüllt.
An die "Parzen", die drei weiblichen Schicksalsgöttinnen gerichtet, die das Lebenslos zuteilen, fristen und beenden, formuliert Hölderlin im antiken Duktus eine existenzielle Aussage von großer Schärfe und Härte - wie in Vorausahnung seines kommenden persönlichen Schicksals.
Seiner Mutter, ob des Tonfalls des Gedichtes besorgt, schrieb er begütigend: "Es sollte nichts weiter heißen, als wie sehr ich wünsche einmal eine ruhige Zeit zu haben, um das zu erfüllen, wozu mich die Natur bestimmt zu haben schien."
Jörg Neugebauer