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Jörg Neugebauer: Gespräch. Ein Versuch

Montags=Text
Jörg Neugebauer

Gespräch. Ein Versuch


Wir könntens ja mal damit versuchen.
Versuchen - womit?
Einem Gespräch.
Aber wir reden doch. Jetzt gerade schon. Und sonst auch.
Ja, sonst auch.
Dann weiß ich nicht was du willst, ehrlich gesagt.
Also, meine Fußpflegerin hat mir erzählt, dass - - -
Deine Fußpflegerin?
Ja, ich nehme gelegentlich ihre Dienste in Anspruch.
Und was hat sie gesagt?
Dass zu ihr einige Leute kommen, die sonst mit niemandem reden.
Weil sie nicht wollen?
Nein, weil sie niemanden zum Reden haben. Die kommen am Donnerstag zu ihr und sagen, sie hätten die ganze Woche mit niemand gesprochen.
Gut, gut.
Was – gut, gut?
Dass sie die Fußpflegerin haben.
Na ja, aber trotzdem.
Ja, klar.
Ich hab sie ja auch.
Aber du brauchst doch deine Fußpflegerin nicht, um mit jemand zu reden!
Nein, ich nicht. Zum Glück nicht. Obwohl man sich mit ihr gut unterhalten kann.
Na siehst du. Du bist ein glücklicher Mensch.
Soweit ja.
Aber?
Unser gemeinsamer Freundeskreis ist in letzter Zeit ziemlich geschrumpft. Findest du nicht?
Geschrumpft? Hm, Breitung hab ich länger nicht mehr gesehen.
Stimmt. Der ist aber auch anstrengend geworden. "Du musst dich da doch genau positionieren", sagte er letzthin andauernd.
Der war doch nicht immer schon so!
Nein.
Und warum ist er es jetzt?
Weil alle so sind. Die meisten.
Ja, seit einiger Zeit.
Vorher war es anders.
Und wie?
Wenn man mit jemandem redete, waren die Meinungen nicht von vornherein schon so fest.
Kann mich auch dumpf dran erinnern.
Man probierte Gedanken aus, Ideen, verrücktes Zeug manchmal.
Das war oft hitzig, aber auch lustig.
Heute ist gar nichts lustig. Wenn du mit Breitung ein Gespräch beginnst....
... fragt der gleich deine Einstellung ab.
So wie früher der Englischlehrer die unregelmäßigen Verben.
Und dann: "Kannst du diese Einstellung verantworten?"
Das ist kein Gespräch, das ist ein Verhör.
Anders als wir war Breitung schon immer.
Aber doch nicht so!
Nein, nicht so.
Das muss an der Zeit liegen. Dass er jetzt so ist.
Ja, an der Zeit.
Wenn er wüsste, wie wir grad über ihn reden.
"Könnt ihr das verantworten, so über eine abwesende Person zu sprechen?"
Aber das müssen wir doch. Um uns klar zu werden, ob wir uns wieder mal zu dritt treffen wollen.
Seit er verheiratet ist, hat er ja sowieso weniger Zeit.
Was, er ist verheiratet?
Ja weißt du das nicht?
Und wie lange schon?
Ein halbes Jahr ungefähr.
Seltsam, das passt gar nicht zu ihm.
Wieso? Er war doch vorher auch schon verheiratet.
Ja, mit der Gerda. Immer noch blöd, dass die tot ist.
Ja, immer noch.
Aber deswegen soll er nicht wieder heiraten dürfen?
Doch, schon. Ich mein nur: Dass er uns nichts gesagt hat.
Nein, er hat uns nichts davon gesagt.
Und woher weißt du es dann?
Von Kwittung. Den hab ich auf der Straße getroffen.
Ja, Kwittung hat immer schon alles als erster gewusst.
Der ist sich gleich geblieben.
Man muss sich ja nicht immer gleich bleiben.
Nein, aber wenn man sich ändert, dann mehr von innen heraus. Und nicht weil ein anderer Wind weht, bildlich gesprochen.
Ja, bildlich.
Vielleicht wird er ja jetzt wieder umgänglicher. Nicht mehr so verbissen.
Breitung?
Ja.
Du meinst, weil er sich verliebt hat, oder dergleichen.
Das hat er doch sicherlich. Irgendsowas dergleichen.
Ich nehme es jedenfalls an. Hat Kwittung denn nichts drüber gesagt?
Kwittung? Ach so, hm, eigentlich hat er mir nur das "Faktum" als solches berichtet.
Faktum. Das sieht ihm ähnlich. So hat der schon immer geredet.
"Es gibt das Faktum, dass unser Breitung geheiratet hat." So original Kwittung.
Und ohne Lächeln dabei?
Wie?
Hat er dabei nicht gegrinst? Wie man grinst, wenn einer verliebt ist. Einer, den man gut kennt.
"Unser Breitung", wie er gesagt hat.
Ja, "unser Breitung", das hat er gesagt.
Ohne ein Augenzwinkern?
Ehrlich gesagt, ich habe nicht darauf geachtet.
Kwittung redet schon immer wie ein Verwaltungsmensch. Drum ist er das ja auch geworden. Zugleich hat er schon immer so etwas Schalkhaft-Verschmitztes.
Ja, das ist so seine Natur. Sein Charakter. Schon immer.
Anders als Breitung.
Ganz anders! Für Breitung gibts kein Zugleich. Da gibts nur Entweder - Oder.
Immerhin war er stets sehr zuverlässig.
Man konnte sich auf ihn verlassen, das stimmt.
Auf Kwittung doch auch!
Ja, aber auf Breitung noch hundertprozentiger.
Trotzdem hoffe ich, er hat sich ein bisschen geändert.
Wir werden ja sehen. Möglicherweise.
Zumindest dass er uns nichts von der Heirat erzählt hat, deutet schon darauf hin. Früher hätte er es sich nicht gestattet, uns das zu verheimlichen.
"Es sich nicht gestattet" ist gut. Aber trifft`s. Doch hat er es uns verheimlicht? Er hat es uns nur nicht gesagt.
Ja, das hat er nicht.
Jetzt reden wir doch schon eine Weile.
Wir reden? Ach so. Ja, und eigentlich fiel es doch leicht.
Schwer war es nicht, das stimmt. Wir könnten trotzdem mal eine Pause machen. Und ein Glas Weißwein oder so trinken.
Weißwein oder so. Hört sich gut an.
Über Frau Köpf haben wir noch gar nicht gesprochen.
Frau Köpf? Was ist mit der?
Wenn ich das wüsste!
Frau Köpf geht dir nicht aus dem Kopf?
Mit Frau Köpf ist das so eine Sache.
Mag sein. Aber welche?
Ich wollte mit ihr an den Bodensee fahren.
Du wolltest. Und? Was wurde daraus?
Wenn ich das wüsste!
Wart ihr dort oder nicht?
So halb. Bis Meckenbeuren sind wir gekommen.
Bis Meckenbeuren. Das ist ja schon beinahe dort.
Frau Köpf ist dann ausgestiegen.
Ausgestiegen? In Meckenbeuren? Du hast sie doch nicht etwa belästigt?
I wo!
Und weshalb?
Sie wollte dort eine Tante besuchen.
Na dann.
Na dann? Du wunderst dich nicht? Sie will mit mir an den Bodensee fahren und unterwegs fällt ihr ein, sie könnte ihre Tante in Meckenbeuren besuchen!
So etwas gibts.
Ja, das kann ich bestätigen, dass es das gibt.
Hauptsache, ihr seid nicht im Unfrieden geschieden.
Nein. Sie hat mir gedankt. Für die Mitfahrgelegenheit.
Das ist doch anständig.
Anständig? Ich dachte, das wird ein gemeinsamer Ausflug. Das wird - - -
Und was hast du dann gemacht? Allein am Bodensee?
Ich hab das Wasser aus der Wanne gelassen. Nee Quatsch, ich wollte zu nem Italiener in Lindau. Den ich von früher her kannte. Pizza mezzo e mezza, einfach genial! Den gabs aber nicht mehr.
Und was ist da jetzt drin?
Ein Staubsaugergeschäft. Ich bin dann zum Eisessen ins Café Schreier. Da sitzt man gut, und das Eis ist auch sehr passabel.
Hattet ihr denn was ausgemacht, du und Frau Köpf? Dass du sie später wieder mit zurücknimmst?
Nein, das wollte sie nicht.
Du weißt also gar nicht, wie sie wieder zurückkam?
Nein.
Hatte es denn unterwegs zwischen euch Streit gegeben? Vor Meckenbeuren?
Nein, wir haben ganz normal geredet.
Seltsam.
Drum geht sie mir ja nicht aus dem Kopf.
Du meinst, du denkst drüber nach, du könntest vielleicht irgendwas gemacht oder gesagt haben, das sie bewog, von euren gemeinsamen Plänen Abstand zu nehmen?
Du redest ja schon wie Kwittung! Aber ja, darüber denke ich nach.
Das täte ich auch, wenn ich du wäre.
Aber mir fällt nichts dazu ein.
Du könntest ja irgendwann einen neuen Anlauf nehmen.
Bei Frau Köpf? Einen neuen Anlauf?
Offenbar liegt dir viel an ihr. Ihr könntet euch nächstes Mal gleich in Meckenbeuren verabreden und dann zusammen an den Bodensee fahren.
Wenn sie sich darauf einließe? Ich kanns ihr ja mal unterbreiten.
Hattest du seither Kontakt zu ihr?
Eben nicht.
Theoretisch könnte sie also immer noch bei ihrer Tante in Meckenbeuren sein?
Theoretisch schon, ja. Aber seit fünf Tagen?
Merkst du was: Wir werfen einander gerade ständig nur Fragen an den Kopf.
Kein Wunder, wenn alles so fragwürdig ist.
Und trotzdem soll man sich positionieren.
Man muss.
In dieser Unübersichtlichkeit allenthalben.
Manche gehen jetzt tanzen. Erst recht.
Du auch?
Hab nicht die passenden Schuhe.
Oder einfach mal nach Paris fahren.
Ja, Paris.
Man ist ja jetzt ziemlich schnell dort.
Kaum sitzt man im Zug, ist man schon da.
Denkst du?
Ausprobiert hab ichs noch nicht.
Man sollte viel mehr ausprobieren.
Und was probieren wir gerade aus?
Uns zu unterhalten.
Miteinander zu reden.
Soweit gings ja ganz gut.
Und weiter?
Ja, was machen wir jetzt?
Du hast von Glas Weißwein gesprochen.
Man spricht von vielem.
Kommt drauf an, wie.
Eigentlich eine Kunst, die man lernen sollte.
Es wird einem nur beigebracht, alles zu wissen.
Das Leben als Quiz, meinst du?
So wird es gelehrt.
Und was lehren wir?
Wem?
Niemandem.
Niemandem etwas lehren. Aber doch lehren?
Genau.
Klingt irgendwie weise.
Oder bescheuert.
Mir gefällt der Gedanke.
Gut. Dann behalten wir ihn.


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