Direkt zum Seiteninhalt

Joan Maragall: Der Pinien Grün, des Meeres Blau

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Kristian Kühn

Joan Maragall: Der Pinien Grün, des Meeres Blau. Gedichte. Katalanisch/ deutsch. Ausgewählt, übertragen und mit einer Einführung von Àxel Sanjosé. München (Stiftung Lyrik Kabinett) 2022. 168 Seiten. 24,00 Euro.

Hab eine Ode begonnen, die ich nie vollenden kann.


Als der deutsch-katalanische Lyriker und Übersetzer Àxel Sanjosé Mitte 2019 die Urkunde für ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern überreicht bekam, war diese für eine Übertragung ausgewählter Gedichte von Joan Maragall vorgesehen, die ein paar Jahre später in der Edition Stiftung Lyrik Kabinett zweisprachig erschienen ist. 2023 wurde Sanjosé nun für diese Arbeit mit dem renommierten internationalen Ramon-Llull-Preis gewürdigt, der an Personen vergeben wird, die international zur Förderung der katalanischen Kultur beigetragen haben. So liegt erstmalig eine zusammenhängende Auswahl Maragalls auf Deutsch vor.

Zwei Dinge gibt’s,
seh ich sie zusammen,
wird weiter mein Herz:
der Pinien Grün,
des Meeres Blau.
(Blicke aufs Meer, III, 99)

Der Pinien Grün und des Meeres Blau hinterlassen ein farbliches Türkis. Und deshalb sind linkerhand im Buch die Original-Gedichte helltürkis gesetzt, das Deutsche daneben normal schwarz. Auch das Cover ist unaufgeregt türkis, wie überhaupt das ganze Buch einen stilvoll gediegenen Eindruck hinterlässt.

Joan Maragall (1850 – 1911) gilt als Klassiker der katalanischen Moderne, von dem man als Hauptvertreter in Deutschland bis dato allerdings nur in Insiderkreisen etwas wusste. Er wurde in Barcelona als Sohn eines wohlhabenden Textilfabrikanten gebo-ren und starb auch dort, wurde Jurist und Dichter, ohne sich groß um die väterlichen Geschäfte zu kümmern. Er übersetzte Goethes Römische Elegien, Faust I, Iphigenie und Novalis sowie Andere.

In seiner Einführung „Rhythmus und Licht“ heißt es bei Sanjosé dazu, dass Maragall „für die katalanische Lyrik die Rolle eingenommen hat, die in anderen Sprachräumen die jeweiligen „Klassiker“ (unabhängig von Umfang, Beschaffenheit oder internationaler Reichweite des Werks) als prägende Figuren für die einzelnen Nationalliteraturen gehabt haben.“ Obwohl er auch der katalanischen Moderne zugeordnet wird.

Die beiden Blumen, die dort liegen,
        mitten auf dem Gartenweg,
wer hat sie wohl dort hingeworfen?
        Wer auch immer, es ist gleich.

Die beiden Blumen sind nicht traurig,
        nein, sie lachen in der Sonn‘.
Entzückten mich beim ersten Anblick,
        todgeweiht, doch trauerlos.

„Wir sterben bald, fern von der Pflanze“,
        denken sich die beiden wohl;
„doch unser Glanz entzückt den Dichter,
        und das ist’s, was niemals stirbt.“
(Die Seele der Blumen, S. 65)

Maragall fühlte sich eins mit der Schöpfung – auch wenn als Zutat bei ihm ein bisschen Ironie dabei sein kann, oder auch Selbstmitleid. Doch bleibt er stets ausgewogen, klassisch, ohne zu kippen. Ein Spätklassiker – denn die Klassik und der Modernismo, der Ende des 19. Jahrhunderts als literarische Gegenströmung in Lateinamerika aufkam und schnell auf die iberische Halbinsel überschlug, wollte insgesamt subtilere Ausdrucksmittel und neue metrische Strukturen für die damals stagnierende und verstaubte iberische Lyrik schaffen. Im Klappentext heißt es dazu, Maragall habe das Katalanisch „für den poetischen Gebrauch emanzipiert“, sprich Historisiertes im Sprachgebrauch zu entfernen versucht und durch umgangssprachliche Idiome ersetzt. Hinzu kommt, dass sein liberaler bürgerlicher Hintergrund immer wieder aufgefüllt ist mit einem sanften pantheistisch-christlichen Weltgefühl.

Drüben lag auf einem Stuhl
für die Klöppelei das Kissen,
und auf der Kommode standen
zwei blaue irdene Krüge,
übervoll mit frischen Blumen,
noch am selben Tag gepflückt,
vor dem Bild der Unbefleckten
Heiligen Jungfrau Maria.
(In ihrer Kammer, 25)

Maragalls Gedichte verwenden keine detailverliebten Naturbeschreibungen, erreichen aber – aufgrund ihrer Einfachheit – „eine große atmosphärische Dichte“. Sein Blick ist ein Staunen, ein Mitgefühl. (z.B. wie eine erblindete Kuh sich fortbewegt) – aber er bleibt bei der realen Sicht, die sich ihm bietet, er steigt in keine metaphorischen Seelenlandschaften.

Das Maul stößt unsanft an die harte Tränke,
sie setzt gekränkt zurück … kehrt jedoch wieder
und neigt dem Kopf zum Wasser, trinkt gemächlich.
Nur wenig trinkt sie, ohne Durst … Dann hebt sie
Ihren gehörnten Kopf zum weiten Himmel
(Die erblindete Kuh, 37)

Zusammenfassend finden sich – nach Sanjosé – Maragalls poetologischen Ideen in zwei Schriften, „Lob des Wortes“, 1903, und „Lob der Poesie“, 1907, darin erklärt er, warum sein Blick auf die real-präsente Wahrnehmung dennoch auf eine zweite Ebene zielt: sein Ansatz ist der Glaube an die reale Gegenwart des „lebendigen Wortes“, dass nämlich der Logos des katholischen Systems in seiner täglichen Wahrnehmung aufscheine und er diesen Glanz weitergeben könne, weil „jedes einzelne, noch so unbedeutend scheinende Einzelwort das göttliche Licht in sich“ trage. Maragall definiert daher Poesie als Licht und Rhythmus – „als unmittelbare Wiedergabe des universalen Prinzips der Liebe.“ Die Wörter tragen für ihn diese Bewegung der Liebe in sich weiter voran.

Heute habe ich das Göttliche gespürt
auf dem Feld, in dem Wind, in den Pflanzen
und in der Herrlichkeit – der heiligen Steine,
die sich zum Tempel heben – mitten auf dem Weg.
(Das Göttliche am Gründonnerstag, 61)

Zur Übersetzung lässt sich sagen, dass sie mir eleganter erscheint als das Original, welches mir an mancher Stelle rauer vorkommt, ganz laienhaft in meinem Urteil, zumal ich weder Spanisch noch Katalanisch kann, und dass es eine große Leistung ist, finde ich, die Gedichte so schwingen zu lassen, wie erwünscht, denn auch für Sanjosé ist diese Form der Nüchternheit bei gleichzeitiger Musikalität ausschlaggebend für seine eigene Textarbeit. „Das Allerwichtigste ist, dass der Ton rüberkommt!“, die Melodie – sagte er vor Jahren in einem Gespräch mit Antje Weber in der Süddeutschen („Sprachlandschaften mit Krähen“).

Hab eine Ode begonnen,
die ich nie vollenden kann:
Nacht für Nacht sie mir diktierte
alles, was da singt im Winde,
alles, was leuchtet im All.
(Unvollendete Ode, 21)

Dieser pythagoreische Zyklengedanke Maragalls erlaubt es, klassisch anmutende Verse immer wieder für uns auch modern klingen zu lassen.


Zurück zum Seiteninhalt