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Jeff Friedman: Das Monster fangen

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Jeff Friedman
Catching the Monster

übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von
Cornelia Hülmbauer und Timo Brandt


Das Monster fangen


Auf der Hauptstraße entdecke ich das Monster in der Menge. Es ist glatt rasiert, aber da sind rote Schnitte an Wangen und Kinn. Es hat lange Krallen, die einen Brustkorb in Sekundenschnelle auseinanderreißen können. Niemand in der Menge scheint zu merken, dass das Monster unter ihnen ist. Ich folge ihm auf dem Fuß, immer näher, bis ich fast auf seine Fersen trete. Plötzlich dreht es sich zu mir um. "Du bist ein Monster", sage ich. Es leckt sich den Blutfleck von seinen Lippen. "Ist das so schlimm?", fragt es. "Es gibt viele Vermisste", antworte ich, "und Knochen liegen verstreut in der ganzen Stadt." Ohne uns eines Blickes zu würdigen, gehen die Menschen an uns vorbei oder um uns herum. Neonschilder blinken. Autos verstopfen die lauten Straßen, steigende Unruhe, Musik dröhnt aus geöffneten Fenstern. "Es gibt immer viele Vermisste, immer Spuren und Hinweise, die überall und nirgendwo hinführen", sagt es. Ich packe seinen Unterarm, worauf es das Gesicht verzieht.  "Ich nehme dich mit". Das Monster atmet mir ins Gesicht. Sein Atem ist so süß als hätte es ein süßes Fleisch gegessen. Es starrt mir tief in die Augen, auf der Suche nach meinen Geheimnissen.  "Wenn du an Monster glaubst, bist du vielleicht ein Monster", sagt es. "Sagen das nicht alle Monster?", frage ich. "Mag wohl sein", antwortet es, "aber du hast einen kräftigen Kiefer, gelbe Augen und Flecken auf der Haut – wie wir anderen Monster." Ich schnalle sein Handgelenk an meines und mache mich auf zum Revier, ich liefere uns beide aus - für die Belohnung.


Catching the Monster


On Main Street, I spot the monster in the crowd. He's clean shaven, but there are red nicks on his cheeks and chin. He's got long claws that can rip a chest apart in seconds. No one in the crowd appears to notice that the monster is among them. I follow closely weaving in and out until I'm almost stepping on his heels. Suddenly he turns to face me. "You're a monster," I say. He licks the stain of blood from his lips. "Is that so bad?" he asks. "There are many missing," I answer, "and bones scattered throughout the city." Without even a glance, people walk by or around us. Neon signs blink. Cars jam the noisy streets growing jumpy, music blasting from open windows. "There are always many missing, always trails of clues leading everywhere and nowhere," he says. I grip his forearm, causing him to grimace. "I'm taking you in." The monster breathes in my face. His breath is sweet as if he has eaten a sweet meat. He stares deep into my eyes, searching for my secrets. "If you believe in monsters, perhaps you are a monster," he says. "Isn't that what all monsters say?" I ask. "Point well taken," he answers, "but you do have a powerful jaw, yellow eyes and spotted skin—like the rest of us monsters." I cuff his wrist to mine, head to the station to turn us both in—for the reward.

Jeff Friedman mit Vita im SurVision Magazine, Issue 1

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