Jayne-Ann Igel: vor dem licht / umtriebe
Jan Kuhlbrodt
Spiegelungen
Der Frankfurter Gutleut Verlag legt mit vor dem licht/ umtriebe einen Doppelband der Dichterin Jayne-Ann Igel auf. Zwei Textgruppen, die so gesetzt und gebunden sind, dass sie in der Mitte des Buches aufeinandertreffen.
Das macht Sinn, denn es handelt sich um eine Art von Spiegelungen. Spiegelungen allerdings nicht in der Hinsicht, dass die eine Textgruppe die andere seitenverkehrt wiedergibt, sondern es ist auch so, dass das Textlicht sich mehrfach bricht. Der Spiegel enthält mehr als das Bild des Gespiegelten, oder das Spiegelbild wird dem Betrachter auf eine ganz andere Weise Gegenstand.
Für den amerikanischen Philosophen Richard Rorty ist dieses Verhältnis die Basis der Betrachtung einer Geschichte der Erkenntnistheorie, der er den Namen Der Spiegel der Natur gab. Und Erkenntnis findet auch in Igels Texten eine Signatur, nur eben nicht auf jener abstrakt theoretischen Ebene, die der Philosoph bestellt, sondern als Erkenntnis des nicht Formalisierbaren, dessen also, was sich dem Begriff entzieht, das Ding bleibt Ding dort oder Sache und Wort, wird nicht Begriff.
Zugabe
sobald ich zu fuß unterwegs bin, kommen worte, betäubnis etwa –
Ich denke dabei an ein früheres leben und könnte lange gehen ...
Wer das Werk Igels ein wenig verfolgt hat, wird in umtriebe Texte des Blogs erkennen, den die Dichterin führt. Auch sind sie schon 2012 einmal in der Reihe Black Paperhouse als Einzeledition erschienen. Doch erhalten sie hier ein anderes Licht, und werfen noch einmal andere Schatten.
Noch immer einer meiner liebsten Texte aus diesem eher prosaorientierten Teil ist: das fell des erdmantels.
Die wir doch alle im fell des erdmantels hängen, uns daran festklammern, an das fell, das stellenweise schütter, ... so hebt der Text an.
Der Band umtriebe also bricht sich im anderen Teil vor dem licht. Es ist schwer, sich den suggestiven Texten zu entziehen.
Igel wählt hier eine Form, die man als die frühromantische schlechthin bezeichnen könnte. Fragmentierte Prosagedichte, deren Gegenstand ist, was in der Romantik Natur war, und was ich heute lieber mit Umgebung bezeichnen wollte. Eine Umgebung, die der bildende und umbildende Mensch geschaffen hat, in der er sich aber zugleich verlor. Diese Fremdheit im Geschaffenen ermöglicht ihm aber zugleich das Staunen.
Nun wieder die zeit, da sich fahrzeuge über nacht in pelzige tiere verwandeln, morgens der blick auf ihren buckel, diesen sumpf gewordenen glanz …
Auch dieser Text endet, wie alle Texte in vor dem licht, indem er nicht endet. Etwas bleibt offen.
Und wie Tiere und Pflanzen sich durch Veränderungen fit für einen neuen Lebensraum machen, passt sich auch das Prosagedicht den sich ändernden Zeiten an. Diese Anpassung aber verweigert die Tradition nicht, sie ist nicht bereit, alle Worte aufzugeben. Beispielhaft dafür steht die Verwendung des Wortes „indes“, das ich fast schon vergessen hatte, eh es mir in Igels Gedichten mehrfach begegnete. Eine Art Rückgewinnung des Vertrauten.
Jayne-Ann Igel: vor dem licht / umtriebe. Frankfurt a. M. (gutleut verlag) 2014. 120 Seiten. 19,00 Euro.