Jaromír Typlt: Zug um Zug
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Foto: Apolena Typltová
Jaromír Typlt
Zug um Zug
übersetzt von Patrik Valouch
Ich stamme nicht aus dem Reich des gekrümmten Haars
Ich habe mein wahres Gesicht konvertiert
Ein gutes Porträt setzt sich aus allem zusammen
was einem so zufliegt
Ich könnte anfangen
die echt nussigen
begehrten Waren zu locken
die zaudernden Schützen
echt nussige!
Seit eh und je
scharen sich um mich Wirrköpfe, von gegenüber
kommt immer jemand, der brodelt, auflodert,
oder der mir unverhofft zwischen Tür und Angel zunickt
„Ich weiß zwar nicht, woran du gerade denkst,
aber es wird
bestimmt was so bestimmt
bestimmt so was sein
das zuletzt jemand nimmt und missbraucht
und das Ganze endet dann
in einem schönen Schlamassel…“
Ich habe mein wahres Gesicht konvertiert
Ein gutes Porträt setzt sich aus allem zusammen
was einem so zufliegt
Ich könnte anfangen
die echt nussigen
begehrten Waren zu locken
die zaudernden Schützen
echt nussige!
Seit eh und je
scharen sich um mich Wirrköpfe, von gegenüber
kommt immer jemand, der brodelt, auflodert,
oder der mir unverhofft zwischen Tür und Angel zunickt
„Ich weiß zwar nicht, woran du gerade denkst,
aber es wird
bestimmt was so bestimmt
bestimmt so was sein
das zuletzt jemand nimmt und missbraucht
und das Ganze endet dann
in einem schönen Schlamassel…“
Entzweigehackt
durchfährt es mich
wie soll man jetzt die eigene Wirrsal zusammensetzen
sodass daraus zumindest ein Spiel wird
und der Gegenspieler einen unerwartet
scharfen Zug ziehen kann?
Sein Zug: Würde ich jetzt meinen Finger zermalmen
jetzt oder nie
hätte ich dir mein Knacken verraten
Mein Zug: Wenn du die richtige Uniform hättest
würde ich dich zum Verhör zu mir schicken
ob ich schon endlich
etwas weiß
Sein Zug: Das hast du dir sauer verdient
und lass jetzt die Finger davon
Mein Zug: Ich würde eine Ruine zernagen
nur um nicht unentwegt an einer Ruine
nagen zu müssen
Sein Zug: Erkennst du, was dir droht?
Aus dir wird
ein schwer
zu verantwortendes
Getriebe
(Eine kurze Spielunterbrechung
Man muss das Tonband wechseln)
Beide Spieler stehen schweigend neben ihren Frauen
Eine dreht sich schlagartig um und kritzelt
dem ihren schnell etwas an die Schulter Im weichen Stoff
scheint für einen kurzen Augenblick die Spur eines Schriftzugs auf, die aber
sogleich verblasst Die zweite Frau schüttelt verwundert den Kopf
Sie legt einen Finger auf die Schulter ihres Mannes, erst ein wenig zögernd,
als ob sie überlegen würde, welches Wort sie schreiben möchte Sie
macht aber nur einen Strich und überkritzelt ihn dann
wild
Mein Zug: Ein himmlisch stiller Streifzug, den ich mir allerdings
hienieden herausschreien muss
Sein Zug: Dich sollen nicht nur die Enden der Äste,
sondern sogar die Wurzeln unter der Erde peitschen!
Mein Zug: Nein, ich spreche hier über alte Zeiten,
und du stürzt in dich zusammen!
Sein Zug: Deine Zunge hat nur noch Falten
Mein Zug: Hier leben nur die,
die sich nicht rühren konnten
Sein Zug: Vielleicht ist es an der Zeit, auf die Toten loszuschlagen
wo ist ihr Untergang
Mein Zug: Gefrorene Zeit ist nicht mehr
als verlorene Zeit
Sein Zug: Abscheu
im Originalton
mit Untertiteln
Und meine Niederlage: Ich ziehe wieder die mir
so gut vertraute Verwünschung an Schaue über meine Schulter
und sehe dort nichts, keine wichtige Chiffre
Und selbst wenn es eine dort gäbe Wer weiß, ob eine solche Chiffre
nicht wie die Wörter klänge, die ich einst auf der gegenüberliegenden Gasse
in einer zerknitterten Zeitung entzifferte,
die auf dem Schoß eines unbekannten Schlafenden lag:
„ich verteidige mich nicht“
Ich verteidige mich nicht
Und mein Triumph: Ich weiß nicht, warum mir einfällt,
wie ich einst lange ein Foto betrachtete, auf dem
es hundertmal das gleiche Gesicht gab Aber eines von den hunderten war
verschwommen Als ob ein Lufthauch drüberstreichen würde, der vom erhitzten
Lehm ausströmte Meine Aufgabe bestand darin, es wieder herzurichten
Aber immer mehr hatte ich das Gefühl, es sei ebenso gut
das Gesicht anhand der anderen
wieder schärfer zu machen,
wie es als einziges
Verschwommen zu lassen
wie ich einst lange ein Foto betrachtete, auf dem
es hundertmal das gleiche Gesicht gab Aber eines von den hunderten war
verschwommen Als ob ein Lufthauch drüberstreichen würde, der vom erhitzten
Lehm ausströmte Meine Aufgabe bestand darin, es wieder herzurichten
Aber immer mehr hatte ich das Gefühl, es sei ebenso gut
das Gesicht anhand der anderen
wieder schärfer zu machen,
wie es als einziges
Verschwommen zu lassen
Jaromír Typlt (*1973): tschechischer Dichter, Performer und Kunsthistoriker. Auf Deutsch erschienen zwei Bücher: die Lyriksammlung oder schnurstracks (hochroth, Edition OstroVers 01, 2018) in der Übersetzung von Martin Mutschler und auch Prosa Michal über Nacht (Kant, 2019) in der Übersetzung von Max Zaloudek (in der Zusammenarbeit mit Nikola Mizerová)
Zu diesem Gedicht entstand eine Radiokomposition, an der sich der Autor und Michal Rataj beteiligten und die als erster Track des Albums Zaškrábnutí (dt. Kritzelein) erschien: