Jan Wagner: Die Live Butterfly Show
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Timo Brandt
Artist,
Melancholiker, Juwelier der Phänomene
„wer wüsste mehr von trennen und gelingenzugleich? die feinen zähne des piranha,der schlanke griff – und schimmernd wie die klinge,die zwischen sigurd und der keuschen bryn-hild ruht“
So heißt es in Jan Wagners neustem Gedichtband über die
Säge. Schon bei diesem ersten Zitat dürfte ersichtlich werden: An Wagners
Programm und seiner anverwandelnden Verfahrensweise hat sich nichts geändert,
„Die Live Butterfly Show“ ist bewährte Kost. Wagner zieht seine eigene
Phänomenologie der Gegenstände und Erscheinungen auf und reichert in ihnen
poetische und metaphysische Aspekte an – so schon gelesen, doch weiterhin
durchaus appetitlich.
Auch die Motive wie gewohnt: Banales und Hochgeistiges. Vom
Rettich und dem alten Biker ist es nicht weit bis zu den Chevaliers und der
Elegie auf den Lateinlehrer. Neben einer schon beinahe obsessiven, illustren
Erforschung einer bestimmten Sorte Fisch findet sich ein Stimmungsporträt vom
Ganges, persönliche Kindheitserinnerungen stehen neben einer
komisch-ergreifenden Klage um Goliath.
Die Eigenwilligkeit der Themen erinnert dabei teilweise an die späten Gedichte des argentinischen Autors Jorge Luis Borges, der oft seine ganz persönlichen Obsessionen zum Thema seiner essayistischen, aber formal strengen Gedichte machte. Und aus manchen antiken oder mythischen Anleihen meint man kurz Durs Grünbein hervorrauchen zu sehen.
Etwas häufiger als sonst gibt es in diesem Band auch Gedichte, die einzelne Worte abklopfen oder versuchen, diese Worte zu verkörpern, bspw. eines über den Muff:
„von mottenpulver, milben,längst ausgestorbenes in dioramen;muff, seine eine pelzige silbemit dem gewicht von russischen romanen“
oder eines über den Stumpf (jeweils nur Ausschnitte):
„ist der baum gefällt, bleibt der stumpf,und der stumpf ist bekannt für den kampf,die kraft, die es braucht, bis er klafftund raucht, für den krampf in der hand,die axt, die zerspellt wie ein traum,den spaten, der nacken, der knackst.“
Diese Verkörperungen haben einen besonderen Reiz und man
sieht hier, wie sehr Wagners Sprache darauf aus ist, Vorstellungen zu erweitern
– oder besser gesagt: die erweiterte, deutlichere Version der Erscheinungen in
unsere Vorstellungen hinein zu tragen. Manchmal verliert er sich dabei in allzu
kostspieligen Aufbauten, manchmal überflügelt seine Phantasie die fokussierten Ansprüche
– wer würde einem Dichter, einer Dichterin derlei zum Vorwurf machen? Doch dann
und wann lässt dieser Übermut das ein oder andere Gedicht durchaus abgehoben
oder ungelenk erscheinen, das zu bestreiten wäre ebenso töricht.
Was mir besonders gefallen hat sind die Anflüge von Komik,
die in Wagners Versen ja nicht selten vorhanden sind, jedoch meist verhalten
wirken, sparsam. Der Anfang der „Elegie auf einen Lateinlehrer“ versprüht
dagegen geradezu Witz, einen seltenen, intelligenten:
„vielleicht nur eine frage der grammatik,dass sie stets älter wirkten, als sie waren;nur tote sprachen tote sprachen, lateinischund griechisch, sie hingegen rückten mutigmorgen für morgen vor, von den barbarendurch nichts getrennt als den hölzernen rhein der tische“
Das ist schon eine schöne, subtile Komik, will ich meinen,
und vor allem nicht billig, sondern liebevoll. Dieses Liebevolle, das schätze ich
an Wagner, ganz gleich, ob man ihn nun als großen Dichter sieht oder als leicht
überbewerteten. Diese liebevolle Annäherung in seinen Versen, ihre Dynamik und
Haltung, die immer wieder Faszinierendes hervorbringen, kann ihm niemand
nehmen. Diese Eigenschaft macht seine Gedichte, abseits ästhetischer
Podestkämpfe, wertvoll.
Man kann Wagner seine Dispositionen vorwerfen. Vermutlich
kann er nicht anders (wobei er es durchaus versucht hat, siehe „Die Eulenhasser in den Hallenhäusern.“).
Muss er denn? Aber ich will hier nicht in den Verteidigungsmodus verfallen und
auch keine Predigt halten. Es gibt bei diesem Band genug, an dem ich selbst zu
beißen habe. Aber dazwischen immer wieder Wunderbares. Wollen seine
Kritiker*innen das nicht sehen? Nun gut, lassen wir das.
„die kühe auf den sümpfewiesen rostenwie angeschwemmte bojen oder wracks,und nur der specht verharrt auf seinem posten.es gibt dich, weil ein reh dich sieht, ein dachs.in seinen spänen der gefällte trumm,derweil die enten ihre schwärze saufen.am morgen geht der maulwurftöter umim gelben regenmantel, löscht die haufen.“
Was an dem Band noch auffällig ist: die tiefe Nostalgie, die
sich an manchen Stellen über alles zu legen scheint, wie ein nicht
abzuschaltendes Nebengeräusch, ein Beigeschmack. Ich bin durchaus ein Fan von
Nostalgie, aber selbst mir war das manchmal zu viel.
Wie im Film: Manche Szenen erreichen durch einen
Sonnenuntergang oder ein Saxophonsolo Gänsehaut, Kultstatus, aber manchmal
wirken solche Untermalungen auch, als wolle jemand alles hübsch gefühlig und
glatt haben, eine Taste für die Tränendrüse erschaffen.
Als fleißigem Sammler werden Jan Wagner die Motive wohl
nicht so bald ausgehen. Der neuste Band zeigt, dass ihm immer noch großartige
Gedichte gelingen – und auch seinen Kritiker*innen wird er wieder neue Nahrung
geben. Wagner wird trotzdem, denke ich, seinen Neigungen weiter folgen; und ich
würde ihn jederzeit darin bestärken. Manchmal wird seine Methode versagen und
bei allem Aufwand nur eine Aufzählung, bei allen Anschlägen keine Melodie
hervorbringen. Aber in den besten Fällen entstehen Gedichte, die man nur als
unerhört schön bezeichnen kann, als Gebilde mit genau den richtigen Anteilen an
Wirklichkeit und ihren poetischen und metaphysischen Potenzierungen.
„und dicht am abgrund wir drei, mit nichts als futurin unserer grammatik und siddharthazerlesen in den taschen der parkas,während die erste vorortbahn von nordennach süden gleitet, seufzend hinterm parkhausdie türen, die man morgen, morgen,nicht heute besteigt, ein silberner schwarmvon dosenringen auf der dämmerung:einer, der raucht, und einer, der sich warm-tanzt an der kante, einer auf dem sprung.“
Jan Wagner: Die Live Butterfly Show. Gedichte. Berlin
(Hanser Berlin) 2018. 104 Seiten. 18,00 Euro.