Jan Skudlarek: Elektrosmog
Dirk Uwe Hansen
Balanceakte
Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass Gedichtbände heutzutage nur wenige Leser finden. Man mag das zurückführen auf die Gier des Deutschunterrichts nach normierbaren Interpretationen, auf den Mangel an Werbung, die sich die auf Lyrik spezialisierten Verlage nicht in dem Umfang leisten können, wie es wünschenswert wäre oder meinetwegen auf das Wirken irgendeiner internationalen Verschwörung – leugnen lässt es sich nicht. Die Reaktionen auf diesen Missstand variieren typbedingt: Manche geben sich dem wohligen Gefühl hin, Teil einer kleinen und familiären Gruppe von Lyrikliebhabern zu sein, andere werden angesichts der Stapel pastellfarbener Prosabände in Buchhandlungen, die keinen Platz für Lyrik zu haben glauben, von kalter Wut gepackt oder auch von Mitleid mit all denen, die ihr Leben fristen müssen, ohne sich je an einem Gedicht erfreuen zu können.
Liest man die Gedichte in Jan Skudlareks Debütband „Elektrosmog“, herrscht – so erging es jedenfalls mir – das Mitleid mit den Lyrikfernen vor. Denn diese Gedichte sind eine Einladung, sich auf Lyrik einzulassen; eine Einladung, die man kaum ausschlagen kann und von der ich mir wünsche, dass jeder, der bereit ist, Augen und Ohren zu öffnen (der Mund wird ihm hier und da vor freudigem Erstaunen auch noch offenstehen), sie erhalten möge.
In den 64 meist kurzen – bisweilen mit 3-4 Zeilen sehr kurzen – Texten spielt Skudlarek fast alles durch, was Lyrik zu bieten hat. Unbekümmert macht er sich dabei an ‚große‘ Themen der europäischen Lyrik, schreibt von Liebe, Natur, Jahreszeiten („ein sommer wie libellen unter der haut“), beschreibt das Schreiben von Gedichten, einen Kuss oder Sex am Nachmittag hinter halb geschlossenen Jalousien, dass man meint, den großen Ovid dazu lächeln zu sehen:
sex machine
possessive küsse. wir markieren quadranten
zeigen besitz an mit zungen manövrieren körper
ins kreuzverhör. das licht dekliniert sich durch
die lamellen, die jalousie – ein geduldiger zeuge.
stay on the scene. der laptoplüfter surrt, so
wimmern die maschinen. die wahrnehmung hat
schlagseite, wir verflimmern . . . driften
schnurstracks davon in einen technoiden schlaf.
sirenen, aus der ferne erklingt der gesang der
penetratoren
Auch andere Ahnen lassen sich erkennen, Hölderlin etwa („im wind wehen die / systemadministratoren“) oder Sappho und Alkaios:
dein mund so herrlich auf stand-by
und hinter den wolken mutmaßen wir sonnen,
seit monaten verwintert. wir durchsieben den
wortschatz auf der suche nach nuggets
Die Gedichte sind ganz unprätentiös mit breiten Spatien auf Blocksatz gebracht, und doch sind die einzelnen Verse fein abgewogen und rhythmisch gestaltet. Auch die Sprache ist schlicht, weit entfernt davon, laute Behauptungen aufzustellen, und doch sind die Formulierungen immer wieder überraschend und treffend: („gedichte im dickicht / konspirativer wohnungen“; „mechanische weinbergschnecken“; „der kiosk eine pilgerstätte für / psychonauten“).
Neben diesem ganz eigenen Ton zeichnen sich Skudlareks Gedichte durch eine virtuose Balance zwischen Beschreibung und Neuschöpfung aus. Dabei werden Alltag und Sprache immer wieder in atemberaubender Weise miteinander verwoben („so duster wie im innern einer vokabel“; „dort folgen die bäche ihrer ur / eigenen syntax“):
herrenlosigkeit
gehirnwaschanlagen. an unscheinbaren land
straßen erbaut. die gegend hier ist ein einziger
wesfall, frage nach zugehörigkeit, offene
scheunentore. der paratext zu einer anderen
landschaft, die es nicht durch die zensur
geschafft hat. nach jahren des reisens zwei
übermüdete zitate.
So lassen sich die Texte in ganz unterschiedlichen Weisen lesen, als surrealistische Manifeste (mit oder ohne Einfluss von „pilzmagie“), als Klangkunst („parcours im dickicht der parkuhren“), als Auslotungen der Gegenwartssprache („quellcode der kindheit“), sind spielerisch und präzise zugleich.
Als wäre all das noch nicht genug, hat Jan Skudlarek auch noch das Glück, in Simone Kornappel eine Künstlerin gefunden zu haben, die seinen Gedichten kongeniale Bilder an die Seite stellt, Collagen, die aus Bekanntem ganz Neues machen und ebenso wie die Gedichte in ihrer verwirrenden Folgerichtigkeit verstörend und heiter zugleich sind.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich einen dicken Filzstift zu kaufen und dem türkischen #şiirheryerde ein deutschsprachiges #versesindüberall an die Seite zu stellen. Für diese hier findet sich sicher leicht ein geeigneter öffentlicher Ort:
klangskulpturen sind wir, nicht wahr
wir feilen insgeheim an unseren singstimmen.
verdinglichen uns mutwillig. jetzt gibt es kein
zurück mehr, die knie knacken so rhythmisch
wie noch nie. unsere haut als bruchschale,
weltverbunden
Jan Skudlarek: Elektrosmog. Gedichte. Wiesbaden (Luxbooks Labor) 2013. 80 Seiten. 19,80 Euro.