Jan Skácel: Für alle die im Herzen barfuß sind
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Timo Brandt
Die Sehnsucht reist
in unbequemen Schuhen
„In den wiesen hängten die nebel wäsche auf,die rohrdommel rief in der ferneund im quaken der fröschegrünte die nacht“
Zunächst und vorweg: ich bin sehr unglücklich mit dem Titel
dieser Sammlung von Werken des tschechischen Dichters Jan Skácel. Besonders
unglücklich macht mich, dass es sich um eine Gedichtzeile von Skácel selbst
handelt, die im Gedicht eine behutsame Atmosphäre unterstreicht, im Titel aber
nach Ratgeber-Romantik klingt.
Ich reiße als Rezensent zwar ununterbrochen Zeilen aus
Zusammenhängen, aber versuche zumindest sie so einzubetten, dass sie nicht
komplett abseits ihrer Zusammenhänge verortet werden. Aus der Zurückhaltung von
Skácels Poesie eine solche Anbiederung/Werbung zu machen, das erweckt im
schlimmsten Fall völlig falsche Vorstellungen, hat aber vor allem wenig mit den
Ideen seiner Dichtungen zu tun.
„Zuweilen geschieht’s, dass die menschliche seele stinktwie regennasses hundefell.Darüber lästere ich nicht. Nur will ich, dass der schmerzwirklich schmerzt und die träne träne ist.“
Denn Skácel war kein Dichter, der belehren wollte und seine
Gedichte sind keine zünftigen Weisheiten, die den Lebensfrust mit ihren Versen
fröhlich umkegeln. Es gibt zwar des Öfteren ein Wir oder ein Uns. Doch summierte
er nicht, um den Weg zu weisen, sondern weil er glaubte, dass wir alle ein
Schicksal teilen. Dieses Schicksal ist es, dass Skácel in seinen Texten
einfängt, das bei ihm mal schwer, mal leicht wiegt.
Als wären wir erst kürzlich aus dem Paradies vertrieben
worden, so treten viele Gedichte auf – oder, besser gesagt: ihre Bewegung, ihr
Ton regiert auf etwas, das die ferne Erinnerung an diese Vertreibung wieder
vergegenwärtigt, heranholt, unter die Haut geschoben hat. Zerrissen, frisch eingerissen,
sind die Empfindungen darin, die Sehnsucht gebärdet sich, als wäre sie zum
allerersten Mal verletzt oder zurückgewiesen worden und doch hallt ihre Klage,
wie eine Wiederholung, ein altes Lied.
„kindheit ist das was irgendwanngewesen ist und aus dem traum nun hängtein faden fesselrest den manzersprengen kann und nie zersprengt“
Ein anderer Sehnsuchtsort verkörpert immer wieder das
Paradies: die Kindheit und ihre unnachahmliche Unbeschwertheit, die weiten
Flächen, die sie für Furcht und Freude bereithielt. Wenig ist von ihr übrig und
doch ist das Gesicht vieler Dinge von ihr geprägt, sie lacht und starrt aus
vielem hervor.
Wie sein erster Übersetzer Reiner Kunze war Skácel außerdem
vom Prozess des Dichtens, von Worten fasziniert. Wie leicht ein Wort ist, wie
zart, und wie doch die Wirklichkeit der Erfahrung aus zarterem Material zu sein
scheint oder aus gröberem, das aber eigentümlich glänzt – auch darum geht es in
Skácels Gedichten immer wieder.
„In den goldenen Sieben seiner Mutterspracherüttel schüttelt er die eigene Taubheitund bis zur Ermattung sucht er nach Worten“
Skácel ist ganz klar ein Dichter der Sehnsucht. Nicht
verhehlen kann man, dass seine Gedichte hier und da etwas Beschauliches haben,
außerdem mitunter einen leichten Schlendrian, denn sie lassen sich hier und da
Zeit, verweilen ein paar Zeilen bei einer Betrachtung, ohne den Text
voranzutreiben. Mir ist das im Grunde sehr sympathisch, aber manches Gedicht
wirkt dadurch eher wie eine Notiz in Versen, weniger wie eine lyrische
Verdichtung.
Auf der anderen Seite wird manchen vielleicht auch seine
Inbrunst aufstoßen, die zarte Archaik, der er frönt. Ich liebe einen Teil
seiner Verse gerade für diese verhaltene, tieffliegende, aber nicht zu
leugnende Anteilnahme mit pathetischer Wölbung (wie ich sie auch bei Tomas
Tranströmer oder Lars Gustafsson liebe oder bei Sarah Kirsch).
„Immer ist in uns ein hauch von traurigkeitauf kleinen bahnhöfen,wo niemand wartet.[…]plötzlich ist in uns zu viel vom menschen.“
In diesem Sammelband sind Beiträge aus fast allen deutschen
Publikationen Skácels vertreten: Aus den Gedichtbänden „Fährgeld für Charon“
und „wundklee“ (in der Übersetzung von Reiner Kunze), sowie „Ein Wind mit Namen
Jaromir“ und „Und nochmals die Liebe“ (in der Übersetzung von Felix Philipp
Ingold), dazu einige Neu- und Erstübersetzungen von Urs Heftrich.
„Haben wir den Mutnach der angst zu fassen wie nach einer klinke und einzutreten“
Skácels Prosa, mit ihrem Schalk, ihrer Gutgläubig- und
Hintersinnigkeit, ihren poetischen Kadenzen, ist für mich schon seit der ersten
Lektüre ein besonderer Genuss. Seine Feuilletons sind leicht, geradezu albern
abschweifig, und doch bringen sie im Verlauf immer wieder Perlen zustande. Egal,
ob er eine Reise durch die UdSSR beschreibt, dabei die Flugreisen bedauert,
sich aber über eine Bahnreise nach Leningrad freut, in der er die ganze Nacht
am Fenster sitzt:
„Die nördlichen Nächte sind wie die Auslagen von Antiquitätenhändlern, voll Silber.“
oder eine Reise nach Österreich, wo er in einem Hotel
unterkommt, in dem bereits Napoleon einmal eine Nacht verbrachte, was eine
Plakette ausweist, woraufhin Skácel sich an eine Stadt in Tschechien erinnert,
in der Napoleon auch einmal nächtigte und wo man in der Chronik eine Inschrift
findet, in der es lediglich heißt, dass Napoleon
„nichts von Wein verstand, mit dem Trinkgeld geizte“
oder ob er eine kleine Rezension über die Wahrheit schreibt,
in der es heißt:
„In einem Winkel meines rauchgeschwärzten Herzens glaube ich, dass ein anständiger Mensch die Lüge haßt, aber sehr niedergeschlagen zu sein pflegt, wenn er recht haben muss.“
immer stimmen einen die Texte gleichsam freudig und
nachdenklich, sie sind an einigen Stellen mit einem verfänglichen Witz
beschlagen und geistreich obendrein.
Prosa ist aus den Bänden „Das blaueste Feuilleton“, „Das
elfte weiße Pferd“ und „Das dreizehnte schwarze Pferd“ enthalten, außerdem
Peter Handkes Laudation anlässlich der Verleihung des Petrarca-Preises 1989 und
ein kurzes Prosastück von Philippe Jaccottet.
Alles in allem: man lasse sich vom Titel nicht abschrecken,
dieser Band birgt Wunderbares, vor allem wunderbar Trauriges. Auf dem Grund einen
jeden Liedes muss etwas erklingen, gefunden werden, so heißt es (von mir etwas
vereinfacht) in einem Gedicht von Skácel. Bis hinunter zu diesem Grund sollte
man seinen Gedichten lauschen. Und wissen, dass es die kleinen Dinge sind, in
den Gedichten, um uns herum, in uns selbst, die entscheidend sein könnten.
„Längst weißt du doch die große Bedürftigkeitall der minderen Dinge ist jetzt angebrochenall jener geringstenund noch um vieles geringeren Dinge“
Jan Skácel: Für alle die im
Herzen barfuß sind. Lyrik und Prosa. Hrsg. von Peter Hamm. Göttingen (Wallstein
Verlag) 2018. 176 Seiten. 20,00 Euro.