Jan Kuhlbrodt: Zum heiseren Anarchimedes von Hans Thill
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Jan Kuhlbrodt
Zu Hans Thill
Der heisere Anarchimedes.
Dass man ihm einen festen Punkt gebe und eine Stange, die
lang genug sei, damit er die Welt aus den Angeln hebe, tönte einst großspurig
Archimedes. Vielleicht war es die Zeit, vielleicht aber auch lag es an der
Kurzsichtigkeit des Griechen, dass er nicht erkannte, dass das, was im fest
gefügt schien, bereits aus allen Fugen war. Sein Widerpart, der Anarchimedes
Hans Thills jedenfalls, ist bereits heiser, als habe er zu viel schon geredet,
besprochen, gemahnt vielleicht, und auch gebrüllt.
Er wird sicher kommen. Es springt dirwie eine Frage ins Gesicht, oderkommt dir entgegen, dreißig BehelmteBlütenblätter in einer U-Bahnstation.
Behelmte und Blütenblätter. Das ist die Distanz eines
Thillschen Gedichts, Ein einzelner Zeilenbruch, der eine Weltklammer öffnet,
und an den Behelmten behelmte Blütenblätter anklingen lässt. Und hier wie in
jedem anderen Gedicht des Bandes der surrealistische Anklang. Kühne und
tragfähige Bilder, in Bedeutungsdeutsch aber nicht zu übersetzen. Sie meinen,
was sie sagen.
Die Aufnahme einer Tradition, ihre Fortführung, die sich in
den Floral-Revolutionären Kunstzellen der ersten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts erfand, und sich den faschistoiden Hirnstiefelträgern entgegenstellte.
Eine Zeitlang, aber das liegt nun auch schon eine
Jahrtausendwende zurück, konnte man für einen Moment das Gefühl haben, die
friedlichen Pflanzen mit ihren übersinnlichen Blüten hätten so etwas wie einen
Sieg davongetragen. Aber wie gesagt: Nur einen Moment lang. Und die Zeit machte
keine Pause.
Man ist ein Stück unterwegs von jenem Band, der bislang mein
liebster war des (franko)heidelberger Dichters Hans Thill, und der zu dem, der
„Das Buch der Dorfer“ hieß, zu dem, der jenes vielleicht als liebstes nicht
ablöst, aber eindringlich einen Schritt an seine Seite macht. Hier, in den
Dörfern und auch dazwischen machte die Welt ansatzweise einen eher friedlichen
Eindruck, auch wenn die Spuren vergangener Auseinandersetzungen auch hier noch
präsent waren. Sie bekamen aber einen ornamentalen Anschein, die Geschichten,
die sie andeuteten, einen schwebenden Ton. Aber, das wurde im Laufe der Zeit
gewiss: das, was sich als ein Ende erträumte, war nicht mehr als eine kurze
Pause.
Die Landschaft in Thills neuen Gedichten, jene des
Anarchimedes, wird deutlich bellizistisch möbliert. Und in den Gedichten ist
wieder von Revolutionen die Rede, also von jenen Unternehmungen, die so
notwendig sind wie ihr Scheitern gewiss ist.
Ich denke rasch, wie eine Ratte im Erdreichverschwindet. Der private Oktoberkommt nackt mit einem Eimer Wasserin die Stadt, ein paar Stundenspäter ist Revolution. Zittert, ihr Zimmerbewohner,jetzt werden die Boulevards mit Matratzengepflastert, zittert, ihr Zimmer,ihr werdet aus einem Gedicht möblieret.
So endet ein Gedicht aus dem Zyklus „Linguistikherbst“.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Gedichte Zuversicht
verbreiten. Ihre gehäuften Alliterationen und die Enjambements jedenfalls, so
technisch sie wirken, tragen etwas wie eine untilgbare anarchische Hoffnung.
Und sie zeigen einen Dichter auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe seines
Könnens.
Hans
Thill: Der heisere Anarchimedes. Gedichte. Verlag Poetenladen, Leipzig 2020.
112 Seiten, 18,80 Euro.