Jan Kuhlbrodt: Schibboleth
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Jan Kuhlbrodt
Schibboleth
Es häufen sich die Jahrestage.
Grade noch haben wir Derrida gefeiert, der Neunzig geworden wäre kurz nachdem
wir Celan zu seinem 50. Todestag gedacht haben. Und bald steht sein Hundertster
Geburtstag an. Es ist eine Celanjahr zu dem das eine oder andere Buch
erschienen ist und noch erscheinen wird. Dabei sollten wir aber die
Publikationen aus den letzten Jahren nicht vergessen, die Celan als einen
Dichter ausmachen, der zwar auf Deutsch schrieb, aber deshalb noch lange kein
deutscher Dichter ist. Eine Verbindung besteht schon hier zu dem
Literastur-wissenschaftler Peter Szondi, dessen fünfzigster Todestag im nächsten
Jahr ansteht, und der im vergangenen Jahr neunzig Jahre alt geworden wäre. Auf
seine Biografie und seine Celanstudien werden wir in den nächsten Tagen
zurückkommen. Aber auch auf sein Verhältnis zu den Deutschen, das Wolfgang
Emmerich in seinem jüngst im Wallstein Verlag erschienenen Buch „Nahe Fremde“
beleuchtet. Zunächst aber zu Derrida und seinem Buch „Schibboleth. Für Paul
Celan“ das 2002 auf Deutsch im Passagen Verlag erschienen ist.
Ein Schibboleth ist ein Losungswort
oder eine bestimmte Sprechweise, anhand der ein Sprecher oder eine Sprecherin
als Angehörige einer bestimmten Gruppe oder Schicht kenntlich wird. Die Art zu
sprechen verspricht Zugehörigkeit. Aber viel mehr noch ist die bestimmte Art zu
sprechen die Bedingung, an einem bestimmten, an einen bestimmenden Diskurs
überhaupt sich beteiligen zu können.
Es gibt verschiedene Formen des
Zugangs zu Sprache, verschiedene Arten der sprachlichen Aneignung, immer jedoch
bleibt kenntlich, wer sich beteiligt, wer sich beteiligen darf, und wer zur
imaginär ursprünglichen Diskursgemeinschaft gehört.
Im Zuge der Lektüre der Artikel
anlässlich des 50. Todestages Paul Celans habe ich mich ein wenig gewundert,
wie schnell dieser Dichter, der in der Bukowina, in Czernowitz als Sohn
deutschsprachiger Juden geboren wurde und lange Zeit in Paris lebte, wo er auch
starb, letztlich zum deutschen Dichter gemacht wird, weil er die deutsche
Sprache benutzte.
Schnell kommen zu so einer
Ausgangssituation Zuschreibungen hinzu und Forderungen an den Dichter und seine
Dichtung, als läge es in seiner Verantwortung, beständig an das, was man ihm
und seiner Familie und überhaupt der jüdischen europäischen Bevölkerung angetan
hat, zu erinnern. Man nimmt den Dichter in die Verantwortungszange, die
eigentlich den Tätern angelegt gehört, und beschneidet die von ihm sich
erarbeitete Freiheit, in die seine Dichtung vordringt.
Natürlich sind in der
Freiheitsdichtung Celans die Erinnerungen an Mord und Unterdrückung vorhanden.
Aber, und das werde ich nicht müde zu betonen, diese Dichtung erhebt sich
darüber.
Um mich dem Problem zu nähern, und
auch etwas von der deutschen Celan-Rezeption abzukommen, begann ich (ein
zweites Mal) Jaques Derridas Buch zu lesen, das sich mit Celans Dichtung unter
dem Aspekt der Datierung befasst und zugleich dem Dichter gewidmet ist.
Das Wort Schibboleth stammt aus dem
Hebräischen und hat ursprünglich eine Reihe von Bedeutungen, wie
"Strömung" oder "Flut", wird aber im Zuge der Biblischen
Überlieferung zum "Kennwort", zur "Parole". Im heutigen
Sprachgebrauch ist ein Schibboleth eine sprachliche Besonderheit, durch die
sich ein Sprecher einer sozialen Gruppe oder einer Region zuordnen lässt.
Schibboleths sind Wörter, an deren verschiedener Aussprache die Herkunft des
Sprechers zu erkennen ist und die somit zu einem sozialen Code werden.
Derrida führt dieses Moment mit der
Datierung eng:
„Aber schon im Brennpunkt ein und derselben Sprache, zum Beispiel der französischen, läßt sich in einer unzusammenhängenden Flut von Ereignissen in einem einzigen Mal, an ein und demselben Datum, gemeinsam gedenken, welches von da an die seltsame, koinzidierende, unheimliche Dimension einer Vorbestimmung kryptischer Art annimmt. Das Datum gleicht selbst einem Schibboleth.“
Derrida spielt das anhand einiger
Gedichte Celans durch, die sowohl Daten nennen, die auf dem ersten Blick eher
unspektakulärer Natur sind, sich aber im Hinblick auf die Literaturgeschichte
als Teil eines ganzen Datengeflechts erweisen, und Ereignisse verschiedenster
Art miteinander verknüpfen, als auch im Kontext solcher Gedichte, die das Datum
nicht nennen, aber es über das genannte Ereignis im Kopf des Lesers induzieren.
In Celans Gedicht mit dem Titel
„Schibboleth“, dem Derrida natürlich auch und besondere Aufmerksamkeit zukommen
lässt, sind die Sprachen, um auf den Eingang zurückzukommen, auf dem Weg, ihren
nationalsprachlichen Bedeutungen und Zuschreibungen zu entkommen, und weisen
zugleich auf nationalistische Beschränktheiten hin:
Herz:gib dich auch hier zu erkennenhier in der Mitte des Marktes.Ruf's, das Schibboleth, hinaus:in die Fremde der Heimat:Februar. No pasarán.
Jacques Derrida: Schibboleth. Für Paul Celan. Übersetzt von
Wolfgang Sebastian Baur. Wien (Passagen Verlag) 2012. 144 Seiten. 18,00 Euro.