Jan Kuhlbrodt: Entwicklung der Knoten
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Jan Kuhlbrodt
Entwicklung der Knoten
Eine kurze Meditation
über Niklas L. Niskate
Wir sind es
gewohnt, zum Teil zumindest, unsere Aufmerksamkeit und Mühe bei der Lektüre von
Gedichten aber auch von Prosatexten für die Entschlüsselung des Textes aufzuwenden.
Das hat uns die Schule eingebrockt, der Deutschunterricht. Wir sind
gewissermaßen Metaphern-geschädigt, vermuten hinter einem Ausdruck einen
Ausdruck, suchen die Bedeutung des Gesagten in einem Übersetzen der lyrischen
Sprache in eine einfache oder diskursive.
Der Titel des
Bandes von Lemniskate legt eine derartige Betrachtung zunächst nahe, denn er
trägt seine Doppelbedeutung gewissermaßen zu Schau, und der metaphorische
Gebrauch des Wortes Knoten ist uns eingeübt, in die Wiege gelegt, wenn nicht
eingetrichtert von der Schiffsgeschwindigkeit bis zur Tumordiagnose.
Oder wir
betrachten den Text als Klang, als Musik, der nichts anderes birgt, außer sich
selbst, seine Tonfarbe, seinen Rhythmus. Beides ist legitim, und beides
eröffnet angesichts bestimmter Texte die Möglichkeit, sich diese zu
erschließen. Aber:
„Die Literatur ist nicht einfach die Nutzung der Sprache, sondern ihre künstlerische Erkenntnis, ein Bild der Sprache, das künstlerische Selbstverständnis der Sprache. Die dritte Dimension der Sprache. Der neue Modus des Lebens der Sprache.“ Michail Bachtin: Die Sprache in der künstlerischen Literatur in. Sprechgattungen. Berlin 2018.
Man kann also
dieses Wortspiel getrost zurücklassen und sich den Texten widmen, und zwar in
einer Art, die Doppelbedeutungen eben nicht auflöst, sondern in ihrer Dopplung
belässt, den Sinn im Doppel selbst findet. Oder wir nehmen die Worte beim Wort.
Es gibt in der
Knotensammlung ein Gedicht mit dem Titel: Rosen, welches genau mit diesem
Dilemma spielt und vielleicht versucht, so etwas wie eine Sprache der Liebe
anklingen zu lassen und dieses Gedicht endet:
ach und späterwie frühergingen mir die orte ausan denen meine liebe zu dirsich hätte erholen könnenvon deiner liebe zu mir
Aber dieses Liebesgedicht
ist in seiner Unmittelbarkeit, die es am Ende des Gedichtes und der Liebe
annimmt, eine Ausnahme in der Sammlung. Dabei beginnt es gar nicht eindeutig,
sondern so:
kannst du hören könnenvergessen. ist dasdie sprache einer sonneauf anzeichen
Die
Uneindeutigkeit, die in der Sprache selbst liegt, verliert sich hier im Ende
des Gedichts, macht in ihrer Eindeutigkeit Gedicht oder Liebe unmöglich. Dort
also, wo der Ausdruck eineindeutig ist, endet die Sprache der Kunst.
Ganz anders in
den anderen Gedichten des Bandes. Dort wird die Sprache nicht gebändigt, wie
hier, nicht über einen Kamm geschoren, sondern gewissermaßen in ihrer Freiheit
be- oder entlassen. Worte werden einem Kontext zugefügt, oder mit ihnen wird
Kontext konstruiert, in dem sie zu wirken beginnen, weil sie in anderen
Kontexten Bedeutungen angereichert haben. Einen Fang.
Im gleichnamigen
Gedicht heißt es:
der schritt aus der welt ist der schritt in die welthineinso weit. haben wir unsgesprochen. stimmen verteilen geister verbreitensich leise.
Der Band ist
durchsetzt von grafischen Arbeiten, die eher an Netze erinnern, Flächen, also
das Gegenteil von Knoten, was nach einem Moment der Irritation vollkommen
einleuchtet.
Niklas L. Niskate: Entwicklung der Knoten. Salzburg (edition
mosaik) 2018. 80 Seiten. 8,00 Euro.