Jan Kuhlbrodt: Anstelle eines Urlaubs - Seeübersetzungen aus dem Russischen
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Jan Kuhlbrodt
Anstelle eines Urlaubs
Seeübersetzungen aus dem Russischen
Zu den Übertragungen
Vor einigen Jahren bat ich Oleg
Jurjew um eine Liste mit russischen und vor allem Petersburger Dichterinnen und
Dichtern, die ihm besonders am Herzen liegen. Ich wollte sie kennenlernen,
einen Blick erhaschen, wenn man so will, in die Welt des von mir so geschätzten
Dichters und Romanciers. Das Gute an der Russischen Dichtung ist, dass fast
alle Werke digitalisiert sind und im Internet zu finden, also machte ich mich
mit der Liste auf die Suche, und diese Suche dauert an.
Viele der von Oleg Genannten sind
bislang noch nicht oder nur ungenügend ins Deutsche übertragen, so dass ich
mein Schulrussisch aktivieren musste und selbst Übersetzungsversuche
anfertigen. An dieser Stelle muss und sollte ich mich bei meiner
Russischlehrerin Frau Rotstein aus Chemnitz bedanken, die sich redlich mit mir
abmühte.
Zu den Autorinnen und Autoren der
Originale
Anna Achmatowa ist vielleicht die Bekannteste und eine Art Flaggschiff der
russischen Dichtung des vergangenen Jahrhunderts und des sogenannten Silbernen
Zeitalters. Sie kam 1889 in Odessa auf die Welt und starb 1966. Von 1910 bis 1918 war sie mit Nikolai
Gumiljow verheiratet, der ebenfalls in dieser kleinen Auswahl vertreten ist.
Gumiljow gilt als herausragender Vertreter der Richtung des Akmeismus. Geboren
wurde er 1886 in Petersburg, und er wurde 1921 von den Bolschewisten
erschossen.
Konstantin Waginow ist ebenfalls
ein Petersburger Dichter, der den Akmeisten zugerechnet wird und später lose
mit der Gruppe OBERIU um Wwedenski und Charms verbunden war. Er lebte von 1899
bis 1934.
Tichon Tschurilin schließlich wurde 1886 als Sohn eines
jüdischen Apothekers in der russischen Stadt Lebedjan geboren. Er arbeitete als
Schauspieler am Kammertheater Moskau, lebte in Moskau, in Charkow, und auf der
Krim, Als Dichter debütierte er im Jahre 1908.
1910 bis 1912 wurde er zum ersten Mal in einem psychiatrischen
Krankenhaus behandelt. Tschurilin war an Schizophrenie erkrankt und litt an
Depressionen. Er starb 1946.
Für
diese kleine Auswahl habe ich Gedichte berücksichtigt, die etwas mit dem Meer
zu tun haben. In den meisten Fällen handelt es sich um die Ostsee, wo nicht von
mystischen Gewässern die Rede ist. Aber auch die Ostsee hat ja, wie wir aus
vielerlei Dichtung wissen, ihre mythischen und mystischen Momente.
Anna AchmatowaIn Viborg
für Olga Ladyzjenskaja
Mächtige überflutete BühneGrößte in Neptuns Reich -Und wie ein Schatten liegt dort gefroren SkandinavienAll - in einer gleißenden Vision.Musik ohne Klang, Frühling stillAber der Duft aus brennender Luft quilltUnd der weiße Winter auf KnienBeobachtet aufmerksam all das und betet.25. September 1964Konstantin Waginow
an Grigori Schmerelson
aber ich weiß, da es ruhig liegt, das schiff
da es regungslos liegt in der tiefe
dass es mich nicht ans ufer zurückbringt
das nur von meinem schatten bedeckt ist.
er wandert durchs nächtliche dunkel,
er verliebt sich und tanzt …5. März 1924Konstantin WaginowO, ziehen wir uns zurück auf der Gnome InselnUm dort einen prächtigen Kristallpalast zu errichtenLassen wir auf den Stufen Löwen und Tiger winseln,Und beobachten von dort aus die Wolkenschichten.
Lasst uns musizieren in silbernen Pavillons,Und auf den Alleen lasst singen die Geigen,Vögel lasst in goldenen Käfigen jubilierenUnsere Gesichter wie Lilien weiß sich zeigenIn Gärten veranstalten wir MaskeradenSingen Lieder, deklamieren GedichteGlück wird langsam, die Trauer verladenAuf kurze Stakkatoworte verzichte. DennMit überschlagender Stimme spricht man vom HerrnWie von einem kranken und einsamen Clown.Und auf ihm prangt dann des Monats GehörnDen Monat mit gehörnter Krone zu schaunSchwächlich pastellen leuchtet der HimmelUnd klingelt mit den Schellen am HutSeines Körpers Atome sind wirDinge wie Bäume so gut und nicht besserAls Backsteine, Rohre, auch nicht,Besser als vergessene Brücken übers Gewässer.Wir werden höflich bleiben angesichts solcher TrauerVor Qual nicht zusammenpressen die HändeDemütig werden wir Glocken läuten, ein SchauerEinsam sind an der Gnome Inseln die Strände.Wir werden sie nicht mit unseren Stimmen schockenDie Menschen mit ihren rosigen Ohren im Roggen.
Tichon TschurilinOrgel – ChorBetrunken ist der Ozean! Nüchtern jetzt der Wind.
Die Glocke ruft zum Totenmal, in Tritten der Schrecken beginnt
in kleinsten Schritten.Hurra O Volk, der Orgel Weg – Harmonisch Inschallah.
Heulend Heul, zum Ende geh – Hu Hu, Hu Hu, Hurra!Zucker! – Chor.
Brot! – Chor.
Licht! – Heulendes Geheul,Und wenns lodert das Knacken der Scheite.Näht Leichtücher, haltet sie zur Hand,
Tretet in den Sumpf mit aller Kraft
- Das ist Neuland
Kinder, Witwen.Ein Vogel pickt den Puls der Zeit
Die Eule nächtens singt:
Sei, wenn die Stunde schlägt, bereit
dass ihr einander nicht verschlingt.April 1918Nikolai Stepanowitsch GumiljowStanzenÜber der Insel welch HöhenWelch Nebel!Hier ward die Apokalypse geschriebenStarb Pan.
Und auch andres - unter Palmen, Palästen,Lacht hier der SchnitterHier wo der Schafherden GlockenLaut klingelnUnd die wunderbaren GeigenbögenIch atemlosNahm sie und hörte, wie sie ihre SeeleAushauchtenJa! Es ist ein Zauber der auf das Schicksal zieltBin geschlagenDass nachts der Stern über deinen Kopf rieselt,Und klingelt, stöhnt.Ich bin frei, hab kein VermögenHier und rundkeine Kopeke im Sack, die FlascheAm Mund
Lieg in meinem Land, keine BrückeFührt hin.Brennen Kreuze und in Schalen,Riesige Sterne.Nikolai Stepanowitsch GumiljowDer SturmWie stark dieser Wind ist, ganz ohne Flügel!Der Sonnenuntergang gleich einer zerplatzten Melone.Und diese träge rollenden WolkenMöchte ich anschieben ein wenig doch.In diesen langsam laufenden NächtenFährt der Kutscher die PferdeAm Wasser reißen Fischer mit stärkerem RuderUnd Förster hacken wie wildAuf riesige, lockige Eichen ein …Wem aber vom SchicksalUniverselles gegeben und in wem vereint alleRhythmen des vergangenen und jetzigen HausesDer verfasst geflügelte VerseDen inneren Traum der Elemente zu enthüllen.