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Jan Hendrik Leopold: Cheops

Montags=Text
Jan Hendrik Leopold

aus dem Niederländischen von Klaus Anders

CHEOPS

Nach dem Empfang, nachdem er aufgenommen
ins durchscheinende Drängen und den Zug
der unbefleckt Erstandenen, die durch
alle Himmel trieben, das große Gefolge,
das begleitete und doch fern blieb
und niemals näherkam den unentweihten
Öffnenden, den Hohen Herrschern, sie,
hinter deren Säumen und deren letztem Schritt
blitzend eine Ferne zuschlug; zur Mitte
des Verschlingens, des mannigfachen Windens,
das in eine lockere Ebene ablief
oder sich kräuselnd im eigenen Gewirr
verstrickte, wechselnd in einem Rhythmus
von Hebungen, die den Zenith erklommen,
von Senkungen, in denen tiefstes Weichen
abklang; in der breiten Schleppe,
die durch die Räume schwang und die Fernen
berührte, durch all die Bahnen fegte
des Ungemessenen, in dieser weiten Flucht
der König Cheops.⌡Still in seinem Sinn
und wartend hat er sich eingefügt und
sich geschickt und zurechtgefunden
in dieser neuen Ordnung, das Sich-nach-
anderen-richten und die entwöhnte Pflicht
in sich zu mindern, zurückzudrängen
den eigenen scharfen Willen, abzulassen,
verschwinden in der Menge, das Teil-sein
in diesem Eifer, die Abhängigkeit
der Vielen und das Seinen-Dienst-verrichten
als Begleiter und als Wegtrabant.

So schloss er sich dem Umgang an,
dem ewigen, in keiner Zeit geboren,
der hinzog durch das Strahlen ohnegleichen
der Himmelskreaturen, durch die Säle,
die leeren Höfe, die in Todes Nacht
so reglos und so starr geöffnet lagen
und ausgesetzt, als ob sie alle unter
einer hohen Kuppel stünden, einem Dach,
das auf funkelndem Gebinde ruht
aus stählernen Blitzen; dann die Dunkelheit,
die rau gefüllte, wo der Weltenstoff
anfangs noch verstreut und schwebend lag
in dumpfem Stillstand oder, angefasst
durch plötzliches Bewirken, stoßweise
zusammenschoss, zu fließen im gekrümmten
Bett, das bald zu einem runden Kolk,
zum Busen wird, einer in sich geschlossenen
Höhle, einer Schale, schwellend bis
zum Rand und endlich vollem Mutterschoß,
dessen Plackerei, dessen bezwungene Nöte
und schwere Spannung sich steigerten, bis
enthemmter Schwall, rasende Wirbel zu
Geburten wurden, aus denen glänzend junge
Leiber entsprangen, sprühend, befreit von
allen Hülsen, unangetastet
munter und blank und neu aus dem Gestühl.

Durch den Zusammenhang und den Verband,
den unentrinnbar Zwang schon bald geschlungen
um das Geschaffene, wo alle Kraft
sich voll und ganz an die Balance mit anderen
ausgab und darin erst der volle Brand
der Elemente war, in dessen Mitte
unvollendet das Ringen, der wild
aufgewühlte Pfuhl, der wütende Aufruhr
tosender Sonnen war, daneben
kreisende Monde. Und ein blauer Schein
geht von ihrem Wesen aus, und ihr Treiben
verlangsamt sich; und ringsum war das Winken,
der stille Pulsschlag, und schluchzend Licht
der Einzelsterne, die ihr Labyrinth
von gekrümmten Wegen, bunten Pfaden
durchwandelten, einsam und ungestört
Schweifende; in ihren losen Schlingen
mit festem Zug gesetzt der großartige Plan
dieses Planetenchors, der auf einem
Äquator sich befand, der Leuchten jede
in eigener Sphäre hängend; und ganz außen
der Funkeldunst, die Millionen Schwärme,
die ausgestreut über das Firmament,
geschleudert als ein Byssusschleier lagen,
ein vages Tuch, ein Spinnweb, durch das zuweilen
struppige Kometen, stratzend Meteor-
gestein stob, das rasend, dröhnend
aus blinden Fernen kam, langsam wurde,
verhielt, kippte um den eigenen Kern,
ausschießend dann in parallelem Lauf
sich durch das Bodenlose bohrte, vorwärts
durch verlorene Äonen strömend,
ein kühner Zug, ein prunkender Verlust.

Und andere und andere verbleiben,
und Welten, nach anderem Sinn gesetzt,
und allen das Verhalten ihrer Teile,
die Umwälzung, Verflechtung ihres Laufs
und Schwenken, Kreuzen und verwirrtes Wimmeln,
so einfach und von gelassener Hand
gelenkt nach einem ohne Schmerz geborenen,
aus eigenem Wesen entsprungenen Gesetz.

Und dann, nach all der Pracht der Myriaden,
der goldenen Kugeln, die durch Alleen des finsteren
Äthers rollen, all dem hohen Stolz
des Unvergleichlichen, nach Ermessen
der ganzen Himmelstiefe und überall
vorhandener Unruhe, verlassener Plage
und Wüstenei und bloßer Leere …
wollte die alte Seele des Pharao
sich gern abwenden, sonderte sich ab
und kehrte sich Vertrauterem zu, jenem
beschienenen Ufer dort, dem verblichenen Saum
der Wildnis und dem, was dort aufragte,
die dämmernde Spitze, an der das Licht
sich blitzend brach, und die Glitzerwände,
an die es schlug, als ob ein Stück Metall
zersplittert glänzte, die Seiten sauber
aufpoliert, und plan und blank geschliffen
die Dreiecksflächen mit ihrem Himmelsglanz,
der über alle Nähte geflossen war,
vier Flanken abgehend, mächtig gesetzt
auf schwere Basis, und an ihrer Kante,
wo sie sich treffen, weitstehend ausgespreizt
lotrechte Rippen, scharf und ohne Scharten;
Gestalt, so ausgesonnen und durchdacht,
von solcher Eintracht und Zusammenhang
und innerem Verbund, als sei aus einem
Urgrund sie entstanden, schiene entsprungen
aus einer Spannung, die bedingte,
dass sie dort sicher auf der Fläche stand
als ein Kristall, ein Salz, das auf diesen
Boden abgesetzt war und grau erstarrt
seine uralte Figur erhob, den Bau
aus Vorzeitwelten, aus in eins geschossenen
Bündeln um einen Pol, als ersten Anfang
von Einheitssuche und Absonderung,
lebende Form, die ungeschändet ihren
reinen Tempel zeigte, seine unerschlossene
innerste Wohnung und Heimlichkeit.

So dies große Monument, dies auserkorene
königliche Glanzstück und Prunkkleinod,
der reiche Felsen, kantig und behauen,
ein gespaltenes Juwel, der Bergkoloss,
der träumend unter dem Marmorpanzer
die Glieder reckt, turmhoch aufgestapelt
von Tausenden und Tausenden, gestemmt
durch Hunderttausende, ein Zeugnis
unbezwungener Allmacht, ausgeführt
zur höchsten Höhe, durch heftiges Regime,
das sein Vermessen und seine Netze über
die Namenlosen warf, die verlorene,
zum Untergang verdammte Menge, gebeugt
über die dunkle Fron, den Schweiß, das Haupt
seufzend, und zitternd das harte Suchen
in Händen und Gerät, zusammengeschult
zu ihrem Gewerk, dem bangen, und wie Blei
lag tödlich auf den Bekümmerten
dumpf der Wille, unverrückbar das Gebot
des ferne Thronenden, Erbarmungslosen,
seines, des eigensinnigen Despoten.

Und langsam, mit ruhiger Befriedigung
und kühl im Reichtum der Zufriedenheit
verweilt der greise Nüchterne, beschaut
die dichtgeschlossenen Fugen, untersucht
den passgenauen Sitz der Leisten, schweift
über den Glanz, den kostbaren, hin und prüft
den dichten Stein, die zarte Körnung unter
der glasigen Spiegelfläche und kost das
Wohlversorgte, dann den Schlussstein entlang,
den Gang der groben Blöcke, die Gewölbe,
bedacht mit scharfem First, die Galerien,
den Irrweg, an den Sperren vorbei
schleicht er sinnend, und nun zielt sein Trachten
auf den Grabsaal, auf den Sarkophag,
den plumpen Sockel mit dem tiefen Schoß,
die reiche Totenwiege, ohne Bruch gehöhlt
in Purpurjaspis, dann das schwarz geflammte,
gelbe Zedernholz, die köstlichen Streifen
der Lavendelbinden und zum Schluss
die fürstliche Mumie; um die schlanken,
gestreckten Glieder und den sauberen Schoß,
glänzend und schwarz die Sehnen, überstreut
mit Kampfer, heil und unverdorrt die Haut
und der Gelenke Knoten, das hohe Haupt
maskiert mit Blattgold, das gehämmert und
dünngeschlagen liegt auf dem nicht geschrumpften,
kühnen Profil; an zähen Fingern funkeln
ein grüner Stein, vier Rubine, tief
blutrot. ⌡Ringsum an den Wänden eine
stumme Schar: wachende Untertanen,
zaudernde Granden seines Hofs, ein Hag,
ein Ährenfeld von sich erhebenden Gestalten,
barsche Figuren, dunkel abgehoben
durch wechselnde Bekleidung, silberflutend
plätschernd Linnen oder die stramme Welle
von faltenlosen Kattun, die weißblendend
und prächtig ablief von der düsteren Glut
der Leiber, oder brüderlich gefühltem,
lindem Schutz von umhüllenden
weit gestellten Mänteln, nacheinander
in schlankem Gang, geschmeidig angetreten,
wie Hirsche im Gehölz der Schlendergang
der bloßen Füße, der gewölbten Zehen,
der Enkel und ihrer Rundung; zu Häupten
und vor dem Antlitz im Profil
die heiligen Lettern, die altgewohnten
Begrüßungen, die würdevollen Worte
der Machtverkündigungen, aufgezählt
in frommer Wiederholung, die ausführlichen
Lobreden und die stammelnden Reihen
der reichen Namen und erhabenen Ruhms
des Göttersohnes. – Auch dieser Schilderung
folgt nun der Alte, festigt seinen Sinn
an ihrem Bestand, stillt daran sein Verlangen
allmählich; er ist umfangen von den Symbolen
des Einstmaligen und er hängt darin.


Mit Dank an Angrid Tilanus, Utrecht, für kritische Durchsicht und Anmerkungen

Jan Hendrik Leopold, 1865 - 1925, war ein niederländischer Dichter und Klassiker. Er wurde in 's-Hertogenbosch geboren, lebte in Arnheim und Rotterdam, wo er am Gymnasium Erasmianum als Lehrer für klassische Sprachen arbeitete.
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