Jan-Eike Hornauer: Teenager in Corona-Zeiten
Gedichte > Zeitzünder
						Jan-Eike Hornauer
Teenager
						in Corona-Zeiten
Ich bin nicht gläubig.
						
						Aber ich danke Gott
						
						dafür, dass ich heute 
						
						kein Jugendlicher bin:
						
						Flügge werden,
						
						wie soll denn das klappen,
						
						eingesperrt im eigenen
						Nest
						
						oder – an guten Tagen –
						
						mit kurzer Leine
						
						an es angepflockt?
						
						Sind die Teenager-Jahre
						
						nicht große Jahre
						
						– auf ihre ganz eigene
						Weise,
						
						die einen sich in dieser
						Zeit
						
						durchaus häufig 
						
						sehr klein fühlen lässt?
						
						Verlangen sie nicht
						
						nach Platz, 
						
						wegen ihrer Größe und
						
						bei all den Konflikten, 
						
						die sie ausmachen,
						
						all der Reibung,
						
						die zu ihnen gehört,
						
						ihnen zutiefst
						
						eingeschrieben ist?
						
						Brauchen sie diesen
						
						Platz nicht existentiell,
						
						damit nicht alles
						überhitzt,
						
						explodiert,
						
						in einem drinnen,
						
						um einen herum?
						
						Ja, Teenager sein
						
						heißt: Freiräume erobern, 
						
						sie erobern, indem man sie
						schafft
						
						und dann
						
						für sich in Anspruch nimmt,
						
						es heißt: der Enge
						entfliehen.
						
						Nicht nur,
						selbstverständlich,
						
						aber doch
						
						sehr wesentlich.
						
						Es fühlt sich an
						
						wie ein ganzes Leben,
						
						wenn man mittendrin steckt
						
						in diesem Sein
						
						(auch wenn die meisten
						
						aufs folgende Leben
						hoffen;
						
						es muss ja mal besser
						werden).
						
						Und dieses Leben
						
						findet nicht statt,
						
						ja, all diese Leben
						
						finden nicht statt,
						
						diese Tausenden, Hunderttausenden,
						
						
						Millionen Teenagerleben,
						
						die es jetzt, nach alter
						Erwartung,
						
						selbstverständlich geben
						müsste.
						
						All die Erfahrungen, von
						denen
						
						die 30-Jährigen schon
						schwärmen
						
						und die 70-, 80-,
						90-Jährigen
						
						immer noch
						
						und auf die man hinfiebert
						
						spätestens mit Beginn
						
						der Pubertät, 
						
						werden nicht gemacht
						
						(oder doch nur bruchstückhaft
						
						und ganz anders
						irgendwie).
						
						Corona,
						
						das bedeutet Zeiten,
						
						die zu konservieren
						versuchen.
						
						Für Neues ist da kein
						Platz
						
						und der Teenager als
						Ausreißer 
						
						und Gruppentier
						
						und (so unterstellt man) Wahnsinniger
						
						(wegen der Liebe und
						
						ganz allgemein)
						
						eine fürchterliche
						Fehlfarbe.
						
						Und die, das hört man
						
						in jeder Dorfkneipe,
						
						behält man lieber auf der
						Hand,
						
						in der vagen Hoffnung, 
						
						dies bringe etwas
						
						im großen Spiel
						
						(das dort freilich
						
						Schafkopf oder Skat oder 
						
						so ähnlich heißt).
						
						Ja, den Teenager
						
						kann man leicht
						
						außen vor halten;
						
						viel leichter als
						
						die Großen und Wichtigen.
						
						Der Ansatz wirkt billig.
						
						Und die Regelmacher
						
						freuen sich: Er kostet
						
						auch wirklich nicht viel.
						
						Zumindest nicht gleich
						
						und nach ihrer
						
						Berechnung.
						
						Ich befürchte
						
						sie täuschen sich sehr:
						
						Sie rechnen
						
						in den falschen Zeiträumen
						
						und in der falschen
						Währung
						
						und übersehen dazu
						
						die Hälfte der Positionen.
						
						Es ist eine Schande,
						
						von Anfang an
						
						und jederzeit
						offensichtlich.
						
						Eine Gesellschaft blamiert
						sich
						
						Und wälzt die Last ab 
						
						auf den Nachwuchs,
						
						auf die Jugendlichen
						
						und natürlich auch die
						Kinder
						
						(sie sind nicht weniger
						betroffen,
						
						aber immerhin, sie sind
						etwas
						
						sichtbarer im Medialen).
						
						Fuck the Future,
						
						wir sind dran,
						
						ist das Motto
						
						der Regelmacher, der
						Wirtschaftsweisen,
						
						der Bestimmer,
						
						die wichtig sind,
						
						weil sie es sagen.
						
						Was interessieren sie
						
						Jugendliche?
						
						Waren das nicht immer nur
						
						Störfaktoren?
						
						(Außer sie selbst damals
						vielleicht,
						
						aber das waren ja auch,
						
						ganz grundsätzlich, andere
						Zeiten …)
						
						Allen Jugendlichen
						
						möchte ich zurufen:
						
						Was hier läuft,
						
						seit fast zwei Jahren
						schon,
						
						seit einer Ewigkeit,
						
						das ist nicht okay!
						
						An euch wird
						
						Unrecht begangen.
						
						Eine zu alte Gesellschaft,
						
						
						die Bullshitjobs höher
						stellt
						
						als Menschlichkeit,
						
						nutzt euch aus. 
						
						Nein, ich bin nicht
						gläubig.
						
						Aber ich danke Gott
						
						dafür, dass ich
						
						in diesen Zeiten
						
						kein Teenager bin.
						
						 
 
