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Jan Causa: Zwei Texte

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Jan Causa

Zwei Texte



           „Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.“

Salvador Dalí

         „Wie töricht, zu bedauern und zu beklagen, daß man
         in vergangener Zeit die Gelegenheit zu diesem oder jenem Glück
         oder Genuß hat unbenutzt gelassen! - Was hätte man denn jetzt mehr davon?
         Die dürre Mumie einer Erinnerung.“

                                                               Arthur Schopenhauer
                                                                           
versammlung in mir
1
ach habe mal wieder
zu einer versammlung in mir eingeladen
schon fliegen sie herein mit verlorener ordnung
bedrängt von zweifel & vergessen
wie schwalben im wärmenden gewölbe

die erinnerungen kommen zum tee

schimärisch mächtig schattenhaft verdämmernd
(ich habe meine reflexionen durch einige seiten freud & proust belebt)
sie bewohnen kleine zimmer die immer kleiner werden &
große in denen vögel mosaikartig anmutende strukturen
fliegen & sich ineinander zu verknäulen drohen
aus noten alter lieder schlagen sie gesanglich emotionale wirkung
legen das gewicht aber auch auf trotzige sforzati

das ist ein vogeljubilieren & flügelschlagen

2
manche tauchen kurz auf
stellen sich auf die zehenspitzen
schauen sich um misstrauisch ermüdet resignativ
machen sich klein & rauschen mit emporgestreckten armen
wieder ab ins nebelhaft-dunstige

sie reißen sich kein bein aus

sie unterdrücken ungeliebte erinnerungen biegen ab
kleiden sich in eine boshafte geistesabwesenheit
oder denken an etwas anderes
da hocken sie dann wie scheue falter mit zusammengefalteten flügeln
beschämt ratlos & alleingelassen obwohl sie sich mit kräftigen
ins auge fallenden farben bemalt haben

andere bleiben länger
ihre neuronen feuern & bilden verknüpfungen
auratisch geadelt & mit bunten fäden verschnürt

3
manchmal kommt es mir so vor
als ob eine störrische spule sie alle durcheinanderbringt
man kann sie nicht befestigen sie wachsen nicht an
sie sind zu beweglich um sich beleuchten & deuten zu lassen
sie lassen sich nicht aufsprengen

man kann ihnen nicht auf den leib rücken

sie können nur sich selbst beleben niemanden sonst & nichts
(darin sind sie das gegenteil der dichterinnen & dichter
die andere & anderes beleben sich selbst aber nicht)
& oft geht ihre bewegung ins leere wie duchamps bicycle wheel
worte werden durchquert & zeiten
doch sie bleiben stumm wie brechts kattrin

4
schiebt die nebel weg
werdet sprache
was aber kann sprache bewirken?
sprache ist das leben selbst
scheint sie deshalb so wenig wert?
vielen von euch kann ich trotz allem den vorwurf nicht ersparen:
hättet ihr nicht rechtzeitig die wieder aus den fugen
geratene welt zurückhalten müssen?
doch ihr beugt euch zur schäbigen realität herunter
nehmt sie achselzuckend & schulterklopfend hin

5
wehrt euch
nutzt euch nicht ab im strom des vergessens
schreibt es in die wanderdünen
meißelt es in den fels
lasst alle hochhäuser mit erinnerungen einhüllen
schreibt euch hinein in mein gedicht
haltet die schmelzenden uhren auf
& wendet euch hin zur reizquelle

holt das gold aus ihr hervor



Die Schaukel im Garten von Giverny

Aus deinem Haar
eine Schaukel
flechten

Mich hinauf
zu deinen Augen
schwingen

In ihnen
Licht und Farbe
schauen

Mit dem Wind
zu deinen Lippen
steigen

Und aus der Schale
deines Mundes
trinken

(Au coucher du soleil)

Dorthin
schweben
wo der Zauber des Anfangs ist


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